Berlin. Im Bundestag liefern sich Olaf Scholz und Friedrich Merz einen starken Schlagabtausch – inklusive einer großen Überraschung vom Kanzler.

Die Sommerpause in der Berliner Politik ist mit einem Paukenschlag zu Ende gegangen: Im Bundestag trafen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) zum großen Rededuell aufeinander. Wie schlugen sich der Regierungschef und der Oppositionsführer in der Generaldebatte zum Bundeshaushalt 2024?

Deutschland-Pakt: Kanzler Scholz rief überraschend zu einer nationalen Kraftanstrengung unter Beteiligung auch der demokratischen Opposition auf, um den Stillstand im Land zu beenden und Deutschland schneller, moderner und sicherer zu machen: Digitalisierung der Verwaltung, Ausbau der Infrastruktur, Energiewende, weniger Bürokratie. Dafür sollten Regierung, Opposition, Länder und Kommunen zusammenarbeiten und die Kräfte bündeln. „Nur gemeinsam werden wir den Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit abschütteln“, so Scholz. Er betonte aber auch: Deutschland sei wettbewerbsfähig, eine Deindustrialisierung drohe nicht.

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Friedrich Merz erwähnte die Wirtschaftslage kaum, er hatte zuvor einen tiefen Graben zwischen Ampel und Union gezogen und der Koalition vorgeworfen, mit einem völlig anderen Staatsverständnis den betreuenden, paternalistischen Staat mit hohen Steuern anzustreben. Das Angebot von Scholz kam erst nach der Merz-Rede. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte später, die Union sei angesichts der Lage unter Bedingungen bereit, beim Deutschland-Pakt mitzumachen. Auch wenn der Kanzler keine neuen Projekte ankündigte und Misserfolge etwa beim Wohnungsbau mit bloßem Optimismus übertünchte, der rhetorische Coup gelang: Er hatte die zentrale Botschaft mit seinem Aufruf zum Schulterschluss gesetzt. Ein Punkt für Scholz.

Merz warnt vor Vertrauensverlust bei Bündnispartnern

Geld für die Bundeswehr: Merz warnte in einem der stärksten Teile seiner Rede vor einer erneuten massiven Unterfinanzierung der Bundeswehr. Die Bundesregierung verspreche zwar, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato-Staaten einzuhalten – also mindestens zwei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Doch das hat Deutschland bislang noch nie erreicht und schafft es im Haushalt auch nur, weil die Regierung Gelder aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen großzügig anrechnet.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nimmt an der Generaldebatte des Bundestags teil.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nimmt an der Generaldebatte des Bundestags teil. © dpa | Michael Kappeler

Aber: Spätestens 2027 sei das Sondervermögen aufgebraucht, dann fehlten jährlich 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr, sagte Merz. Scholz versicherte zwar, diese Lücke werde gefüllt, sagte aber nicht wie. Tatsächlich trifft die Bundesregierung in ihrer Finanzplanung keinerlei Vorsorge, wie zahlreiche Sicherheitsexperten beklagen. Sie warnen wie Merz vor einer Riesen-Geldlücke und einem Vertrauensverlust bei den Bündnispartnern, weil Deutschland Zusagen nicht einhält. Punkt für Merz.

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Was kommt nach dem Ukraine-Krieg? Merz kritisierte in seiner Rede, dass die Bundesregierung zwar eine Zeitenwende verkündet habe, aber auch jenseits der Verteidigungsausgaben nicht ausreichend Konsequenzen ziehe vor allem für die Zeit nach Kriegsende. Die Sicherung von Frieden und Freiheit müsse die wichtigste staatliche Aufgabe sein – die Koalition müsse ihre gesamte Planung und den Haushalt neu ausrichten, stattdessen verspreche sie den Bürgern ein „Weiter so“.

