Berlin. Im ersten Quartal stellten so viele Russen einen Asylantrag wie im gesamten Jahr 2022 . Was steckt dahinter? Wie reagiert die Politik?

Gerade hat Russland die Rekrutierung von Soldaten erleichtert. Wer auch nur online erfasst wird, darf seine Heimat erstmal nicht verlassen. Womöglich wird er für den Ukraine-Krieg eingezogen. Noch jede Mobilisierung hat eine Fluchtwelle ausgelöst.

Der Überfall auf die Ukraine begann am 24. Februar 2022. Seither wurden beim Ausländerzentralregister 1.061.389 Geflüchtete aus der Ukraine registriert. Auch junge Russen – schätzungsweise mindestens 150.000 – haben ihr Land fluchtartig verlassen, aber selten nach Deutschland.

Asylstatistik: Russland beim BAMF erstmals unter den Top Ten

Es gibt Hinweise darauf, dass sich das ändert. Ein Frühindikator dafür ist die Asylstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Wie das BAMF am Montag auf Anfrage unserer Redaktion mitteilte, stellten 2021 genau 1.438 Russen einen Asylantrag, 2022 waren es dann nahezu doppelt so viele, nämlich 2.851. Und allein von Januar bis März waren es schon wieder 2.381 – fast so viele wie im gesamten vergangenen Jahr. Lesen Sie auch: Russland – Die Angst der Reservisten vor dem Ukraine-Krieg

Schreibt man die Entwicklung fort, könnte ihre Zahl zum Ende des Jahres auf 10.000 oder mehr schnellen. Im März 2022 tauchte Russland noch nicht unter den Top Ten der BAMF-Statistik der Herkunftsländer von Asylbewerbern auf. Ein Jahr später liegt es bereits auf Platz sieben, noch hinter Syrien, Afghanistan, der Türkei, Iran, Irak sowie Georgien.

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Es gibt Gründe, warum die Russen zunächst die Türkei, Georgien oder Kasachstan ansteuerten. Zur Türkei bestehen anders als nach West-Europa direkte Flugverbindungen, zu den früheren Sowjetrepubliken Landgrenzen. In Georgien und Kasachstan kommen sie mit Russisch gut zurecht, IT-Experten arbeiten dort oft weiter für russische Unternehmen. Lesen Sie dazu: 100.000 IT-Experten kehren Putins Russland den Rücken

Faeser sichert nicht nur Deserteuren besonderen Schutz zu

Dazu kommt, dass Kriegsverweigerung und Desertation nach der Entscheidung deutscher Gerichte kein Grund für Asyl sind. Im Mai 2022 sagte die Bundesregierung allerdings zu, dass Deserteure einen Flüchtlingsschutz bekommen.

Das setzt voraus, dass einer nachweislich zumindest schon für die Armee einberufen wurde. Unklar sind die Aussichten all jener, die ihrer Einberufung zuvorkommen wollten; da sie andernfalls zu spät wären und an der Grenze aufgehalten würden.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Allerdings hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) erst im März eine Sonderregel, inklusive eines beschleunigtem Aufnahmeverfahrens, bestätigt. Sie erleichtert in Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz die Aufnahme von "besonders gefährdeten russischen Staatsangehörigen, die vor der Unterdrückung und Verfolgung durch das Regime Putins Schutz brauchen". Ein weites Feld.

Dazu zählen etwa Journalistinnen und Journalisten, Regimekritikerinnen und Regimekritiker. Dazu zählen ferner wohl auch Leute, die Putins Krieg ablehnen, ihn nicht unterstützen, sich ihm vielmehr entziehen.

Drohen Konflikte zwischen Russen und Ukrainern?

Anfangs ließ Kremlchef Wladimir Putin hauptsächlich in den armen Gebieten, zumal unter ethnischen Minderheiten, Kämpfer suchen. Aber je mehr in Russland selbst rekrutiert wird, gerade in Großstädten wie Moskau und St. Petersburg, desto größer dürfte der Widerstand ausfallen. Hinzu kommt, dass beispielsweise die Georgier zunehmend ablehnend auf russische Flüchtlinge reagieren, weil sie Parallelgesellschaften bilden.

Es ist denkbar, dass demnächst vermehrt Russen nach Deutschland drängen, die woanders untergekommen sind, eine Sekundärmigration. Das könnte Sie auch interessieren: Schwangere Russinnen – Warum sie ihre Söhne "Lionel" nennen