Berlin. In dem AKW-Machtwort von Olaf Scholz steckt weniger Basta als zunächst scheint. Zu oft sollte der Kanzler die Taktik nicht anwenden.

Endlich Ruhe im Karton – so dürften viele Bürgerinnen und Bürger das Einschreiten des Kanzlers in den Atomzwist zwischen FDP und Grünen empfunden haben. Die Sorgen in der Bevölkerung vor dem Winter sind angesichts der dramatischen Energiekrise groß.

Da mag es die einen beruhigen, dass auch das letzte Atomkraftwerk über die Silvesternacht hinaus am Netz bleiben soll. Andere dürften mit dem Machtwort von Olaf Scholz vor allem die Hoffnung verbinden, dass sich die Regierung nun wieder auf andere Aufgaben wie die Umsetzung der versprochenen Gaspreisbremse konzentriert.

Vizekanzler Robert Habeck und FDP-Chef Christian Lindner glichen am Ende zwei Katern, die sich im Streit um die AKW-Laufzeiten gegenseitig bis auf die Krone eines Baums gejagt hatten – und von dort nicht mehr allein herunterkamen. Passend dazu waren aus der SPD zuletzt oft die Mahnungen zu hören gewesen, die beiden möchten ihr Geraufe doch schleunigst einstellen, damit wieder regiert werden könne. Nach der Lesart ist Olaf Scholz ist nun mit der Leiter gekommen und hat Habeck und Lindner eine gesichtswahrende Lösung ermöglicht, indem er die Entscheidung über die AKW-Laufzeiten übernahm.

Lindner und Habeck war ein Nachgeben nicht mehr möglich

Es stimmt: Lindner und Habeck standen so unter Druck, dass ihnen ein Nachgeben nicht ohne größeren politischen Schaden möglich war. Der FDP-Vorsitzende hatte nach dem Landtagswahl-Desaster in Niedersachsen angekündigt, das Profil seiner Partei wieder zu schärfen. Ausdrücklich nannte Lindner die Frage der Atomkraft-Nutzung. Habeck kam in die letzte Verhandlungsrunde mit Scholz und Lindner direkt von einem Grünen-Parteitag, auf dem ihm die Delegierten sehr enge Fessel in der Frage angelegt hatten.

Viele Menschen sind vor dem Winter in Sorge um die Versorgung mit Strom und Gas.
Viele Menschen sind vor dem Winter in Sorge um die Versorgung mit Strom und Gas. © AFP | Ina Fassbender

Nun bleibt auch das letzte AKW etwas länger am Netz, was die FDP erfreut. Neue Brennelemente werden aber nicht besorgt, was die Grünen als ihren Erfolg verkaufen. Lindner und Habeck können daher froh darüber sein, dass Scholz ihnen durch sein Machtwort diesen Ausweg bot.

In dem Machtwort steckt weniger Basta als es scheint

Und der Kanzler selbst, dessen Fähigkeit zur Führung in den vergangenen Monaten immer wieder in Zweifel gezogen worden war, kann sich als mutiger Koalitionschef präsentieren, der mit der Faust auf den Tisch gehauen hat. Also ein Ausgang mit drei Gewinnern? Der Rückgriff des Kanzlers auf seine Richtlinienkompetenz hat viele in der Ampel-Koalition überrascht, Lindner und Habeck wird der Brief aus dem Kanzleramt jedoch nicht überrumpelt haben.

Lesen Sie auch: Bundeskanzler Scholz beendet Atomstreit mit Machtwort

Jan Dörner, Politikredakteur Funke Zentralredaktion
Jan Dörner, Politikredakteur Funke Zentralredaktion © Privat | Privat

Auch wenn in diesem Kanzler-Machtwort also weniger Basta steckt, als es öffentlich den Anschein hat, birgt der Ausgang dieses Streits auch Gefahren für die drei Spitzenvertreter der Koalition. Es hinterlässt kein gutes Bild, wenn sich FDP und Grüne getrieben von Parteipolitik derart in einer energiepolitischen Frage verhaken, während die Menschen im Land nicht wissen, ob sie in den kommenden Monaten Strom und Gas haben – und zu welchem Preis.

Der Kanzler hat dem Streit zu lange zugeschaut, ohne sich selbst klar zu positionieren. Das war ein Fehler.

Die Richtlinienkompetenz ist das schärfste Schwert des Kanzlers

Denn erst dadurch ist die Machtwort-Lösung erforderlich geworden. Scholz nutzte seine Befugnisse nun für einen Minimalkonsens, der ihm aber in Verhandlungen nicht möglich gewesen ist. Das ist Zeichen von Schwäche, nicht von Führung. Was passiert, wenn es das nächste Mal in der Koalition kracht?

Die Richtlinienkompetenz ist das schärfste Schwert eines Kanzlers. Zu oft sollte es nicht gezogen werden, sonst wird es stumpf. Dann wird aus Autorität schnell Macht- und Kontrollverlust.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.