Berlin. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie soll Kräfte bündeln – doch in der Ampel gibt es Streit darüber, wer künftig den Hut aufhat.

Deutschland ist in einer „Zeitenwende“, so hat es Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Bundestag gesagt. Eine neue Zeit braucht eine neue Strategie, da sind sich Fachleute einig. Nun, mit einiger Verzögerung, stellt der Kanzler gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Finanzminister Christian Lindner die „Nationale Sicherheitsstrategie“ für Deutschland vor.

Was ist die Nationale Sicherheitsstrategie?

Viele Jahre bedeutete Sicherheit neben der Polizeiarbeit, die in den Bundesländern verantwortet wird, auch die Landesverteidigung durch die Bundeswehr, die Parlament und Verteidigungsministerium unterstellt ist. Eine Nationale Sicherheitsstrategie soll die Abwehr von Gefahren für Deutschland besser koordinieren. Die Zusammenarbeit der Ministerien in Berlin soll besser werden, es soll gemeinsam statt einzeln über Fragen der Sicherheit nachgedacht und entschieden werden.

Frontkampf im Donbass: Der Krieg in der Ukraine bedroht auch die Sicherheit Deutschlands.
Frontkampf im Donbass: Der Krieg in der Ukraine bedroht auch die Sicherheit Deutschlands. © AFP | Anatolii Stepanov

Militärpolitik, Diplomatie, aber auch Klimaschutz und Entwicklungshilfe sollen stärker in diesem Konzept enthalten sein. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung hieß es 2021: „Die deutsche Außenpolitik soll aus einem Guss agieren und ressortübergreifend gemeinsame Strategien erarbeiten, um die Kohärenz unseres internationalen Handelns zu erhöhen.“

Andere Länder wie die USA, Großbritannien oder Japan haben ihre außen- und sicherheitspolitischen Positionen längst in entsprechenden Strategiepapieren formuliert. Innerhalb der Koalition wird damit gerechnet, dass nun auch die deutsche Strategie international auf großes Interesse stoßen wird. Das Dokument soll deswegen in andere Sprachen übersetzt werden.

Warum ist eine Sicherheitsstrategie wichtig?

Sicherheit ist längst mehr als die Verteidigung der nationalen Grenzen. Was in der Ukraine passiert, betrifft Deutschlands Sicherheit massiv. Der Krieg tobt mitten in Europa. Doch auch Angriffe im Cyberraum bedrohen den Standort Deutschland, zugleich zeigt sich eine gefährliche Abhängigkeit zu Technologien aus China, was Risiken der Spionage und Sabotage birgt. „Bedrohungen von außen sind längst nicht mehr nur außenpolitisch zu begegnen“, sagt der SPD-Experte Nils Schmid. Auch Länder und Kommunen müssten neben dem Bund gerade beim Schutz kritischer Infrastruktur – wie etwa Energiekraftwerken und dem Bahnnetz – eingebunden werden.

Verwüstung im Ahrtal: Meterhoch türmen sich Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über die Ahr in Altenahr-Kreuzberg.
Verwüstung im Ahrtal: Meterhoch türmen sich Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über die Ahr in Altenahr-Kreuzberg. © dpa | Boris Roessler

Doch nicht nur das: Auch der Klimawandel bedroht die Sicherheit Deutschlands. Die Flutkatastrophe im Ahrtal war nach Ansicht von Fachleuten ein Symptom einer verschärften Klimakrise. Auch die Zahl der Vertriebenen weltweit wächst auf Rekordniveau. Ein Grund neben Kriegen und Konflikten: Dürren und Überschwemmungen. Neben den Gefahren des Klimawandels sollen in der Strategie auch Bedrohungen durch Nahrungsmittelknappheit und Pandemien behandelt werden.

