Peking. Ab Sonntag tagt Chinas Nationaler Volkskongress. Xi Jinping beginnt dabei seine dritte Amtszeit – und stellt die Führungsriege vor.

Wie jedes Jahr bereitet sich die chinesische Hauptstadt in den ersten Märztagen auf den nahenden Volkskongress vor: Zehntausende Mitglieder der Nachbarschaftskomitees zeigen demonstrative Präsenz auf den Straßen, die Polizei hat an sämtlichen Brücken der Innenstadt kleine Wachposten unter Zeltplanen errichtet, und die Internetzensoren legen dieser Tage Sonderschichten ein.

Der Nationale Volkskongress, die alljährliche Tagung des chinesischen Scheinparlaments, ist ein einritualisiertes Polit-Ereignis von immenser Dimension: Knapp 3000 Abgeordnete aus allen Provinzen reisen für die zweiwöchige Veranstaltung nach Peking an. Gemeinsam mit ihren Sekretären und den Mitgliedern der gleichzeitig stattfindenden Konsultativkonferenz dürften sich deutlich über zehntausend Besucher in der Hauptstadt befinden.

Währenddessen blickt der Westen besorgt auf Chinas Rolle im Ukraine-Krieg: Zum ersten Jahrestag der russischen Invasion hatte Peking ein Positionspapier mit einer Forderung nach Waffenstillstand und Verhandlungen vorgelegt, das im Westen mit Enttäuschung aufgenommen wurde. Zudem lösten Spekulationen über mögliche Waffenlieferungen an Russland Besorgnis aus.

China: Xi Jinping stellt bei Volkskongress neue Führungsriege vor

Darum geht am Sonntag allenfalls am Rande. Doch die Gesetze, die sie während des Volkskongresses abnicken werden, liefern Beobachtern tiefe Einblicke in Chinas politische und wirtschaftliche Stoßrichtung der künftigen Monate. Und dieses Jahr ist obendrein ein ganz besonderes: Denn Xi Jinpings wird seine beschlossene dritte Amtszeit nun formell beginnen – und dabei auch seine neue Führungsriege an loyalen Ja-Sagern vorstellen.

Die besondere Aufmerksamkeit richtet sich auf die neue Nummer zwei: Li Qiang, Parteisekretär von Shanghai, wird wohl als künftiger Premierminister die wirtschaftlichen Geschicke leiten. Der 63-Jährige gilt zwar einerseits als unternehmerfreundlich und pragmatisch, doch hat gleichzeitig auch den katastrophalen, zweimonatigen Lockdown in der wirtschaftlichen Hafenmetropole vor genau einem Jahr zu verantworten.

Li Qiang (re.), Parteisekretär von Shanghai, ist die neue Nummer zwei hinter Präsident Xi Jinping.
Li Qiang (re.), Parteisekretär von Shanghai, ist die neue Nummer zwei hinter Präsident Xi Jinping. © AFP | NOEL CELIS

China: Die Spannungen mit den USA sind eine Belastung fürs Wirtschaftswachstum

Eine fixe Kennzahl, die gleich am ersten Tag des Kongress ausgegeben wird, ist das jährliche Wachstumsziel. Im dritten und finalen Jahr der „Null-Covid“-Politik konnte es erstmals seit langem nicht erreicht werden. Nun, nach der abrupten Corona-Öffnung im letzten Jahr, rechnen Experten damit, dass man für 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von etwas über fünf Prozent ausgeben wird.

Die Erholung läuft nach anfänglichem Zögern nun gut an. Die aktuellen Daten haben sogar sämtliche Erwartungen übertroffen: Laut dem staatlichen Einkaufsmanagerindex ist das herstellende Gewerbe im Februar so rasant gewachsen wie seit einer Dekade nicht mehr, und auch die Exporte haben erstmals seit zwei Jahren wieder zugelegt.

Dennoch sind die nachhaltigen Aussichten eher trüb: Die Immobilienkrise ist weiterhin nicht gelöst, die geopolitischen Spannungen mit den USA nehmen zu, und über dem langfristigen Aufstieg der Volksrepublik kreist bereits das Damoklesschwert des demografischen Wandels. Von daher sind gemessen am derzeitigen Entwicklungsstadium fünf Prozent Wachstum für China eigentlich zu wenig, wenn es mittelfristig zu den führenden Industrienationen aufschließen möchte.

Peking: Das Vertrauen internationaler Unternehmen ist nach „Null-Covid“ angekratzt

Zudem zeigen sich immer offener die Grenzen eines Marktes, der von einer zunehmend autoritären Partei überwacht wird: Das Vertrauen der internationalen Unternehmen wurde durch die radikalen und dogmatischen Corona-Lockdowns insbesondere des Vorjahrs angekratzt. Die heimischen Tech-Konzerne wurden durch politisch motivierte Regulierungskampagnen an die Kandare genommen.

Erst Mitte Februar war einer der einflussreichste Investmentbanker des Landes „verschwunden“. Über mehrere Wochen konnte Bao Fan, Gründer von „China Renaissance“, nicht einmal vom Firmenvorstand kontaktiert werden. Mittlerweile heißt es aus anonymen Kreisen, dass der 52-Jährige wohl wegen eines Korruptionsskandals von den Sicherheitsbehörden festgehalten wird – entweder als Informant oder aber als Beschuldigter.

Chinas Staatspräsident wird politische Kontrolle wohl weiter ausbauen

Wer die jüngsten Signale aufmerksam verfolgt hat, wird keinen Zweifel daran hegen, dass Xi Jinping seinen Kurs der politischen Kontrolle weiter fortsetzen wird: Höchstwahrscheinlich wird der mächtigste Staatschef seit Mao Tsetung die ideologische Lehre noch tiefer in die Verfassung einschreiben, den Finanzsektor umstrukturieren und den Einfluss der Partei auch innerhalb der Privatwirtschaft ausbauen.

Erst Ende Februar hat der Staatsrat gemeinsam mit dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei eine Direktive zur „juristischen Bildung und Theorieforschung“ herausgegeben, die sich gleichermaßen an Jura-Professoren sowie Wissenschaftler richtet. Darin wird eine „entschlossene Opposition und Boykott“ von „falschen westlichen Konzepten“ aufgerufen, wie etwa „Gewaltenteilung“, „Konstitutionalismus“ und „Unabhängigkeit der Justiz“.

Dieser Tage lässt sich leicht vergessen, dass sich Chinas Politapparat noch vor nicht allzu langer Zeit deutlich pluralistischer und liberaler gerierte als unter Xi Jinping. Beim internationalen Volkskongress wurde zwar noch nie ein Gesetz abgelehnt, doch die „nordkoreanisch“ anmutenden Abstimmungsergebnisse von bis zu 100 Prozent Zustimmung waren nicht immer die Norm. Als die Abgeordneten Anfang der 90er Jahre etwa über den umstrittenen Bau des Drei-Schluchten-Staudamms abstimmten, gab es nicht nur über 170 Gegenstimmen, sondern auch mehr als 600 Enthaltungen – heute wäre dies undenkbar.