Brüssel. Ein Video zeigt verstörende Szenen auf Kos. Flüchtlinge werden darin gefesselt in einen Van gepfercht. Ein Asylexperte ist fassungslos.

Es sind schockierende Aufnahmen, gefilmt offenbar auf der griechischen Insel Kos: Eine Gruppe von 14 Geflüchteten, darunter auch Kinder, sitzen oder liegen hilflos und zusammengepfercht auf der Ladefläche eines Transporters, dessen Scheiben verdunkelt wurden. Den Männern wurden die Augen mit Klebeband verbunden, ihre Arme sind mit Plastikfesseln hinter dem Rücken fixiert. Einige haben offenbar Schmerzen, Hilfe gibt es nicht.

Die griechische Flüchtlings-Organisation Aegan Boat Report hat das mit einem Handy aufgenommene 45-Sekunden-Video in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Nach Angaben der Organisation waren die Flüchtlinge von einem maskierten griechischen Grenzschutz-Kommando im Norden der Insel Kos festgenommen, geschlagen und dann gefesselt in einen Van verfrachtet worden – womöglich, um sie illegal ohne Asylverfahren wieder abzuschieben.

Das sei das Werk der griechischen Behörden, klagt die Organisation, die seit Jahren Menschenrechtsverletzungen beim Umgang mit Flüchtlingen in der Ägäis beobachtet und dokumentiert. „Die Kinder im Transporter waren nicht mit Handschellen gefesselt“, erläutert Aegan Boat Report, offenbar sei es mit Hilfe eines der Kinder gelungen, mit einem versteckten Handy ein Video aufzunehmen und Sprachnachrichten zu senden. „Der Kontakt ging schließlich verloren und wir müssen davon ausgehen, dass das Telefon gefunden und entwendet wurde“, erläutert die Organisation.

Asylexperte: Meist keine Beweise, weil die Handys weggenommen werden

Ob es sich um eine authentische Aufnahme handelt, lässt sich auch deshalb nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ist das Video aber echt, wofür sehr vieles spricht, wäre es ein eindrücklicher Beweis dafür, dass griechische Grenzschützer Geflüchtete, die meist von der Türkei über die Ägäis kommend in Griechenland Asyl beantragen wollen, erst misshandeln und dann – wie vermutlich auch in diesem Fall – in illegalen Pushbacks zurück über die Grenze in die Türkei schicken.

Die NGO Aegaen Boat Report veröffentlicht ein Video, das gefesselte Flüchtlinge auf Kos in einem Van der Polizeibehörden zeigen soll. Auch Kinder sollen sich in der Gruppe befinden. Was mit ihnen passiert ist: unklar.
Die NGO Aegaen Boat Report veröffentlicht ein Video, das gefesselte Flüchtlinge auf Kos in einem Van der Polizeibehörden zeigen soll. Auch Kinder sollen sich in der Gruppe befinden. Was mit ihnen passiert ist: unklar. © Aegean Boat Report | unknown

Der EU-Abgeordnete und Asylexperte Erik Marquardt (Grüne) sagte unserer Redaktion: „Die im Video gezeigte Szene ist ekelhaft, aber plausibel. Das deckt sich mit anderen Aufnahmen und Berichten über Grausamkeiten und Menschenrechtsverletzungen bei illegalen Pushbacks an der griechischen Grenze.“ Aber oft gebe es keine Beweise, weil die griechischen Pushback-Kommandos den Flüchtlingen die Handys abnehmen, sie klauen oder zerstören würden; in diesem Fall sei offenbar eines übersehen worden.

EU-Abgeordneter: „EU-Kommission muss jetzt reagieren“

„Es handelt sich also sicher nicht um einen Einzelfall. Jetzt muss die EU-Kommission reagieren. Wir brauchen Aufklärung“, fordert Marquardt. Durch die griechischen Behörden finde die Aufklärung nicht statt. „Die Kommission muss ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland einleiten wegen der Verstöße gegen EU-Recht“, fordert der Europaabgeordnete.

Wenn die Kommission nicht von selbst aktiv werde, müsse die Bundesregierung auf ein solches Verfahren dringen oder selbst eines einleiten. „Die Bundesregierung muss jetzt Klartext reden und die Menschenrechtsverletzungen mit deutlichen Worten verurteilen“, sagt der Grünen-Politiker. Und die Europäische Union müsse Griechenland Gelder streichen. Denn: Gegen Griechenland gibt es immer wieder Pushback-Vorwürfe.

Flüchtende werden mit Gewalt an der Grenze zurückgeschickt, noch bevor sie die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen. Griechenland muss laut EU-Recht Schutzsuchenden, die griechisches Territorium erreichen, ein Asylverfahren ermöglichen. Die griechischen Behörden missachten dieses Gesetz aber seit Jahren. Vor zwei Monaten sorgte Videomaterial für Aufsehen, das zeigte, wie die griechische Küstenwache zwölf Asylsuchende auf einem aufblasbaren Rettungsfloß aussetzt. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson forderte lückenlose Aufklärung.