Paris. Macrons Warnung, Deutschland isoliere sich in der EU, zeigt Wirkung. Berlin bemüht sich um Besserung – aber noch ist viel zu tun.

Ein Gewitter reinigt die Luft, weiß das Sprichwort. So gesehen hat der vehemente Vorwurf des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dass sich Deutschland in Europa isoliere, tatsächlich wie ein Gewitter gewirkt. Urplötzlich scheint den Regierenden in Berlin aufgegangen zu sein, dass sie ihren europäischen Partnern – vorneweg dem französischen Vorzugspartner – trotz der drängenden nationalen Probleme wohl doch ein wenig mehr Pflege angedeihen lassen müssen.

Nachdem sich bereits Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem eiligst anberaumten Tête-à-Tête mit dem verärgerten Macron in der Seine-Metropole sehen ließ und sich drei Stunden lang um das Ausräumen jener Irritationen bemühte, die sich in den letzten Monaten bei den Franzosen angestaut hatten, kam es im November zu einer regelrechten Demonstration bilateraler Abstimmung.

Nacheinander reisten die Minister Volker Wissing, Annalena Baerbock, Robert Habeck und Christian Lindner nach Paris, um das Gespräch mit ihren französischen Amtskollegen zu suchen. Im Gegenzug stattete schließlich die französische Regierungschefin Elisabeth Borne Berlin ihren ersten Amtsbesuch ab.

Peter Heusch.
Peter Heusch. © BM | nn

Paris und Berlin bemühen sich um Einigkeit

Wenn nach allen diesen bilateralen Treffen zumindest in einem Punkt auffällige Einigkeit herrschte, dann in der im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Beteuerung fast aller Teilnehmer, die deutsch-französischen Beziehungen seien von hervorragender Qualität.

Baerbock etwa versicherte vor ihrem Rückflug, dass sie schon deswegen nicht nach Paris gekommen sei, um Scherben wegzukehren, weil es gar keinen Scherbenhaufen gebe. Eine ziemlich kecke Behauptung nach den keineswegs allein in Paris kritisierten deutschen Alleingängen bei der Energieversorgung oder in Rüstungsfragen, die den Auftritten eines Elefanten im europäischen Porzellanladen verdächtig nahekamen.

Aber sie belegt auch, wie sehr man sich derzeit in Berlin wie Paris wieder darauf konzentriert, gemeinsame Linien zu finden.

Bemühungen zeigen Wirkung

Fruchtlos blieb der intensivierte Austausch jedenfalls nicht, was schon allein die Tatsache unterstreicht, dass der vor kurzem wegen nicht beizulegender Differenzen abgesagte deutsch-französische Ministerrat nun im Januar doch stattfinden wird.

Das sichtbarste Zeichen der Wiederannährung ist jedoch der Durchbruch bei dem schon totgeglaubten Kampfflugzeugsystem FCAS. Endlich konnte bei diesem wichtigen deutsch-französischen Rüstungsprojekt eine Einigung über die Finanzierung und den Bau eines flugfähigen Demonstrationsmodels erzielt werden.

Sogar in der Energiepolitik scheint sich eine gewisse, vorwiegend deutsche Kompromissbereitschaft abzuzeichnen. So hat Berlin nach langem Zögern nun doch eine formelle Solidaritätsvereinbarung zum Austausch von Strom und Gas mit Frankreich unterzeichnet.

Über die Form einer Deckelung des Gaspreises in der EU gehen die Meinungen zwar weiterhin auseinander, aber die Bundesregierung willigte ein, das bislang von ihr abgelehnte Vorhaben gemeinsamer europäischer Gaseinkäufe auf dem Weltmarkt mitzutragen.

Ganz und gar nicht in dieses halbwegs harmonische Bild passt freilich der langfristige Deal, den Deutschland soeben mit Katar über Flüssiggaslieferungen abschloss. Bemerkenswerterweise enthielt sich Paris diesmal jedoch jeglicher Kritik, was durchaus als Zeichen für einen sich langsam drehenden Wind zu werten ist.

Am Ende knirscht es doch

Halbwegs harmonisch – dieser Befund dürfte generell für die aktuellen Stand der deutsch-französischen Beziehungen gelten. Immerhin, so merkte Borne in Berlin schmallippig an, habe sich wieder einmal gezeigt, dass die Freundschaft krisenfest sei und in der Lage, Differenzen zu überwinden.

Eine Feststellung, die durchschimmern lässt, dass auf beiden Seiten des Rheins längst nicht alle Verstimmungen ausgeräumt sind.

In Berlin jedenfalls hat man den von Macron vor laufenden Kameras ausgestoßenen "Ordnungsruf" alles andere als lustig gefunden. Auch die Unverholenheit, mit der der Franzose seit dem Abgang von Angela Merkel den europäischen Führer gibt, wird an der Spree nicht wirklich goutiert.

In Paris hält sich derweil die Sorge, dass Scholz die deutsche Verantwortung für die EU weniger am Herzen liegt als seiner Vorgängerin und dass er zudem versucht sein könnte, in der Bemühung um gute transatlantische Beziehungen den protektionistischen Seiten des milliardenschweren Subventionsprogramms für die US-Industrie (Inflation Reduction Act) nicht energisch genug entgegen zu treten.

Können die Männer miteinander?

Von einem nun in Paris angedachten "European Buy Act" (sprich der systematischen Bevorzugung europäischer Firmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge), um zumindest den längst existierenden "American Buy Act" zu kontern, halten deutsche Regierungskreise überhaupt nichts.

Auf eine Bedrohung – und als solches wird der "Inflation Reduction Act" auch in Berlin angesehen – mit einer Provokation zu antworten, entspricht nicht der Scholzen Vorgehensweise. Es ist übrigens keineswegs auszuschließen, dass die bilateralen Spannungen zumindest zum Teil auf die unterschiedlichen Temperamente vom Macron und Scholz zurückzuführen sind.

Denn wenn Frankreichs forscher Präsident Schwierigkeiten haben soll, sich mit der norddeutschen Kühle des Kanzlers anzufreunden, ist es kein Geheimnis, dass die von Macron gerne praktizierte Diplomatie der "fruchtbaren Konfrontation" bei Scholz für aufgestellte Nackenhaare sorgt.

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