Washington. Die Schweigegeld-Anklage gegen Donald Trump wirkt beinahe läppisch im Vergleich zu den anderen Sünden des Demokratie-Verächters.

Vieles wird davon abhängen, was wirklich haarklein in der geschichtsträchtigen Anklage steht, die der New Yorker Staatsanwalt Alvin Bragg wohl noch vor Ostern gegen Donald Trump vor Gericht bringen wird.

Bis dahin kann man nicht umhin, ein mulmiges Gefühl zu entwickeln bei der Frage: Und DAFÜR soll zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ein Ex-Commander-in-Chief nach allen Regeln des Gesetzbuchs zur Rechenschaft gezogen werden?

Kein Missverständnis: Firmen-Bücher fälschen zu lassen und sich de facto selbst eine zweckentfremdete Wahlkampfspende zu gönnen, in dem man eine außereheliche Liebelei mit einem Pornostar mit Schweigegeld unter der Decke hält, ist nicht nichts.

Aber für einen juristischen Blattschuss gegen einen Mann, der der Justiz dank eines dicken Bankkontos und einer Armada von teuren Anwälten seit 50 Jahren auf der Nase herumtanzt und seit 2015 Amerikas Demokratie regelmäßig Verstopfung wie Durchfall beschert hat, erscheinen diese „Platzpatronen” aus heutiger Sicht etwas mickrig.

Die Anklage in New York: Nur ein Warmlaufen für andere Prozesse?

Dirk Hautkapp, US-Korrespondent.
Dirk Hautkapp, US-Korrespondent. © Privat | Hamburger

Gewiss: Dass die Geschworenen-Jury mit der erforderlichen Mehrheit für eine Anklage plädierte, könnte darauf schließen lassen, dass Staatsanwalt Bragg mehr Asse im Ärmel hat als bislang bekannt ist. Aber was, wenn nicht?

Nach zwei gescheiterten Amtsenthebungsverfahren würde ein Freispruch in der Causa Stormy Daniels Trump politisch nahezu unverwundbar machen.

Es sei denn, man begreift den Fall in New York als ein Warmlaufen der an vielen Orten seit Jahren gegen Trump ermittelnden Justizbehörden, die bei Licht betrachtet weitaus gravierende Vorwürfe zu verhandeln haben.

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Auf Trumps Konto gehen auch Wahlfälschung, ein Staatsstreich und Verstöße gegen Spionage-Gesetze

In den Tagen rund um den Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 setzte Donald Trump einen Aufruf zum versuchten Staatsstreich ins Werk, bei dem leicht sein damaliger Vize Mike Pence und die frühere Top-Demokratin Nancy Pelosi ihr Leben hätten verlieren können.

Vorher übte sich der lupenreine Autokraten-Allüren aufweisende Narzisst in der Anstiftung zu Wahlfälschung. Seine lückenlos dokumentierten Versuche, im Bundesstaat Georgia nach der Wahl 2020 nachträglich knapp 12 000 Stimmen für ihn einzutreiben, um Joe Biden zu übertreffen, war ein Attentat auf die demokratische Grundordnung.

Dass Donald Trump illegal hoch geheime Regierungs-Papiere in seinem Privat-Domizil Mar-a-Lago hortete und monatelang darüber selbst gegenüber seinen Anwälte falsche Angaben machte, ist juristisch ebenfalls schwergewichtig. So sehr, dass ein Sonder-Ermittler des Justizministeriums demnächst empfehlen könnte, Trump wegen Verstoßes gegen das Spionage-Gesetze anzuklagen.

Die Hardcore-Anhänger Trumps sind nicht mehr zu erreichen

Für diese Taten, die bis heute von ihm und seinen meist hündisch ergebenen Republikanern im Kongress verharmlost und relativiert werden, hat Trump die volle Wucht und Unnachgiebigkeit des Rechtsstaates verdient.

Erst wenn hier Nägel mit Köpfen gemacht würden, könnte sich ein Teil der konservativen Wählerschaft (seine Hardcore-Fangemeinde ist für Argumente eh unrettbar verloren) genötigt sehen, sich endgültig von dem Demokratieverächter zu trennen. Erst dann würden auch die Stimmen derer im Partei-Establishment leiser, die sich heute aus Angst vor seinen Wählern artig hinter Trump versammeln.

Der Schweigegeld-Fall wiegt bisher als Rechtsverstoß hingegen so schwach auf der Brust, dass die schlichte Erzählung von der politischen gehässigen Justiz, die einen links der Mitte verhassten Präsidentschaftskandidaten beizeiten straucheln lassen wolle, auch in jenen Kreisen verfangen könnte, die 2024 die Wahl entscheiden: bei Gemäßigten und Parteiunabhängigen.