Berlin. Ist der Anti-Terror-Einsatz Castrop-Rauxel ein Erfolg für die Behörden? Einerseits ja. Aber es stellen sich auch unangenehme Fragen.

Der Anti-Terror-Einsatz in Castrop-Rauxel wirkt wie ein Weckruf. Dass es eine diffuse, nicht unerhebliche Gefährdungslage gibt, die vom islamistischen Terrorismus ausgeht, ist nicht neu. Aber ohne solche Ereignisse gerät das in den Hintergrund der Debatten, und man hat den Eindruck, die Politik habe es nicht so richtig auf dem Schirm. Denn die deutsche Terrorbekämpfung ist im Hinblick auf ihre organisatorische, materielle und personelle Aufstellung in einem besorgniserregenden Zustand.

Natürlich kann man einen Einsatz wie in Castrop-Rauxel zunächst auch als Erfolg verbuchen. Immerhin ist hier durch die Behörden womöglich verhindert worden, dass die Bevölkerung mit biologischen und chemischen Waffen angegriffen wird, die lokal unter ungünstigen Umständen eine tödliche Wirkung haben. Andererseits lässt aufhorchen, dass es wieder einmal ein "befreundeter Geheimdienst" gewesen sein soll, der den entscheidenden Hinweis gab.

Anti-Terror-Einsatz: US-Dienste durchkämmen Datenverkehr

Als vor vier Jahren in Köln ein Tunesier und seine deutsche Frau, die Chemikalien hergestellt und Testexplosionen ausgelöst hatten, festgenommen und später verurteilt werden konnten, war es auch der heiße Tipp eines ausländischen Dienstes, dem die Online-Käufe großer Mengen Rizinussamen verdächtig vorkamen. Unbestätigten Berichten zufolge handelte es sich damals um die CIA.

Alexander Marinos ist stellvertretender Chefredakteur der WAZ.
Alexander Marinos ist stellvertretender Chefredakteur der WAZ. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Nun ist es ja erfreulich, wenn "befreundete Dienste" unseren Behörden auf die Sprünge helfen. Nur muss die Frage erlaubt sein, ob das immer nur Zufall ist oder ob hier ein strukturell bedingtes Muster vorliegt.

Bekanntlich durchkämmen US-Dienste mit einiger Energie permanent den Datenverkehr in Deutschland. Während wir einerseits darüber die Nase rümpfen, profitieren wir andererseits immer wieder davon – wenn nicht gerade das Handy des Bundeskanzlers abgehört wird. Weitere Beispiele sind die sogenannte Sauerland-Gruppe, die 2007 möglichst viele US-Soldaten in der Nähe der Ramstein Air Base bei Kaiserslautern töten wollte, sowie die Al-Kaida-Zelle in Düsseldorf, die 2011 ausgehoben wurde.

Deutsche Behörden sind blind

So etwas wie eine "digitale Rasterfahndung" ist den deutschen Behörden im Inland untersagt. Dabei zeigt der Fall in Castrop-Rauxel einmal mehr, dass unsere hohen Standards beim Datenschutz im Ergebnis lebensgefährlich sein können. Schließlich sprechen wir über nach außen hin sonst unauffällige Einzeltäter, nicht über große Gruppen, die leichter auffallen.

Seien wir doch ehrlich: Uns fallen regelmäßig tonnenweise Steine vom Herzen, wenn die von uns so harsch kritisierte weltweite Abhörpraxis der USA Terroranschläge hierzulande verhindert. In gewisser Weise aber – Achtung, jetzt wird es zynisch! – passt eine solche Denkweise aber natürlich zum amtierenden Doppelmoral-Weltmeister Deutschland.

Finger nicht schmutzig machen?

Sicherheit lässt sich nicht exportieren. Dafür müssen wir schon selbst sorgen, auch wenn das bedeutet, dass sich deutsche Behörden immer wieder einmal die Finger schmutzig machen. Damit sie das künftig dürfen, sollte die Ampelkoalition jetzt überlegen, was grundgesetzkonform machbar ist und was nicht.

Dem Bundesinnenministerium zufolge haben wir es in Deutschland mit mehr als 100 "Gefährdern" zu tun. Das sind Islamisten, denen ein Anschlag zuzutrauen ist. Auch wenn die persönliche Gefahr für jeden einzelnen Bürger, Opfer eines solchen Anschlags zu werden, immer noch sehr gering ist und auch bleibt, so entfaltet Terror im Zweifel eine verheerende Wirkung auf die Zivilgesellschaft. Auf dem Spiel steht das Grundvertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates.

Dieser Text erschien zuerst auf waz.de