Bogotá. Uruguay hat es geschafft, fast die gesamte Energie aus Erneuerbaren zu erzeugen. Taugt das südamerikanische Land deswegen als Vorbild?

Wer in diesen Zeiten der globalen Energiekrisen nach Beispielen für zukunftsweisende Lösungen sucht, der stößt irgendwann auf ein kleines Land fast am Ende der Welt. Blickt man in das südamerikanische Uruguay, kann man viel darüber lernen, wie Energieengpässe zu bewältigen sind, ohne auf fossile Brennstoffe und Importe zurückgreifen zu müssen.

Uruguay hat in wenigen Jahren fast vollständige Autarkie – Unabhängigkeit – bei der Energie erreicht. Dabei wird annähernd der komplette Bedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Uruguay ist mit seinen Hochebenen und Hunderten von Kilometern Meeres- und Flussküste ein idealer Standort für die Erzeugung von Solar-, Wind- und Wasserkraft.

Neben den Vorteilen der Natur und der Geografie gibt es aber vor allem einen politischen Konsens, von dem sich in Europa fast alle Länder – insbesondere Deutschland – etwas abschauen können. Uruguay hat es geschafft, eine langfristige strategische Energievision zu entwickeln. Sie wird von allen politischen Akteuren gestützt und setzt vor allem auf die Nutzung und den Ausbau der eigenen Ressourcen.

Heute exportiert Uruguay Strom in die Nachbarländer Argentinien und Brasilien

So hat sich das kleine Uruguay in den vergangenen zehn Jahren als eines der Vorzeigeländer beim Umbau zur „green economy“ profiliert. In Lateinamerika sowieso, aber auch im globalen Vergleich. Heute exportiert Uruguay sogar Elektrizität in die beiden großen Nachbarländer Argentinien und Brasilien. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es in Uruguay mehr Rinder als Menschen gibt. In dem Land südlich des Rio de la Plata leben nur 3,5 Millionen Einwohner.

Windräder in Schleswig-Holstein: Das südamerikanische Land Uruguay deckt bereits 40 Prozent seines Strombedarfs aus Windenergie.
Windräder in Schleswig-Holstein: Das südamerikanische Land Uruguay deckt bereits 40 Prozent seines Strombedarfs aus Windenergie. © dpa | Christian Charisius

Nach Angaben des uruguayischen Ministeriums für Industrie, Energie und Bergbau (MIEM) stammten im vergangenen Jahr 94 Prozent des verbrauchten Stroms aus nachhaltigen Quellen. An der Spitze lag die Windenergie mit 40 Prozent, gefolgt von Wasserkraft (30 Prozent), Biomasse (20 Prozent) und Solarenergie (vier Prozent). Nur sechs Prozent des Strommixes kamen laut dem Ministerium aus fossilen Brennstoffen.

Das kleine Land gehört zu den größten Produzenten von Windenergie

Der Klimachampion am Südzipfel Südamerikas gehört mittlerweile im globalen Vergleich – auf die Einwohnerzahl bezogen – zu den größten Produzenten von Windenergie. Dabei war das Land noch bis 2007 ein Importeur von fossiler Energie.

Nach einem Jahrzehnt der Dürre zwischen 1997 und 2007 war der Anteil der Wasserkraft am Energiemix von 90 auf 50 Prozent gesunken. Das Land sah sich gezwungen, Energie im Ausland einzukaufen. Die Regierung in Montevideo gab mehr als 2,8 Milliarden US-Dollar pro Jahr für die Einfuhr fossiler Brennstoffe aus.

2008 suchte die damalige Linksregierung der Frente Amplio nach einer Möglichkeit, von Einfuhren und vor allem Öl-Importen unabhängig zu werden. Sie verabschiedete einen 25-Jahres-Plan, der sich auf Wind, Sonne und Biomasse konzentrierte.

Die Regierung legte einen 25-Jahre-Energieplan auf

Mit Hilfe der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) schuf Uruguay ein günstiges Umfeld für Auslandsinvestitionen: transparente Ausschreibungen mit Sicherheit und Anreizen für Investoren. Beides ist eher eine Seltenheit in Lateinamerika. Zwischen 2010 und 2015 haben der Staat und vor allem private internationale Investoren mehr als sieben Milliarden US-Dollar in erneuerbare Energien investiert.

Auch nach dem Machtwechsel zu einer konservativen Regierung im Jahr 2020 hielt der neue Präsident Luis Alberto Lacalle Pou an dem 25-Jahre-Energieplan fest. Das sei eines der Geheimnisse des Erfolgs Uruguays, sagt Ramón Méndez, Energieminister zwischen 2008 und 2015. Links und Rechts zögen bei diesem Thema an einem Strang. „Die volle Unterstützung aller politischen Kräfte, die Schaffung eines investorenfreundlichen Umfelds und eine flexible Politik der jeweiligen Regierungen öffneten die Tür für einen Wandel in der Energiemischung innerhalb nur weniger Jahre.“

Uruguay investiert weiterhin jährlich rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Energieinfrastruktur. In dem von der Denkfabrik REN 21 erstellten „Renewables Global Status Report“ rangiert das kleine südamerikanische Land weltweit an fünfter Stelle, was die Investitionen in erneuerbare Energien im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung betrifft.

Kehrseite: Die Kosten für den grünen Strom sind sehr hoch

Ende 2019 stufte die Internationale Energieagentur (IEA) den Staat in Bezug auf die Energieerzeugung als führend in Lateinamerika ein. Dabei trugen noch im Jahr 2005 weder Wind- noch Solarenergie zur Elektrizitätsproduktion Uruguays bei.

Diese schönen modernen Energiezeiten haben allerdings eine Kehrseite. Die Kosten für den grünen Strom sind sehr hoch. Das liegt vor allem an vielen ausländischen Investitionen. Diese Kosten werden auf die Kunden umgelegt.

Der gesamte öffentliche Nah- und Fernverkehr soll auf E-Energie umgerüstet werden

In der Folge sind die Energiekosten in Uruguay im regionalen Vergleich höher als anderswo. Im August 2021 zahlten die Kunden laut dem Energieversorger SEG Ingeniería 242 Dollar pro Megawattstunde. In Chile waren es nur 179 Dollar, in Brasilien 165 Dollar, in Argentinien 66 Dollar und in Paraguay 59 Dollar.

Aber dennoch geht die grüne Revolution in Uruguay unaufhaltsam weiter, auch damit die Kosten irgendwann fallen. Bis 2030 soll die Abhängigkeit von der Wasserkraft weiter verringert werden, indem der Anteil von Wind, Sonne und Biomasse erhöht wird. Zudem steht die „zweite Energiewende“ an. Auch der gesamte öffentliche Nah- und Fernverkehr soll auf Elekto-Energie umgerüstet werden. Folgen soll die komplette Industrie des kleinen Landes.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.