Kiew. Russlands Propagandisten spielen den Wagner-Aufstand herunter – und müssen doch auf harsche Kritik am Deal mit Prigoschin reagieren.

Für viele Russen, die in der Regel vor allem das Staatsfernsehen schauen und sich kaum im Internet informieren, dürfte es am Samstagmorgen eine große Überraschung gewesen sein, als die Söldnertruppe Wagner unter der Führung von Jewgeni Prigoschin in Richtung Moskau fuhr. Denn während Prigoschin auf unterschiedlichen Telegram-Kanälen stets omnipräsent war, wurde er von föderalen russischen Sendern bis zu diesem Zeitpunkt komplett ignoriert – anders als die Wagner-Gruppe an sich.

Der einzige Star-Propagandist, der den Namen Prigoschin in den vergangenen Monaten in den Mund nahm, war Moderator Wladimir Solowjow – allerdings nicht in seinen Talkshows im aktuell wichtigsten Sender des Landes „Rossija 1“, sondern nur auf dem kleineren Nachrichtenkanal „Solowjow.Live“. Mit dem Beginn des Aufstands ließ sich diese Taktik des Wegschauens allerdings kaum mehr halten.

Am Samstagmorgen positionierten sich die staatlichen Sender plötzlich recht deutlich: Der Wagner-Chef sei ein Verräter und Verbrecher, hieß es. Trotzdem versuchten führende Medien wie „Rossija 1“ und „Perwyj Kanal“ weiterhin, die Krise möglichst kleinzureden. Anders als bei wichtigen Ereignissen im Angriffskrieg gegen die Ukraine fehlten Dauersondersendungen.

Wagner-Aufstand: Sender zeigten menschenleere Straßen

Stattdessen blieben Spielfilme und Unterhaltungssendungen im Programm. Die kurze Ansprache von Präsident Wladimir Putin wurde zwar gezeigt, allerdings begleitet von Videos, auf denen vereinzelte Bewohner von Rostow am Don ihre Unzufriedenheit über die Wagner-Söldner äußerten. Andere Aufnahmen aus der Stadt zeigten ein völlig anderes Bild: Bewohner etwa, die den Kämpfern zujubelten oder ihnen Wasser und Nahrungsmittel brachten.

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„Die Wagner-Söldner wurden nur wegen der Militäruniform freundlich empfangen“, erklärte ein Korrespondent von „RT“. Sein Kollege von „Solowjow.Live“ spielte die Reaktionen auf den Straßen ebenfalls herunter: Er sprach von ein paar Dutzend Menschen, die betrunken gewesen seien und den Gruppen 150 Kilometer von Rostow am Don entfernt applaudiert hätten – obwohl die Bilder offensichtlich aus der Stadt stammten. Auch als sich die Kolonnen der Wagner-Gruppe am späten Samstagabend zurückzogen, waren in den großen Nachrichtensendungen nur kurze Beiträge.

Jewgeni Prigoschin, der Eigentümer des Militärunternehmens Wagner Group, ist dem Vernehmen nach in Belarus ins Exil gegangen.
Jewgeni Prigoschin, der Eigentümer des Militärunternehmens Wagner Group, ist dem Vernehmen nach in Belarus ins Exil gegangen. © dpa | -

Der wichtigste wöchentliche Nachrichtenrückblick „Westi Nedeli“ („Neuigkeiten der Woche“) bei „Rossija 1“, der von Dmitrij Kiseljow moderiert wird und den sich Gerüchten zufolge auch Putin selbst anschaut, beschäftigte sich am Sonntagabend mit einem älteren Interview des russischen Präsidenten, in dem er gefragt wurde, ob er zum Verzeihen fähig sei. Die Antwort: „Ja, aber nicht alles. Einen Verrat nicht.“ Ob das eine Botschaft an den Wagner-Chef sein sollte?

Kreml-Propagandisten blieben lange ungewöhnlich leise

Etwas deutlicher wurde die Talkshow am Sonntagabend mit Wladimir Solowjow: Der russische Abgeordnete und Ex-General Andrej Guruljow, ein bekannter Kritiker der Wagner-Gruppe, forderte, Prigoschin und den militärischen Anführer der Truppe Dmitri Utkin erschießen zu lassen.

Ganz andere Töne wählte „RT“-Chefin Margarita Simonjan, eine der russischen Chefpropagandistinnen, die während des Aufstands ungewöhnlich leise geblieben war. „Viele sagen: Erst ein Strafverfahren gegen Prigoschin eröffnen und ihn dann nach Belarus freilassen, das ist doch eine Verhöhnung aller Rechtsnormen. Doch es gab nur die Wahl zwischen einer schlechten und einer monströsen Option. Nichts kann schlimmer sein als zivile Konfrontation – schon gar nicht die Verletzung irgendwelcher Rechtsnormen.“

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Damit parierte Simonjan die vorsichtig formulierten Einwände von russischen Kriegsbloggern, die unzufrieden damit waren, dass der Abschuss von acht russischen Flugzeugen und Hubschraubern mit 20 getöteten Armeeangehörigen rechtlich quasi folgenlos bleiben. Wagner-nahe Kanäle pushen dagegen eine andere Agenda: Die Forderungen der Söldner nach der Entlassung des Verteidigungsministers Sergej Schoigu und des Generalstabchefs Walerij Gerassimow seien fair und müssten erfüllt werden.

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