Peking. Xi Jinping hat sich mit ideologischen Loyalisten umgeben. In Brüssel und Berlin gibt es Warnungen vor zu großer Abhängigkeit von Peking.

Als sich am Sonntagmittag in der Großen Halle des Volkes die goldene Tür öffnete, schritten die sieben mächtigsten Männer des Landes vor das Blitzlichtgewitter der Presse. Staats- und Parteichef Xi Jinping legte in jenem historischen Moment eine gewaltige Machtdemonstration aufs Parkett.

Sämtliche Kader des Ständigen Ausschusses des Politbüros, welche künftig den Kurs des Landes bestimmen, sind entweder ideologische Loyalisten oder langjährige Vertraute des 69-Jährigen. Xi verfügt nun im inneren Zirkel der Kommunistischen Partei Chinas über die absolute Kontrolle.

Der alte und neue Machthaber setzte sich über bisher respektierte Alters- und Amtszeitgrenzen hinweg. Er knüpft mit seiner Alleinherrschaft an den Staatsgründer und Revolutionär Mao Tsetung an. Der hatte unter der Parole „Der große Sprung nach vorn“ in den Jahren nach 1958 wirtschaftliche und soziale Verwerfungen und eine Hungerkatastrophe mit Millionen Toten ausgelöst.

Der zweitmächtigste Mann war verantwortlich für den Hammerlockdown in Schanghai

Der vielleicht größte Paukenschlag: Direkt hinter Xi folgte der Technokrat Li Qiang, der damit als gesicherter Premierminister gilt. Er wird also jenen Posten übernehmen, der unter anderem für die Wirtschaft der Volksrepublik verantwortlich ist.

Für viele Unternehmensvorstände dürfte dies ein absolutes Schreckensszenario darstellen. Denn Li boxte als Bürgermeister von Schanghai in diesem Frühjahr den wohl weltweit größten Covid-Lockdown durch. Die meisten der mehr als 25 Millionen Einwohner wurden zwei Monate in ihren Wohnungen eingesperrt und zu Hunderttausenden in unwürdige Quarantänelager eingepfercht.

Im System Xi kommt es auf absolute Loyalität statt Fachkompetenz an

Das sorgte für gigantische Probleme. Zeitweise brach die Nahrungsmittelversorgung in der wohlhabendsten Stadt des Landes zusammen. Der Hammerlockdown war ein riesiger ökonomischer Schlag gegen die Finanzmetropole, von dem diese sich möglicherweise nie mehr ganz erholen wird. Zu schwer wiegt allein der Image-Schaden der vollständigen Abriegelung Schanghais.

Damals hätte jeder Experte vermutet, dass Li Qiangs vielversprechende Karriere zu Ende sei. Doch unter Xi wurde er für seine dogmatische Art sogar zum zweitmächtigsten Mann des Landes befördert. Lis Leistung bestand schlichtweg darin, dass er absolut ergeben die Befehle aus Peking ausführte. Im System Xi kommt es auf absolute Loyalität statt Pragmatismus oder Fachkompetenz an.

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Europäische Firmenvertreter in China dürften stark verunsichert sein

Der nur alle fünf Jahre stattfindende Parteikongress hatte zum Abschluss seiner einwöchigen Sitzung das Gedankengut von Xi Jinping für den „Sozialismus chinesischer Prägung in einer neuen Ära“ und seine dauerhafte Führungsrolle tief in der Parteiverfassung verankert.

Ausländische China-Experten warnten einhellig, dass künftig noch mehr Ideologie statt Pragmatismus, mehr Abschottung statt Globalisierung und weniger Widerspruch oder interne Debatten zu erwarten seien.

Machtdemonstration gegen Abweichler: Ex-Präsident Hu Jintao (M.), ein Kritiker des Kurses von Staats- und Parteichef Xi Jinping (l.) wird auf dem Podium des Parteikongresses abgeführt.
Machtdemonstration gegen Abweichler: Ex-Präsident Hu Jintao (M.), ein Kritiker des Kurses von Staats- und Parteichef Xi Jinping (l.) wird auf dem Podium des Parteikongresses abgeführt. © dpa | Andy Wong

Europäische Firmenvertreter in China dürften stark verunsichert sein: Ihnen wurde spätestens am Sonntag klar, dass sich die ökonomischen Interessen des Landes auch in den nächsten Jahren ganz offensichtlich verstärkt ideologischen Prinzipien und politischer Kontrolle unterordnen müssen. Der Fokus auf reinem Wachstum ist passé.

