Mexiko-Stadt. Der Klimawandel steht oben auf der Agenda von Lula da Silva. Innenpolitisch muss die neue Regierung gegen viele Widerstände anregieren.

Die Weihnachtspause in der brasilianischen Politik war dieses Jahr kürzer als sonst. Zum neuen Jahr übernimmt der Linkspolitiker und zweimalige Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva wieder die Zügel in der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas. Eines seiner wichtigsten Ziele: Die Rettung des Regenwaldes.

Knapp drei Monate nach der Präsidentschaftswahl ist noch immer knapp die Hälfte der Brasilianerinnen und Brasilianer davon überzeugt, dass der 77-Jährige die Präsidentschaft Ende Oktober nur durch Betrug errungen hat und in den Knast gehört.

In der Folge belagern radikale Anhänger des scheidenden rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro weiterhin an manchen Orten die Kasernen und fordern ein Eingreifen des Militärs, um den Machtwechsel zu Neujahr zu verhindern.

Regenwald in Brasilien: Lula bringt Veränderung in Klimapolitik

Selten war der südamerikanische Riesenstaat so gespalten wie heute. Lula übernimmt ein Land, in dem sich der politische Streit längst grabentief und unversöhnlich in die Gesellschaft gefressen und Familien und Freundschaften gespalten hat. Schon die Besetzung des übergroßen Kabinetts macht dem künftigen Staatschef Kopfzerbrechen.

Lula musste von moderat rechts bis extrem links alle politischen Kräfte bedenken, die halfen Bolsonaro von der Macht zu verdrängen. Neben den vielen schweren politischen und wirtschaftlichen Aufgaben nach vier Jahren Bolsonaro steht Lula auch vor der Herausforderung, Brasilien zu einen.

Doch vorerst geht es darum, einen reibungslosen Machtwechsel ohne Ausschreitungen zu garantieren. Heiligabend nahm die Polizei einen Anhänger von Bolsonaro fest, weil er versucht hatte, einen Tanklaster in der Nähe des Flughafens der Hauptstadt Brasilia in die Luft zu sprengen. Daraufhin wurde für den Jahreswechsel das Tragen von Waffen untersagt.

Dass Bolsonaro bei der Amtsübergabe anwesend sein wird, gilt als unwahrscheinlich. Er hasst Lula, und zudem raten ihm seine Anwälte, das Land zu verlassen, falls nach dem Verlust der präsidialen Immunität am 31. Dezember Strafverfahren gegen ihn etwa wegen seines katastrophalen Managements der Corona-Pandemie angestrengt werden. Als eine seiner letzten Amtshandlungen verhängte Bolsonaro nach dem Tod von Pelé am Donnerstag noch einmal drei Tage Staatstrauer für das Fußball-Idol.

Eine der nach außen sichtbarsten Veränderungen wird in der neuen Umweltpolitik liegen. Brasilien, das zwei Drittel des Amazonas-Urwaldes beherbergt, will wieder ein globaler Player im Klimaschutz werden. Als eines der letzten Ministerien wurde das hochsensible Umweltressort an die Klimakämpferin Marina Silva gegeben.

In Bolsonaros ersten drei Jahren hat Zerstörung des Regenwalds stark zugenommen

Damit kehrt die kämpferische 64-Jährige nach 15 Jahren wieder auf Posten des obersten Klimawächters zurück. Die Gründerin der Grünen Partei war viele Jahre eine Verbündete Lulas, saß in seinen ersten Kabinetten als Umweltministerin, wandte sich aber 2008 wegen seiner Megaprojekte in der Amazonasregion von ihm ab.

Mit Silvas Rückkehr an seine Seite bekommt Lulas Wendung zum klimabewegten Kandidaten größere Glaubwürdigkeit. Für ihre Nominierung musste Lula Widerstände bei den Konservativen, den Unternehmern und auch vielen seiner Verbündeten überwinden. Denn Marina Silva gilt nicht nur als engagiert, sondern auch als kompromisslos in ihren klimaschützenden Maßnahmen.

Unter Bolsonaro nahm die Zerstörung des Amazonas dramatische Ausmaße an und erreichte ein 15-Jahres-Hoch. Das brasilianische Institut für Weltraumforschung (INPE) hat errechnet, dass die Zahl der zerstörten Waldflächen in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit um 73 Prozent zugenommen hat – für 2022 gibt es noch keine konsolidierten Daten.

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Auch während Lulas ersten beiden Amtszeiten zwischen 2003 und 2011 wurde der Amazonas abgeholzt. Aber der Linkspräsident dämmte laut INPE die Entwaldung in seiner Zeit um 70 Prozent ein. Dabei war er aber stets ein großer Freund von Megaprojekten im Amazonas wie dem Wasserkraftwerk Belo Monte.

Aber Lula 2.0 ist gewachsen am Thema und gesteht dem Umweltschutz nun absolute Priorität zu. Er ist heute ein großes Versprechen für den globalen Umweltschutz. Denn im Kampf für das in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Ziel kommt dem größten Land Lateinamerikas eine zentrale Rolle zu. Der Regenwald ist die grüne Lunge der Welt, der anderthalb Mal die Fläche der Europäischen Union umfasst. Er ist so für ein stabiles Weltklima entscheidend wichtig. Ein gesunder Regenwald bindet Kohlenstoffdioxid (CO2) in der Luft, das für die Erderwärmung verantwortlich ist.

Mit einem dem Umweltschutz verpflichteten Brasilien ist es nach Experteneinschätzung möglich, den „Tipping-Point“ nach hinten zu verschieben oder ganz zu verhindern. Ab diesem Kipppunkt nimmt der Urwald durch weitere Abholzung unwiederbringlichen Schaden.

"Werden Überwachung des Amazonasgebiets wieder aufnehmen"

Aber Lulas Null-Abholzung-Versprechen werde vorerst ein Wunschtraum bleiben, fürchtet Marcio Astrini, Generalsekretär der Klimabeobachtungsstelle „Observatório do Clima“. „Die Entwaldung wird im kommenden Jahr noch hoch sein.“ Denn es sei fast unmöglich, die Zerstörung in einem von Kriminellen und Milizen beherrschten Amazonasgebiet aufzuhalten. Aber schon eine deutliche Reduzierung des aktuellen Raubbaus wäre ein Gewinn.

Hier will der Linkspolitiker im Januar unmittelbar ansetzen. „Wir werden die Überwachung des Amazonasgebiets wieder aufnehmen und gegen alle illegalen Aktivitäten vorgehen - ob es sich nun um das Goldschürfen, den Bergbau, den Holzeinschlag oder die unrechtmäßige Nutzung von Ackerland und Viehzucht handelt", verspricht er. „Wir werden einmal mehr beweisen, dass es möglich ist, Wohlstand zu schaffen, ohne die Umwelt zu zerstören", unterstrich Lula.