Berlin. In den letzten 20 Jahren hat sich vieles für Eltern verbessert, findet unsere Autorin. Doch noch immer droht ein böses Erwachen.

Wer sich in Deutschland für Kinder entscheidet, nimmt einiges in Kauf: Kinderhaben kostet Zeit, Geld und Nerven. Doch fairerweise muss man sagen: Es ist vieles schon deutlich besser als vor 20 Jahren – und erst Recht im Vergleich zu der Zeit, als Familienpolitik nichts anderes war als ein billiges, aber unerfülltes Wahlversprechen. Wer 2023 ein Kind bekommt, hat ein Recht auf Elterngeld, Kitaplatz, Teilzeitjob. Mehr noch: Die meisten Arbeitgeber stellen sich langsam darauf ein, dass sie es nicht nur mit Arbeitnehmern, sondern mit Müttern und Vätern zu tun haben.

40.000 Euro vom Arbeitgeber für den Kinderwunsch? Früher undenkbar

Manchen Unternehmen ist Familienfreundlichkeit sogar so wichtig, dass sie Paaren 40.000 Euro für die Kinderwunschbehandlung anbieten. Schon, um im Wettbewerb um die jungen, gut ausgebildeten Frauen die Nase vorn zu haben. Vor 20 Jahren noch undenkbar.

2003 gab es kein Elterngeld, keinen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung von der Geburt bis zur Einschulung, kein Recht auf Teilzeit inklusive Rückkehr in Vollzeit, keine großzügigen Regelungen für Kinderkrankentage. Es gab auch noch keine staatlichen Zuschüsse zur Kinderwunschbehandlung in dem Maß wie sie heute selbstverständlich sind.

Politik-Korrespondentin Julia Emmrich
Politik-Korrespondentin Julia Emmrich © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Und wenn jemand erzählt hätte, dass es Arbeitgeber gibt, die kinderlosen Paaren bei den hohen Kosten für die künstliche Befruchtung helfen, hätten alle bloß die Augen gen Himmel gerollt. Wer’s glaubt... Im Alltag der meisten Frauen galt das ungeschriebene Gesetz: Sprich erst übers Kinderkriegen, wenn du am nächsten Tag in Mutterschutz gehst. Alles andere vermasselt dir deine Jobaussichten.

Böses Erwachen aus dem familienpolitischen Traumland

2023 starten die Kinder von damals langsam selbst ins Erwachsenenleben. Auf den ersten Blick hat es die Generation Z deutlich leichter: Der Staat hilft, die Arbeitgeber helfen. Schon deshalb, damit der Laden überhaupt läuft; das Land kann sich schlicht nicht mehr leisten, auf Arbeitskräfte zu verzichten. Das ist das eine. Das andere ist: Auch für die Eltern des Jahres 2023 gibt es in der Regel recht schnell ein böses Erwachen aus dem familienpolitischen Traumland.

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Viele Hilfen halten nicht, was sie versprechen – viele bestehen nicht den Praxistest. Erstens: Die Kitas platzen aus allen Nähten, es fehlt an Personal und oft an geeigneten Förderprogrammen. Zweitens: Bei vielen Betrieben ist Familienfreundlichkeit nicht mehr als ein Etikett – im Alltag aber wird weiterhin derjenige belohnt, der hundert Prozent seiner Energie in den Job steckt.

Drittens: Das Elterngeld soll im besten Fall Müttern UND Vätern Zeit mit dem Kind ermöglichen – doch noch immer sind es in der Regel die Mütter, die zu Hause bleiben. Das hat bei vielen Paaren auch ökonomische Gründe: Auch 2023 arbeiten Männer oft in besser bezahlten Jobs – und überlegen sich deswegen dreimal, ob es klug für das Familieneinkommen ist, viele Monate lang auf Gehalt zu verzichten oder sogar dauerhaft in Teilzeit zu arbeiten.

Einschulung: Spätestens jetzt stehen Eltern vor der Abbruchkante

Spätestens, wenn das Kind sechs Jahre alt ist, kommt dazu der Grundschulschock: War bis jetzt alles halbwegs planbar, weil die Kita verlässlich und das Kind zufrieden war, stehen Mütter und Väter jetzt vor der Abbruchkante. Unterrichtsausfall, lückenhafte Nachmittagsbetreuung, Probleme bei den Hausaufgaben: Wer kümmert sich jetzt? Genau. Die Eltern. Sie sind nicht aus dem Gröbsten raus, für viele beginnt jetzt erst das Gröbste.

Die Politik hat das erkannt. Schon vor Jahren. Passiert ist aber lange nichts. Der Rechtsanspruch für einen Ganztagsplatz in der Grundschule wird erst ab 2026 schrittweise eingeführt. Woher das Personal dafür kommen soll? Völlig offen. Das ist bitter. Denn wenn Eltern etwas brauchen, dann ist es Verlässlichkeit.

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