Merz fordert, dass sich Leistung wieder lohnen muss

Scholz zog eine positive Bilanz des bisherigen Krisenmanagements (Waffenlieferungen an die Ukraine, Energieversorgung), aber die internationalen Herausforderungen erwähnte er so gut wie gar nicht. Angesichts der Sicherheitslage zu wenig. Der Punkt geht an Merz.

Wieder Streit um Steuerreform: Rund um die Frage von Leistung und Entlastung lieferten Merz und Scholz vor allem Schlagworte ab. Merz forderte eine „große Steuerreform“ mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags und einheitlichen Unternehmenssteuern. Leistung müsse sich wieder lohnen, während die Regierung mit Bürgergeld oder Frührente Anreize schaffe, nicht zu arbeiten. Aber: Merz verzichtete auf die Konkretisierung seiner Forderungen, überzeugend wirkte er so nicht.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner Rede in der Generaldebatte des Bundestags.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner Rede in der Generaldebatte des Bundestags. © dpa | Kay Nietfeld

Scholz konterte, eine Steuerreform sei nicht zu finanzieren. Merz habe auch nur Leistungsträger mit hohen Einkommen im Blick, nicht die „fleißigen Leute“ mit Normalverdienst – dabei hatte der CDU-Chef im Vorfeld gerade eine Entlastung der Mittelschicht verlangt, notfalls auch zu Lasten von Spitzenverdienern. Zu wenig Substanz: Bei diesem Thema machten beide keinen Punkt.

Schluss mit zu viel Bürokratie: neues Lieblingsthema der Politik. Scholz rief dazu auf, „das Bürokratiedickicht zu lichten“. Mehr Digitalisierung, schnellere Genehmigungen, Verwaltungsleistungen im Internet. Der Kanzler kündigte dazu erneut ein Bürokratieentlastungsgesetz an, das die Erwartungen der Wirtschaft bisher nur zum Teil erfüllt.

Scholz und Merz: Auf persönliche Angriffe verzichteten beide

Tatsächlich hat die Regierung im Haushaltsentwurf 2024 Investitionsmittel für Digitalisierungsprojekte massiv gestrichen, erst ein Zehntel der geplanten 334 Vorhaben bei diesem Thema habe die Regierung umgesetzt, beklagte nach der Rede der Digital-Fachverband Bitkom. So präzise argumentierte Merz nicht. Er versprach, die Union würde sofort Gesetze stoppen, die die Bürokratie noch erhöhten, und nannte als Beispiel das Heizungsgesetz und die Kindergrundsicherung – die stehen zwar in der Kritik, aber nicht vorrangig wegen der Bürokratielast. Das reichte nicht. Beide machten hier keinen Punkt.

Der Auftritt der Kontrahenten: Merz sprach deutlich kürzer als Scholz. Auf persönliche Angriffe verzichteten beide, hitzig wurde es nicht. Scholz erschien auch zur Bundestags-Debatte im Piraten-Look, der seit Tagen für Aufsehen sorgt: schwarze Augenklappe – nach dem Sturz beim Joggen am Wochenende. Scholz, der sonst einen eher spröden Eindruck macht, sammelt mit der neuen Optik bei vielen Zuschauern Pluspunkte: Er wirke uneitel, cool, pflichtbewusst, heißt es.

Der sonnengebräunte Oppositionsführer trat entspannt und locker auf, konnte da aber natürlich nicht mithalten. Thema war die Verletzung von Scholz in beiden Reden nicht, der Piratenlook ersetzt auch keine Politik – aber auch mit Bildern lässt sich punkten, dem Kanzler dürfte der Auftritt helfen: Punkt für Scholz.

Fazit: In dieser Bundestagsdebatte lieferten sich Kanzler und Oppositionsführer einen munteren Schlagabtausch. Merz machte mit Kritik an Schwachstellen der Regierung Punkte – doch Scholz gelang es, mit seinem überraschenden Vorstoß für den Deutschland-Pakt die Debatte zu prägen. Am Ende steht ein Unentschieden.