Paris. Marine Le Pen tritt die Parteiführung an ihren politischen Ziehsohn ab. In Wirklichkeit bleibt ihr Einfluss in Frankreich ungetrübt.

Jordan Bardella verdankt Marine Le Pen, die er am Samstag mit nur 27 Jahren als Parteichef des Rassemblement National (RN) beerbte, so gut wie alles. Bis hin zu dem stalinistisch anmutenden Votum, mit dem ihn die 40.000 Parteimitglieder in einer elektronischen Abstimmung aufs Schild hoben. 85 Prozent der abgegebenen Stimmen fuhr Bardella ein und setzte sich damit glasklar gegen seinen einzigen Konkurrenten Louis Aliot durch.

Freilich stand von vornherein fest, dass der 53-jährige Bürgermeister von Perpignan chancenlos sein würde. Schließlich hatte Marine Le Pen überdeutlich signalisiert, dass allein Bardella als ihr Nachfolger in Frage kam.

Zum ersten Mal seit 50 Jahren steht kein Mitglied der Familie Le Pen an der Spitze

Auch wenn nun zum ersten Mal seit 50 Jahren der ehemalige Front National nicht mehr von einem Mitglied der Familie Le Pen geführt wird, um eine Zäsur handelt es sich keineswegs. Die Geschichte der von Vater Jean-Marie Le Pen gegründeten und 39 Jahre lang gelenkten Partei, die ab 2011 von seiner Tochter Marine geführt wurde, ist und bleibt eine Familienangelegenheit. Zum einen, weil sowohl Bardella als Lebensgefährte einer Nichte der scheidenden Parteichefin als auch Aliot, der 10 Jahre lang ihren Tisch und ihr Bett teilte, zum Clan Le Pen zu zählen sind.

Zum zweiten ist völlig klar, wer auch weiterhin den Ton beim Rassemblement National angibt: Marine Le Pen. Ihr Rückzug als RN-Chefin ist ein rein wahltaktisches Kalkül. Er fand übrigen schon im September 2021 stand, als sie Bardella kommissarisch die Parteiführung übertrug, um sich auf ihre dritte Präsidentschaftskandidatur zu konzentrieren.

Die 54-jährige Anwältin wollte nicht länger als Präsidentin der Rechtsextremen wahrgenommen werden, sondern als potenzielle Präsidentin aller Franzosen. Und daran hat sich nichts geändert, selbst wenn sie bei den letzten Präsidentenwahlen erneut den Kürzeren gegen Staatsoberhaupt Emmanuel Macron zog.

Le Pen will 2027 den Elysée-Palast erobern

Le Pen setzt jetzt darauf, 2027 den Elysée-Palast zu erobern. Mit dem ihr treu ergebenen Bardella als Steigbügelhalter. Beides bestätigte der neue RN-Chef indirekt in seiner Antrittsrede, in der er seine Vorgängerin gleich doppelt würdigte. Zum einen hob er die von Le Pen im Juni übernommene Rolle als Fraktionschefin der RN-Abgeordneten im Parlament hervor.

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Mit ihr als „Oppositionsführerin“ (tatsächlich stellt der RN mit 89 Abgeordneten die zweitstärkste Kraft in der Nationalversammlung hinter der über keine absolute Mehrheit verfügendenden Präsidentenpartei Renaissance) sei man „nur noch eine Stufe von der Macht entfernt“, betonte Bardella. Zum zweiten verbeugte er sich „in Dankbarkeit“ vor seinen „beiden Müttern“. Allen Zuhörern war die Anspielung klar, die sich auf seine biologische Mutter Luisa Bardella und seine politische Mutter Marine Le Pen bezog.

Le Pen wird auf den bereits als Gymnasiast dem Front National beigetretenen Jordan Bardella aufmerksam, als ihn die Jugendorganisation der Partei, Génération national, zu ihrem Vorsitzenden kürt. Ein Jahr später stellt sie den rhetorisch versierten Geographiestudenten als Spitzenkandidaten für die Europawahlen auf, aus der der Front National als stärkste Partei des Landes hervorgeht.

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Ein Erfolg, der zumindest zum Teil auch dem nun mit erst 24 Jahren ins Europaparlament einziehenden Bardella gutgeschrieben wird. Le Pen jedenfalls setzt große Hoffnungen und großes Vertrauen in den Jungstar, der bald schon als „Liebling“ der Chefin gilt.

Bardella für eine stramm rechtsnationale Linie

Der mit dem Äußeren eines idealen Schwiegersohns und eloquenten TV-Aufritten punktenden Bardella steht für eine stramm rechtsnationale Linie, die sich von der seit nunmehr fünf Jahren gemäßigtere Töne anschlagenden Le Pen abhebt.

Wobei letztere in Gefahr läuft, mit ihrer „Strategie der Entdämonisierung“ in jenem Maße rechtsextreme Stammwähler zu verlieren, wie sie gemäßigtere Wählerschichten anzuziehen versucht. Bardella, so vermuten zahlreiche Beobachter daher, könnte auch deswegen als neuer Parteichef favorisiert worden sein, weil er die Le Pen zunehmend skeptisch gegenüberstehenden „Traditionalisten“ bei der Stange zu halten verspricht.