Berlin. Eine große Polizei-Studie zeigt: Die Menschen fühlen sich sicher. Doch das ist abhängig davon, wen man fragt. Und wo der gerade ist.

Statistiken der Polizei sind tückisch. Wie stark die Kriminalität registriert wird, hängt auch davon ab, wie stark die Polizei kontrolliert, etwa in sogenannten „Gefahrengebieten“. Die Zahlen sind auch abhängig davon, wie sehr Betroffene Straftaten bei der Polizei anzeigen. Bei Einbrüchen passiert das fast immer, bei Drogendelikten fast nie. Und die Polizeistatistik sagt auch nichts darüber aus, ob ein Täter am Ende tatsächlich verurteilt wurde.

Damit die Polizei ihre Einsätze nicht nur auf vagen Statistiken plant, braucht sie Studien. Eine riesige Untersuchung hat das Bundeskriminalamt nun gemeinsam mit den Landesbehörden vorgestellt. Mehr als 45.000 Menschen wurden für die Analyse „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (SKiD) interviewt. Die 230 Seiten lange Studie zeigt vor allem, wer in Deutschland Opfer wird – und wie stark sich die Personen bedroht fühlen. Wie groß also die deutsche Kriminalitätsfurcht ist.

Hasskriminalität: Viele fühlen sich bedroht aufgrund ihrer sozialen Herkunft

Bemerkenswert ist vor allem eines: Wie stark sich die Menschen durch Hasskriminalität in Deutschland bedroht fühlen: „Etwa die Hälfte aller Opfer von Körperverletzung ist der Meinung, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe angegriffen worden zu sein. Die häufigsten Gründe sind hierbei der soziale Status, die Herkunft oder das Geschlecht“ der betroffenen Person, heißt es in der Studie. Sie sind Betroffene von sogenannten "Bios Crime".

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Männer sind stärker von dieser „vorurteilsgeleiteten Körperverletzung“ betroffen als Frauen – allerdings nicht bei Angriffen aufgrund der geschlechtlichen Identität. Gerade bei Sexualdelikten sind Frauen häufiger Opfer.

Muss nun mit den Ergebnissen der großen Polizei-Studie arbeiten: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
Muss nun mit den Ergebnissen der großen Polizei-Studie arbeiten: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) © dpa | Jan Woitas

Diese Wahrnehmung der Betroffenen ist brisant, zeigt sie doch, wie stark Hass und Hetze in den vergangenen Jahren nicht nur in den Polizeistatistiken gewachsenen sind – sondern auch im Alltag der Menschen in Deutschland.

„Zudem sind Personen mit Migrationshintergrund häufiger besorgt, Opfer von Kriminalität zu werden“, beschreibt die Studie, vor allem Menschen aus türkischen und polnischen Familien. Und: Nicht selten erleben Betroffene die Übergriffe auch deshalb, weil sie einer bestimmten politischen Gruppe zugehören. Details nennt die Studie hier nicht.

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Erschreckend ist zudem, wie selten die Betroffenen Sexualdelikte anzeigen: beim Zeigen von Geschlechtsteilen nur bei 0,6 Prozent der Fälle, bei Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch wird gerade einmal jede zehnte mutmaßliche Tat zur Anzeige gebracht. Ursache ist häufig ein Schamgefühl bei den Betroffenen. Aber auch die Annahme, dass zu wenig Beweise vorliegen würden, damit der Täter überführt wird. Lesen Sie auch: Alle wichtigen Nachrichten zu Kriminalität und Polizei

Kriminalität: Die Menschen fühlen sich sicher, vor allem in den eigenen vier Wänden

Die Menschen fühlen sich in Deutschland grundsätzlich sicher. Doch Angst vor Kriminalität hängt stark vom Ort ab. In der Wohngegend ist auch nachts das Sicherheitsgefühl hoch. In öffentlichen Verkehrsmitteln fühlt sich gerade noch die Hälfte sicher. Die Studie hält fest: „Zum Schutz vor Kriminalität tragen 1,5 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren häufig oder sehr oft ein Messer und 3,8 Prozent Reizgas bei sich. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen erheblichen Bewaffnungsgrad.“

Grundsätzlich bekräftigt jedoch auch diese große Umfrage: Die Menschen fühlen sich sicher, vor allem in den eigenen vier Wänden. Auch am Tag hat nur ein geringer Teil der Menschen Sorge vor Kriminalität. Die oft hitzig geführten Debatten über Gewalt spiegeln nicht die Wahrnehmung der meisten Personen in Deutschland wider.

Polizeistatistiken sind tückisch: Vieles hängt davon ab, wie stark die Polizei kontrolliert. Gerade bei Drogendelikten.
Polizeistatistiken sind tückisch: Vieles hängt davon ab, wie stark die Polizei kontrolliert. Gerade bei Drogendelikten. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Auch die Arbeit der Polizei bewerten die interviewten Personen mehrheitlich positiv. Allerdings bekräftigt die Studie einen Befund: Menschen aus Zuwandererfamilien beklagen überproportional häufig fehlendes „Mitgefühl“ bei Polizistinnen und Polizisten. Gerade unter türkischstämmigen Personen ist die Bewertung der Polizei schlechter.

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Aber noch ein Detail ist interessant: „Personen mit einem Migrationshintergrund aus Afghanistan, Irak, Syrien oder Eritrea bewerten die Polizei in vier von sechs hier betrachteten Dimensionen besser als Personen ohne Migrationshintergrund: Sie schreiben der Polizei durchschnittlich eine höhere Effektivität und eine bessere Informationsarbeit zu“, beschreiben die Macher der Studie.

„Nur die wenigsten Straftaten im Internet werden von den Opfern zur Anzeige gebracht“

Das Sicherheitsgefühl ist in Deutschland gut, es ist aber abhängig von Personengruppen – und vom Raum. Und deutlich wird: Der Cyberraum wird zur dominierenden Kriminalitätszone, vor allem durch Datenmissbrauch und Betrug, aber auch durch verbale Angriffe und Hetze. 34 Prozent der deutschen Bevölkerung halten es für „wahrscheinlich, in den nächsten zwölf Monaten Opfer hiervon zu werden“.

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Doch die Polizei hat ein großes Problem: „Nur die wenigsten Straftaten im Internet werden von den Opfern zur Anzeige gebracht“, bilanziert die Studie. Das führt dazu, dass die Ermittler die Verbrecher im Internet kaum aufspüren können, wichtige Zeugenaussagen fehlen, digitale Spuren können weniger oft gesichert werden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.