So braucht Deutschland eine umfassende Sicherheitsstrategie, die ressortübergreifend agiert. Die Hoffnung: Deutschland kann schneller und besser auf Krisen reagieren. Bei der Flut im Ahrtal zeigte sich hingegen, dass die Hilfe anfangs wenig koordiniert war. Und auch im Ukraine-Krieg oder bei der Asylpolitik zeigt sich: Nicht immer agiert die Bundesregierung aus einem Guss. Deutschland soll wehrhaft sein – zugleich aber nachhaltig handeln. Auch in der Sicherheitspolitik. Das ist die Idee.

Warum kommt diese gemeinsame Strategie erst jetzt?

Sie hätte längst kommen sollen. Doch die Vorstellung verschob sich immer wieder. Schon vor Februar wollte die Ampel-Regierung die Nationale Sicherheitsstrategie eigentlich präsentieren – pünktlich zur renommierten Münchner Sicherheitskonferenz. Daraus wurde nichts. Vor allem, weil sich Ministerien um Zuständigkeiten stritten. Auch das Kanzleramt von Scholz mischte mit.

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Es gab aber auch inhaltliche Konflikte: Die FDP war skeptisch bei einem Ausbau der Cyberabwehr. Die Liberalen sehen einen „Hackback“, einen Angriff deutscher Sicherheitsbehörden auf Server von Kriminellen im Ausland, kritisch. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien heißt es dazu: „Hackbacks lehnen wir als Mittel der Cyberabwehr grundsätzlich ab.“

Waren lange uneins über die Zuständigkeiten bei der neuen Sicherheitsstrategie: Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz.
Waren lange uneins über die Zuständigkeiten bei der neuen Sicherheitsstrategie: Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz. © AFP | ODD ANDERSEN

Die Bundeswehr müsse aber „in die Lage versetzt werden, im Verbund mit anderen Bundesbehörden im Cyber- und Informationsraum als Akteur erfolgreich zu bestehen“. In der Nationalen Sicherheitsstrategie wird es in dem Punkt keinen Kurswechsel geben. Keine aktiven Angriffe, Verteidigung gegen laufende Cyberattacken aber schon – so dürfte die Strategie lauten.

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Laut Medienberichten war dem Kanzleramt zudem die kritische Haltung gegenüber China in den ersten Textentwürfen für die Strategie zu scharf formuliert. Nun wurde nachgebessert. Und offenbar ist eine Einigung gelungen. Eine „China-Strategie“ will die Ampel-Koalition nun zu einem späteren Zeitpunkt vorlegen, heißt es aus Kreisen der Regierung.

Welche Kritik gibt es an der Nationalen Sicherheitsstrategie?

Vor allem die FDP hätte gerne einen Nationalen Sicherheitsrat – ein Gremium, das in akuten Krisen alle Beteiligten an einen Tisch bringt, um schnell zu entscheiden. Denn Schnelligkeit ist ein wichtiger Faktor bei der Sicherheit – auch weil es oft um Menschenleben geht. Doch dieses Gremium kommt nicht.

Hintergrund ist, dass sich Kanzleramt und Außenministerium offenbar nicht einigen konnten, wer den Rat verantworten und führen soll. Das von den Grünen geführte Außenministerium lehnte ein neues Gremium ab – dahinter stand wohl auch die Befürchtung, dass es an Einfluss verlieren könnte. Die SPD bestand nicht darauf, die neue Struktur zu schaffen. Also bleibt es bei den bisherigen Strukturen.

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Kritik kommt auch aus den Bundesländern, die sich mehr Beteiligung gewünscht hätten. Denn gerade Polizei und Feuerwehr, aber auch der Katastrophenschutz etwa im Fall von Überschwemmungen liegt in der Verantwortung der Länder und Kommunen. „Wenn die Bundesregierung ein ernsthaftes Interesse daran hätte, eine zukunftsweisende Sicherheitsstrategie zu entwickeln, so hätte sie die Länder in geeigneter Form beteiligen müssen“, sagte etwa Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU).