Berlin/Düsseldorf. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst macht CDU-Parteichef Merz zunehmend die Kurshoheit streitig. Läuft sich da einer für Berlin warm?

Die Arbeitsteilung am vergangenen Sonntag liefert mal wieder Hinweise, dass die Führungsfrage in der Union in einem ziemlich asymmetrischen Kampf ausgefochten werden dürfte. CDU-Parteichef Friedrich Merz äußert sich bei „Berlin direkt“ im ZDF mit sorgenzerfurchter Stirn über eine „krisenhafte Zuspitzung in unserer Demokratie“ und verweist auf zersetzende Unzufriedenheit in allen Ecken der Gesellschaft – ausdrücklich „leider auch“ mit der schwarz-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Deren Chef Hendrik Wüst sitzt derweil gut gelaunt in Turnschuhen auf einer Kinderfest-Bühne in Bochum und lässt sich von Klara (10) und Tjade (11) interviewen.

So geht das seit Monaten. Merz will die Ampel-Koalition attackieren, das Grundsatzprogramm der CDU renovieren und eigentlich die AfD halbieren. Wüst dagegen hält vornehmlich Grußworte, durchquert Werkshallen und verleiht Orden. Meist sieht der 47-Jährige dabei unverschämt gut aus, schon weil eigens engagierte Foto- und Videoteams jeden Auftritt für die sozialen Netzwerke aufbereiten. Wüsts schwarz-grüne Koalition arbeitet seit einem Jahr streitfrei. Und wenn es mal knallt wie im Braunkohle-Protestdorf Lützerath, beim Landeshaushalt oder der peinlichen Download-Panne im Zentralabitur – am Ministerpräsidenten persönlich bleibt nichts hängen.

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Dem Sauerländer Merz konnten die Verhältnisse in seinem Heimat-Landesverband lange nur recht sein. Ohne eine starke NRW-CDU, die mit Abstand mitgliederstärkste Parteigliederung, kommt die Union im Bund nicht wieder auf die Beine. Und ohne die 20 Jahre jüngeren schwarz-grünen Brückenbauer wie Wüst oder Daniel Günther in Schleswig-Holstein fehlt auch in Berlin die Machtoption. Doch plötzlich steht seine Autorität als geborener Kanzlerkandidat in Frage. Schon länger ist in der Union nicht mehr die Rede davon, dass der Partei- und Fraktionsvorsitzende Merz im nächsten Sommer „den ersten Zugriff“ auf die Scholz-Herausforderung 2025 habe. Bahnt sich ein Duell mit Wüst an?

Merz und Wüst – CDU-Machtkampf auf offener Bühne

Der smarte NRW-Ministerpräsident steht in Umfragen deutlich besser da als sein Parteivorsitzender. Vor allem setzt er sich seit Jahresbeginn immer wieder inhaltlich ab. Nach Merz‘ umstrittener „Pascha“-Äußerung über Migrantensprösslinge umarmte Wüst auch jene ausdrücklich als „unsere Kinder“. Im Mai verlieh er demonstrativ Angela Merkel den NRW-Staatspreis, nachdem Merz zuvor schon erhebliche Schwierigkeiten hatte, der Altkanzlerin öffentlich zur Verleihung des höchsten Verdienstordens der Bundesrepublik zu gratulieren.

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Mit einem Gastbeitrag in der „FAZ“, der sich von Merz‘ Gender-Debatten abgrenzte und der Union den „Herzschlag der Mitte“ empfahl, untergrub Wüst zuletzt endgültig die Kurshoheit des Vorsitzenden. Zumal er flankierend die Mitsprache der CDU-Landesverbände bei der Kanzlerkandidatur einforderte. Genau diese beackert der bestens vernetzte Wüst seit Monaten auffallend emsig. Auch in den Landtagswahlkämpfen in Bayern und in Ostdeutschland soll der Münsterländer als Redner bereits fest eingeplant sein.

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, wird zum Konkurrenten für den CDU-Chef Friedrich Merz.
Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, wird zum Konkurrenten für den CDU-Chef Friedrich Merz. © dpa | Christoph Soeder

In der Union fragt man sich inzwischen: Was treibt Wüst? Zunächst gingen viele davon aus, dass das Winken mit der Kanzlerkandidatur nur eine taktische Figur sei. Es gehört gewissermaßen zur Jobbeschreibung des Regierungschefs im bevölkerungsreichsten Bundesland, für Höheres gehandelt zu werden. Sonst kommt es zu einer Selbstverzwergung wie einst bei SPD-Frau Hannelore Kraft, die „nie, nie Berlin“ sagte und fortan nicht mehr ernst genommen wurde.

Wüst – ein bisschen klimaneutral, ein bisschen wirtschaftsliberal

Inzwischen scheint es dem NRW-Ministerpräsidenten jedoch um mehr zu gehen, was mit einer persönlichen Entwicklung zusammenhängt. Als sich Merz und Wüst vor einem Vierteljahrhundert kennenlernten, war der eine ein Wirtschaftsexperte auf dem Weg zur „Bierdeckel-Steuer“ und der andere ein konservativer Haudrauf aus der Jungen Union. Zwei Westfalen auf einer Linie. Inzwischen hat der Jüngere verinnerlicht, dass die Union als Volkspartei nur dann Bestand haben kann, wenn sie in einer zerklüfteten Gesellschaft noch als möglichst große Projektionsfläche funktioniert.

NameFriedrich Merz
Geburtsdatum11. November 1955
AmtCDU-Vorsitzender
ParteiCDU
Parteimitglied seit1972
FamilienstandVerheiratet, drei Kinder
Größe1,98 Meter
WohnortArnsberg

Wüst gibt heute den mittig-modernen Jungvater, der Windeln wechselt, den Christopher Street Day eröffnet, den Dienstwagen schon mal gegen das Fahrrad tauscht, und der handwerklich fehlerfrei auf jeder Social-Media-Welle reitet. Er ist ein bisschen klimaneutral und ein bisschen wirtschaftsliberal, aber nie konfrontativ oder fordernd. Mit Schwiegersohn-Charme vermittelt er zugleich der älteren Stammwählerschaft im ländlichen Raum das Gefühl, dass es so schlimm schon nicht kommen werde mit diesen neuen Zeiten. In Düsseldorf geht man fest davon aus, dass das brachiale Ampel-Bashing der Merz-CDU nur das Geschäft der AfD betreibt. Schlechte Laune zahle immer beim schlecht gelaunten Original ein.

Wie weit Wüst die Konfrontation treiben will, ist unklar. Aufreizend betont er, „aktuell“ in NRW gebunden zu sein. Nach der bayerischen Landtagswahl im Oktober muss sich zudem weisen, wie treu CSU-Chef Markus Söder seiner politischen „Lebensaufgabe“ in München diesmal sein will. Wüst und Söder kennen sich aus gemeinsamen Tagen als wortflinke Generalsekretäre im „Einstein-Pakt“, der vor 16 Jahren der Union eine konservative Rückbesinnung verordnen wollte. In der K-Frage gerufen oder zumindest für den Besseren als Merz gehalten zu werden – das könnte beiden gefallen.

ParteiChristlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)
Gründung26. Juni 1945
IdeologieChristdemokratie, Konservatismus, Liberalismus, Europäische Integration
VorsitzenderFriedrich Merz (Stand: Dezember 2023)
Fraktionsstärke152 Abgeordnete im Bundestag (Stand: Dezember 2023)
Bekannte MitgliederAngela Merkel, Ursula von der Leyen, Jens Spahn