Weber: Die EU muss ihre Naivität ablegen und neue Partner finden

In Brüssel und Berlin regte sich Kritik. Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, rief die EU zu einer neuen China-Politik auf. „China verändert sein Gesicht. Präsident Xi unterstreicht einen Machtanspruch im Inneren und nach außen’, sagte der CSU-Politiker unserer Redaktion. „Die EU muss sich darauf einstellen und ihre Naivität ablegen.“ Die EU-Staaten dürften ihre Rohstoffabhängigkeit nicht weiter erhöhen, sondern müssten neue Partner finden, forderte Weber.

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Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen appellierte an die Bundesregierung, sich aus der Abhängigkeit von China zu befreien. Die Konsequenz aus dem zu Ende gegangenen Parteikongress müsse sein, „endlich die Naivität im Umgang mit China zu beenden“, sagte er unserer Redaktion. „Die bestehende Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China ist unverantwortlich, sie weiter zu steigern gefährdet die Souveränität unseres Landes.“

Im Ständigen Ausschuss gibt es künftig kein ausgleichendes Element mehr

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) führe die deutsche Chinapolitik in die falsche Richtung, kritisierte Röttgen. Xi Jinping habe „den Übergang von einem autoritären System zu einer totalitären Diktatur erfolgreich absolviert“.

Im mächtigen Ständigen Ausschuss des chinesischen Politbüros gibt es künftig kein ausgleichendes Element mehr. Sämtliche Wirtschaftsreformer und Pragmatiker, allen voran der scheidende Premier Li Keqiang und sein enger Vertrauter Wang Yang, gehen nun in Rente. Möglicherweise wurden sie auch unter Zwang ins politische Aus gedrängt.

Xi schreibt die Regeln höchstpersönlich um

Li Keqiang war der vielleicht letzte Parteikader, der bei seinen Reden und öffentlichen Auftritten die realen Probleme der Bevölkerung ansprach, anstatt nur ideologische Phrasen zu dreschen. Dabei hatte der Ökonom zuletzt praktisch nur noch wenig zu sagen. In den Medien wurde ihm vom Parteiapparat höchst selten Aufmerksamkeit geschenkt. Leute wie er werden künftig vollständig verstummen.

Gleichzeitig brach Xi am Sonntag mit mehreren, jahrzehntealten Konventionen der Partei. Derzeit kann kein Mitglied des Ständigen Ausschusses Erfahrungen im Staatsrat vorweisen. Das letzte Mal war dies Anfang der 80er-Jahre der Fall.

Darüber hinaus setzte sich Chinas Alleinherrscher über die goldene Regel hinweg, dass die erste Reihe der Parteikader spätestens mit 69 Jahren abdanken muss. Xi fühlt sich derart sicher im Amt, dass er sich um solche Normen nicht mehr zu scheren braucht: Er schreibt die Regeln höchstpersönlich um.

Erstmals seit den späten 90er-Jahren sitzt keine einzige Frau mehr im Politbüro

Erstmals seit den späten 90er-Jahren sitzt keine einzige Frau mehr in dem 25-köpfigen Politbüro. Auch das ist ein trauriger Rückschritt, der wohl langfristige Auswirkungen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter haben wird: Auf Jahre hinaus wird jungen Chinesinnen ein politisches Vorbild fehlen, zu dem sie aufblicken können.

Was am Sonntag ebenfalls auffiel, war die extreme Stille im chinesischen Internet: Einige wenige Staatsjournalisten wollten auf der Online-Plattform Weibo ihre Glückwünsche in patriotischen Postings formulieren – vergeblich. Die Zensoren hatten bereits im Vorhinein die Kommentarfunktion blockiert. Mögliche Kritik sollte im Keim erstickt werden.

Auch auf der App Wechat, auf der viele patriotische Chinesen sonst massenhaft die Parteipropaganda teilen, blieb es ruhig. Es schien, als ob die politischen Ereignisse von der Alltagswirklichkeit der Menschen völlig abgekoppelt waren: Was im Pekinger Machtzentrum passiert, geht an den meisten der 1,4 Milliarden Chinesen vorbei. Ändern können sie an den politischen Verhältnissen ohnehin nichts.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de.

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