Berlin. Gibt es einen diplomatischen Ausweg aus dem Ukraine-Krieg? Putin hält diese Illusion nur künstlich aufrecht, meint Michael Backfisch.

Angesichts der Brutalität des russischen Angriffskrieges in der Ukraine fragen sich einige im Westen: Gibt es nicht doch einen diplomatischen Ausweg? Immerhin sprechen die Vertreter der Ukraine und Russlands wieder miteinander – dieses Mal in Istanbul.

Mit einer ordentlichen Dosis Hoffnung könnte man die Signale aus beiden Richtungen als Prozess einer leichten Annäherung lesen. Der ukrainische Präsident Selenskyj scheint bereit, über eine Art Neutralitätsstatus für sein Land nachdenken zu wollen.

Auch in die Frage der Krim und jener der selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk im Donbass ist offenbar Bewegung gekommen. Aus Moskau heißt es neuerdings, das oberste Ziel sei eine Stabilisierung der Lage in der Ostukraine. Von einem Regierungswechsel in Kiew sowie einer Entmilitarisierung des ganzen Landes ist nun nicht mehr die Rede. Mehr zum Thema: Ukraine teilen? Die "koreanische Lösung" – Putins Optionen

Politik-Korrespondent Michael Backfisch.
Politik-Korrespondent Michael Backfisch. © Reto Klar | Reto Klar

Ukraine-Krieg: Diplomatische Lösung nahezu unmöglich

Wenn Russlands Präsident Putin ein Mann des politischen Kompromisses wäre, könnte man dies als Chance für einen Brückenschlag sehen. Leider ist die Grundannahme falsch. Putin hält aus taktischen Gründen die Illusion einer Verhandlungslösung aufrecht. Den Westen will er damit von einer Verschärfung der Sanktionen abbringen. Nach dem Motto: An der diplomatischen Front gibt es Fortschritte.

Gleichzeitig werden aber russische Truppen für neue Angriffswellen umgruppiert, zum Teil alte durch frische Kräfte ersetzt und dringend benötigte Nachschublinien neu installiert.

Vor diesem Hintergrund sehen westliche Diplomaten leider keinen Verhandlungsspielraum. Hinter vorgehaltener Hand wird von einer „Kriegsdiktatur“ Putins gesprochen. Der Kremlchef verwende eine Sprache, die an den Stalinismus der 1930er-Jahre erinnere. Die Ankündigung von „Säuberungen“, die Unterscheidung zwischen „wahren Pa­trioten“ und „Verrätern“ sei eine Kampfansage an alle, die auch nur eine Sekunde lang zögern, den von oben verordneten Kurs nicht mitzutragen.

Putin sieht in Selenskyj eine Marionette Amerikas

Putin exekutiert maximale Repression nach innen und bei der Schaffung eines neuen Großrusslands maximale Aggression nach außen. Der Westen muss im russischen Propagandanarrativ als das überdimensionale Feindbild herhalten, das jedwede Opposition in Russland von außen steuert. In Putins Logik ist auch Selenskyj lediglich eine Marionette Amerikas – in völliger Verkennung der Westorientierung, die sich nach den Maidan-Protesten von 2014 in der gesamten ukrainischen Bevölkerung ausgebreitet hat.

Der Westen darf nicht in Putins Angst-Falle tappen. Wenn der russische Präsident indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, müssen Amerika und Europa mit größtmöglicher Abschreckung dagegenhalten. Putin sollte im Unklaren gelassen werden, was ihm als Antwort droht. Autokraten wie er sind keine Selbstmörder, Machterhalt geht ihnen über alles.

Ukraine-Krieg: Westen muss geschlossen auftreten

Auch für die Sanktionsfrage gilt das Prinzip der Abschreckung. Das Instrument eines sofortigen Totalimportstopps für russisches Gas, Öl und Kohle darf nicht aus der Hand gegeben werden. Europa muss sich ohnehin auf dieses Szenario einstellen, sollte Putin im Streit um den Zwang zur vertragswidrigen Bezahlung mit Rubel den Gashahn zudrehen.

Bundeskanzler Scholz hat es auf den Punkt gebracht: „Wir müssen alle darauf vorbereitet sein, dass wir einen Nachbarn haben, der gegenwärtig bereit ist, Gewalt auszuüben, um seine Interessen durchzusetzen.“ Es darf als Motto für einen neuen Berliner Realismus gelten. Jetzt muss nur noch mit entsprechender Konsequenz gehandelt werden. Wenn der Westen fest, geschlossen und wehrhaft auftritt, muss niemandem bange sein.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt