Washington. Bundeskanzler Scholz redet unter vier Augen vertraulich mit dem US-Präsidenten in Washington über den Krieg in der Ukraine.

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Wer wie Olaf Scholz knapp 18 Stunden Flugzeit auf der Route Berlin - Washington - Berlin in Kauf nimmt, um gut 60 Minuten, die meisten davon unter vier Augen, wegen des Krieges in der Ukraine mit dem amerikanischen Präsidenten zu verbringen, muss Wichtiges zu besprechen haben.

Um das zu ergründen, hat sich im Weißen Haus das Presse-Konferenz-Format „2 plus 2” etabliert. Jeweils zwei Reporter des Besucher- wie des Gastgeber-Landes dürfen im Anschluss an solche Begegnungen für gewöhnlich im ehrwürdigen East Room des Weißen Hauses Hausherr Joe Biden und Herrn oder Frau Gast Fragen stellen.

Schon bevor Scholz am Freitag um 14 Uhr neben Biden im Oval Office Platz Platz nahm, gut ein Jahr nach seinem Antrittsbesuch an gleicher Stelle, war klar, dass diese Art transparenter Öffentlichkeitsarbeit diesmal ausbleiben würde.

Präsident und Kanzler, sichtlich miteinander vertraut, beließen es nach der als „purer Arbeitsbesuch” deklarierten Kurz-Visite des Deutschen beim Privatissimum. So war es jüngst auch, als die Regierungsspitzen aus Japan, den Niederlanden und Brasilien bei Biden saßen.

Scholz zu Besuch bei Biden in den USA

Vertrauliches soll vertraulich bleiben, hieß es in Berlin. Zum Frommen der Stabilität der „transatlantischen Beziehungen”, die aus Scholz` Sicht „so gut sind wie seit Langem nicht”. Und die durch das reale Gespräch auf der „Grundlage von Vertrauen” weiterentwickelt werden sollen.

Biden überhäufte den deutschen Regierungschef bei der vierminütigen Begrüßung mit vom Zettel abgelesenen warmen Worten, lobte dessen Standfestigkeit und Führungsqualität und Deutschlands Rolle in der Bewältigung des Konflikts. Neben militärischer Hilfe habe Deutschland der Ukraine vor allem „profunde moralische Unterstützung” geleistet.

Scholz erwiderte die positiven Worte mit einem Dank an Biden für die stets kooperative und in enger Abstimmung verlaufene Koordination aller Maßnahmen für die Ukraine. Der SPD-Politiker sagte, es sei wichtig, das Signal an Moskau zu senden, dass die Alliierten in ihren Bemühungen für Kiew nicht nachlassen werden. „Wir werden helfen, solange es notwendig ist." Scholz wie Biden bezeichneten dieses Jahr als „sehr wichtig” für den Verlauf des Krieges. Der Kanzler betonte, dass Bidens Führungsstärke Dreh- und Angelpunkt sei im transatlantischen Verhältnis.

Was Scholz denkt über die Lage in der Ukraine, wie sich der von ihm so bezeichnete „furchtbare Angriffskrieg” Russlands entwickeln und wann er unter welchen Umständen enden wird, blieb hinter verschlossenen Türen.

Auch CNN-Zuschauer werden nicht viel chlauer sein, wenn am Sonntag sein einziges Interview ausgestrahlt wird. Scholz gab es vor dem Rückflug gegen 18 Uhr Ortszeit dem außenpolitischen Kopf des Senders, Fareed Zakaria. Abgesehen davon: Stillschweigen gegenüber den Medien.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Scholz hält Biden für "klug" und "besonnen"


Was die Spekulation befeuerte, Biden und Scholz wollten offizielle Nachfragen zu einer kleinen Verstimmung entgehen, die nicht in das Bild vom eng koordinierten, harmonischen Gleichschritt passt, das Biden wie Scholz über die amerikanisch-deutsche Vorgehensweise in der Ukraine-Krise seit Langem bemühen.


Jake Sullivan, Bidens Nationaler Sicherheitsberater, hatte neulich im Fernsehen erklärt, dass sein Präsident der Ukraine US-Abrams-Panzer nur deshalb mittelfristig in Aussicht gestellt hat, weil Olaf Scholz davon die kurzfristige deutsche Lieferung von Leopard-Panzern abhängig gemacht habe. Berlin sagt: Stimmt so nicht. Washington sagt: Stimmt doch. Aus dem Kanzler-Umfeld hieß es, man müsse nicht immer nach den tieferen Gründen suchen...

Mit Biden besuchte Scholz seinen politischen Leitstern. Der Kanzler (64) schätzt die erfahrungsgesättigte, unaufgeregte Herangehensweise des 16 Jahre älteren „elder statesman”, mit dem er sich im „strategischen Gleichschritt” sieht. Scholz hält Biden für „klug” und „besonnen” und auf der Höhe der Zeit.


Politisch kann diese jedoch für Biden bei der Wahl im Herbst 2024 enden. Sicherheitskreise in Washington weisen darauf hin, dass der Druck auf Anbahnung einer von Kiew mitgetragenen Verhandlungslösung innenpolitisch immer größer wird, sollte die Ukraine bis zum Herbst keine substanziellen Geländegewinne gegen Russland vorweisen können.

In den USA ist der Rückhalt für die bisher auf rund 113 Milliarden $ gestiegenen Hilfszusagen für die Ukraine in der Bevölkerung spürbar unter die 50-%-Grenze geschrumpft. Biden hat trotzdem ganz frisch ein weiteres, 400 Millionen Dollar schweres Militär-Hilfspaket aufgelegt. Zentraler Bestandteil: Munition.

Befürchtung: Peking könnte Russland Waffen liefern


Eine überschaubare Gruppe der Republikaner will Kiew dagegen den Geldhahn zudrehen. Begründung: Es gebe zu viele wichtige Baustellen und Bedürftigkeit in Amerika. Donald Trump und Ron DeSantis, die sich Hoffnungen auf die Präsidentschaftskandidatur 2024 machen, werfen Biden vor die USA in einen „Stellvertreter-Krieg” mit China zu verwickeln.

Biden fürchtet hingegen, dass Peking Russland Waffen liefern könnte, um das Momentum der Truppen von Präsident Wolodymir Selenskyj zu brechen. „Wir sehen zwar noch keine Aktivitäten”, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, „aber China hat die Pläne auch noch nicht vom Tisch genommen”.


Käme es zu derlei Stützungsmaßnahmen für Kreml-Herrscher Wladimir Putin sehen die USA Sanktionen gegen die Supermacht aufziehen. Für die Export-Nation Deutschland ein heikles Thema. Biden könnte Olaf Scholz gestern gefragt haben, wo seine Schmerzgrenze liegt.