Berlin. Der Mindestlohn in Deutschland wird wohl bald steigen: Die Mindestlohnkommission schlägt eine Anhebung auf 12,82 Euro pro Stunde vor.

Bei zwölf Euro pro Stunde liegt der gesetzliche Mindestlohn seit dem vergangenen Jahr. Wer ihn bezieht, kann trotz einer starken Inflation jetzt nur mit einer geringfügigen Anhebung rechnen: Um 41 Cent soll die Lohn-Untergrenze zum Jahreswechsel zunächst steigen. Das schlägt die Mindestlohnkommission vor. Die Gewerkschaften sind in Rage, die Arbeitgeber zufrieden. Ein Überblick.

Was genau empfiehlt die Mindestlohnkommission?

Wie das Gremium am Montag in Berlin mitteilte, soll der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2024 auf 12,41 Euro steigen. Ein Jahr später ist eine weitere Erhöhung im selben Umfang auf 12,82 Euro vorgesehen. Gemessen am bisherigen Mindestlohn entspricht das einer Anhebung um 6,8 Prozent, verteilt auf zwei Jahre.

Allein in diesem Jahr dürften die Verbraucherpreise nach Einschätzung von Ökonomen um rund sechs Prozent zulegen. Der Gesetzgeber hatte den Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 von 10,45 auf zwölf Euro pro Stunde erhöht. Dies war eines der zentralen Versprechen der SPD vor der jüngsten Bundestagswahl.

Wird der Vorschlag der Kommission umgesetzt?

Ja. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte am Montag an eine entsprechende Verordnung an. „Ich weiß, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften durchaus einen höheren Mindestlohn gewünscht hätten“, sagte er.

Laut Mindestlohngesetz könne die Regierung aber nur dem Vorschlag folgen oder nicht. Täte sie es nicht, gäbe es zum 1. Januar überhaupt keine Erhöhung. Bei der Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro im vergangenen Jahr hatte der Gesetzgeber die Kommission übergangen – dabei aber betont, dass das eine Ausnahme bleiben soll.

Der Mindestlohnkommission gehören jeweils drei Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, eine unabhängige Vorsitzende sowie zwei wissenschaftliche Berater ohne Stimmrecht an.

Mindestlohn: Wie kam die jetzige Empfehlung zustande?

Die Kommission tagte von Sonntagnachmittag bis in die frühen Stunden des Montags, dabei flogen die Fetzen. Am Ende wurde die Gewerkschaftsseite von den Arbeitgebern und der Vorsitzenden Christiane Schönefeld überstimmt. Zu ihrem großen Bedauern habe kein einvernehmlicher Beschluss gefasst werden können, sagte Schönefeld, eine ehemalige Top-Managerin der Bundesagentur für Arbeit.

Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgebervereinigung BDA, Steffen Kampeter, sagte: „Wir sind über das hinausgegangen, was wir ursprünglich im Blick hatten.“ Die Lage der deutschen Wirtschaft sei ausgesprochen ernst. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte: „Für eine Anpassung lediglich im Cent-Bereich konnten wir auf keinen Fall die Hand reichen.“ Die untersten Einkommensgruppen würden jetzt einen enormen Reallohnverlust erleiden. „Das betrifft vor allem Frauen und das betrifft vor allem Ostdeutschland.“ Den gesetzlichen Mindestlohn gibt es seit 2015, bisher hatte die Kommission immer einvernehmliche Beschlüsse gefasst.

Mindestlohn: Wie viele Arbeitnehmer beziehen ihn?

Von der Erhöhung auf zwölf Euro im vergangenen Herbst profitierten 5,8 Millionen Beschäftigte. Das entsprach 15 Prozent der Arbeitnehmer, betroffen war fast jeder fünfte Betrieb. Der gesetzliche Mindestlohn ist eine Untergrenze, die nicht unterschritten werden darf. Tarifverträge legen oft höhere Branchen-Mindestlöhne fest. Auch Minijobber haben einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.

Keinen Anspruch haben hingegen minderjährige Schüler ohne Berufsabschluss, die beispielsweise einem Ferienjob nachgehen. Auch bei Praktikanten gilt die Untergrenze in der Regel nicht.

Mindestlohnanpassung: Warum sind die Gewerkschaften jetzt so sauer?

Sie wollten eine Anhebung des Mindestlohns auf 13,50 Euro durchsetzen. Damit bissen sie aber bei den Arbeitgebern auf Granit, die allenfalls zu einer minimalen Erhöhung bereit waren. BDA-Vertreter Kampeter sagte, seit der Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro im vergangenen Jahr seien die Tariflöhne nur um zwei Prozent gestiegen. Die Verhandlungen waren schließlich so festgefahren, dass Kommissionschefin Schönefeld einen Vorschlag unterbreitete, den sie anschließend gemeinsam mit den Arbeitgebern durchsetzte: Dabei wurde der Tarifindex des Statistischen Bundesamts von Juni 2022 bis Juni 2023 herangezogen, er erhöhte sich in diesem Zeitraum um 7,8 Prozent (inklusive Sonderzahlungen).

Dieser Wert wird allerdings nicht auf den derzeit geltenden Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde angewendet, sondern auf den bis Herbst 2022 maßgeblichen Wert von 10,45 Euro. DGB-Vertreter Körzell nannte dieses Vorgehen „vollkommen aberwitzig“. Schönefeld sagte, man müsse auch berücksichtigen, dass die Mindestlohn-Bezieher im vergangenen Jahr mit der Erhöhung auf zwölf Euro pro Stunde bereits einen Lohnzuwachs von 15 Prozent erhalten hätten.

Mindestlohn: Wie fallen die politischen Reaktionen aus?

SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt sagte: „Der Mindestlohn ist ein Erfolgsprojekt. Die nun vorgeschlagene Erhöhung bedeutet für Millionen Beschäftigte eine weitere Gehaltserhöhung.“ Anfang Januar 2024 werde der Mindestlohn damit innerhalb von nur zwei Jahren um 26 Prozent gestiegen sein.

Die Grünen-Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke monierte, der nun vorgelegte Vorschlag stelle dem Reallohnverlust nur wenig entgegen. Die Kriterien für die Anpassung müssten geschärft werden: Nicht allein das Kriterium der Tariflohnentwicklung dürfe entscheidend sein, es müsse auch um einen Schutz vor Armut gehen.

Linksfraktions-Vize Susanne Ferschl sagte: „Der Arbeitsminister sollte ernsthaft erwägen, diesen Beschluss nicht rechtskräftig zu machen, sondern eine weitere gesetzliche Anhebung auf mindestens 13,50 Euro in Betracht ziehen.“ Der Sozialverband Deutschland (SoVD) forderte Arbeitsminister Heil direkt auf, politisch einzugreifen: „Der Mindestlohn muss so angehoben werden, dass die Menschen davon auch leben können. Der SoVD hatte schon im Frühjahr berechnet, dass der Mindestlohn auf 14,13 Euro steigen müsste“, sagte die Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier unserer Redaktion.