Brüssel. Deutschland macht endlich Tempo: Eine Asylreform in der EU ist lange überfällig. Aber es muss mehr passieren als bislang geplant ist.

Das ist eine folgenreiche Zäsur für die Flüchtlingspolitik in Deutschland: Schutzsuchende aus der Ukraine kommen in diesem Jahr in deutlich geringerem Umfang zu uns, dafür steigt die Zahl der Menschen aus Asien und Afrika, die dauerhaftes Asyl beantragen. 80 Prozent mehr Asylbewerber in den ersten Monaten melden die Behörden.

Der Druck wächst: Verstärkt suchen Migranten aus Tunesien den Weg nach Europa, bald aus dem Krisenland Sudan und demnächst womöglich aus der Türkei, wenn dort nach einem Machtwechsel ein härterer Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien beginnen sollte. Es gibt also gute Gründe, dass vor dem Flüchtlingsgipfel nächste Woche nicht mehr nur über Geld gesprochen wird, sondern verstärkt über die Versäumnisse der – vor allem europäischen - Asylpolitik.

Die Koalition nutzt die Chance, mit forschen Forderungen an die EU Handlungsstärke zu demonstrieren. Doch sollte sie mit offenen Karten spielen: Was SPD und Liberale nun an Ideen für eine härtere Linie beim Flüchtlingsrecht präsentieren, liegt auf EU-Ebene schon seit Jahren als Vorschlag auf dem Tisch, ist dort aber noch immer umstritten. Bevor die Bundesregierung in Brüssel eine Einigung befördern kann, müssten erst die Grünen in der Ampel-Koalition ihre Bremsmanöver beenden.

Komme eine Asylreform? Noch ist keine Entscheidung gefallen

EU-Korrespondent Christian Kerl.
EU-Korrespondent Christian Kerl. © Funke | Privat

Ohnehin ist noch offen, ob die europäische Asylreform überhaupt kommt. Allerdings: Die überall steigenden Flüchtlingszahlen haben in vielen Hauptstädten den Einigungswillen erhöht, auch in Osteuropa. Die nahende Europawahl trägt mit dazu bei, dass der Stillstand auf einer der größten politischen Baustellen tatsächlich beendet werden könnte.

Es wäre höchste Zeit: Die in Brüssel vorbereitete Reform sieht eine konsequente Registrierung und Überprüfung aller Migranten vor, was einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen voraussetzt. Ein gewagter Einschnitt ist der Plan, die Asylverfahren für absehbar wenig aussichtsreiche Fälle bereits an den Außengrenzen abzuwickeln und abgelehnte Bewerber gleich wieder zurückzuschicken.

Eine Reform ist wichtig – und auch im Interesse der Flüchtenden

Abschreckende Wirkung sollen auch viel mehr schnelle Abschiebungen in Kooperation mit den Herkunftsländern haben. Das alles sind richtige Schritte, um jene Migranten, die offensichtlich keinen Schutzanspruch haben, davon abzuhalten, ihre gefährlichen Reise nach Europa überhaupt zu starten. Es wäre auch ein Beitrag, um den Schlepperbanden das Handwerk zu legen.

Ein großes Manko ist aber, dass eine Verpflichtung für alle EU-Länder, einen Teil schutzbedürftiger Flüchtlinge aufzunehmen, bis auf weiteres nicht durchsetzbar ist. Dass sich der Zuzug von Asylbewerbern nach Deutschland schnell deutlich verringern wird, ist deshalb unwahrscheinlich. Leider fehlt der EU die Kraft zum großen Wurf, mit dem sich Migration wirksam steuern ließe: Mit einem Asylsystem, das gefährliche Mittelmeer-Überfahrten überflüssig macht, weil Migranten schon außerhalb Europas Asyl in der Europäischen Union beantragen könnten. Mit geregelten Chancen auf einen legalen Aufenthalt in Europa auch jenseits des Asylrechts. Und mit solidarischer Verteilung innerhalb der EU.

Die geplante Asyl-Reform reicht nicht, aber sie wäre immerhin ein erster Schritt. Die Balance bleibt schwierig. Wenn die Flüchtlingspolitik weiter von einer gesellschaftlichen Mehrheit akzeptiert werden soll, braucht es mehr Ordnung an den Grenzen und weniger irreguläre Migration – aber Humanität und Schutz der Menschenrechte dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Abschreckung allein ist keine Lösung: Wer mit guten Gründen Schutz braucht in Europa, muss ihn weiter bekommen.