Berlin . Der Ukraine-Krieg wird für Russland ruinös. Die Sanktionen treffen die Volkswirtschaft hart, Ökonomen schließen eine Pleite nicht aus.

Bei 10.000 US-Dollar ist Schluss. So viel, nur so viel, dürfen Russen seit Mittwoch von ihren Devisen-Konten abheben. Bei höheren Beträgen wird der Rest in Rubel zum Tageskurs ausgezahlt. Wer kein Devisenkonto hat, kann überhaupt kein ausländisches Geld mehr kaufen.

Der 16. März ist ein Datum, das Finanzexperten im Blick haben. Dann werden Zinszahlungen fällig: Über 100 Millionen Dollar muss Russland zahlen. Knapp drei Wochen später läuft eine Anleihe über zwei Milliarden US-Dollar aus. "Wir sehen einen Zahlungsausfall als wahrscheinlichstes Szenario“, schreibt die US-Investmentbank Morgan Stanley ihren Kunden.

Bald pleite? Warum sich Putin verkalkuliert hat

Das Risiko, dass Russland seine Staatsschulden nicht zurückzahlen kann, stehe "unmittelbar bevor", befindet die Ratingagentur Fitch, Moodys sieht Russlands Kreditwürdigkeit längst im Ramschbereich. Kurzum: eine hochriskante Anlage. Wer immer noch Russland Geld leiht, wird auf hohe Zinsen pochen.

Frühmorgens in Deutschland: Millionen checken die (Front)Nachrichten. Sie wollen wissen, wie der Krieg in der Nacht weiter gegangen ist. Was die wenigsten begriffen haben: Es gibt noch ein Schlachtfeld, an den Börsen, in den Banken, in der Wirtschaft. Und in diesem Krieg wird Russlands Präsident Wladimir Putin in die Defensive gedrängt. Die Alarmsignale:

  • Der Rubel ist nach Kriegsbeginn auf Rekordtief gestürzt. Die Zentralbank kämpft mit Rekordzinsen dagegen an.
  • Russland hat dem Finanznachrichtendienst Bloomberg zufolge 49 Milliarden an Staatsanleihen in Dollar und Euro offen. Das sind zwar geringe Auslandschulden, zumal wenn ihnen Geldreserven von etwa 630 Milliarden US-Dollar gegenüberstehen. Nur lagert dieses Kapital größtenteils im Westen. Die russische Zentralbank wird sanktioniert und kommt deswegen nicht an das Kapital im Ausland heran.
  • US-Präsident Joe Biden erließ am Dienstag ein Importverbot für Rohöl aus Russland. Das führt zu Verlusten von eingeplanten Einnahmen.
  • Die Ratingagenturen werden von den USA dominiert, das Swift-Finanztransaktionssystem sitzt in Belgien. Die Europäische Union (EU) klemmte einige russische Banken davon ab. Russlands Abhängigkeit wird offensichtlich.
  • Großunternehmen stellen ihre Handelsbeziehungen ein: Die Energieriesen Shell, BP und ExxonMobil. Siemens will keine Neugeschäfte mit Russland eingehen. Fraport lässt seine Geschäftstätigkeiten ruhen. Das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 wird abgeschrieben; die Mitarbeiter wurden entlassen. McDonalds, Coca-Cola, Starbucks, Apple – sie alle setzen den Verkauf aus oder schließen ihre Filialen in Russland. BMW stoppt den Bau von Autos, Ford zieht sich ganz zurück. Für russische Verbraucher wird unübersehbar, dass ihr Staat nicht zuletzt ökonomisch geächtet wird.

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Sollten chinesische Konkurrenten einspringen, wollen die USA sie auf eine schwarze Liste setzen. Die Unternehmen werden dann von amerikanischen Equipment und Software abgeschnitten, wie US-Handelsministerin Gina Raimondo der Zeitung "New York Times" erklärte. Die einzige ökonomisch gute Nachricht für Kremlherr Putin ist dieser Tage, dass Russlands wichtigster Gaskunde ihm die Treue hält. Und dieser Kunde ist Deutschland.

Hat er sich buchstäblich verkalkuliert? Oder nimmt Russlands Präsident Wladimir Putin den horrenden ökonomischen Preis für den Ukrainekrieg einfach in Kauf?
Hat er sich buchstäblich verkalkuliert? Oder nimmt Russlands Präsident Wladimir Putin den horrenden ökonomischen Preis für den Ukrainekrieg einfach in Kauf?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sperrt sich gegen ein Kohle-, Öl- und Gasembargo. Die Bundesregierung sorgte auch dafür, dass die Gazprom-Bank nicht von Swift abgeklemmt wurde. Während auf den Schlachtfeldern Russen und Ukrainer aufeinander schießen, fließen durch die Pipeline quer durch das kriegsgeschundene Land täglich 109,5 Millionen Kubikmeter Gas, wie ein Gazprom-Sprecher erklärt. Mit steigenden Einnahmen, da der Preis steigt.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Wenn er alle Puzzleteile zu einem Bild zusammenfügt, ergibt sich für den Präsidenten des Berliner DIW-Instituts, Marcel Fratzscher, ein Gemälde, in dem Schwarz dominiert. Der Ökonom hält eine Staatsschuldenpleite Russlands in den kommenden Monaten für sehr wahrscheinlich. Schon im Frühsommer könnte es so weit sein.

Sanktionen – russischen Banken droht die Zahlungsunfähigkeit

Aufgrund der westlichen Sanktionen wegen des Kriegs bestehe ein hohes Risiko, dass Russland seine Schulden bei internationalen Investoren nicht bediene, sagte Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur. Bei einem Zahlungsausfall könne es zu Verwerfungen auf den Finanzmärkten kommen.

„Kunden außerhalb des eigenen russischen Zahlungssystems werden Gelder auf den Konten bei russischen Banken schnell abziehen wollen, oder schon abgezogen haben. Banken droht die Zahlungsunfähigkeit wegen Bank-Run. Das ist ja mit EU-Töchtern der Sberbank schon passiert“, erläutert DIW-Forscherin Dorothea Schäfer.

Star-Ökonom weist auf Schaden für westliche Wirtschaft hin

"Diese Sanktionen, die verhängt werden, kommen einer Kriegserklärung gleich", erkannte Putin, Was macht jemand, der in die Ecke gedrängt wird? Er schlägt um sich. Fratzscher befürchtet eine Ausweitung des Konflikts auf das globale Finanzsystem, "bei dem Russland und seine Partner versuchen werden, Verwerfungen zu verursachen, um der Wirtschaft des Westens zu schaden“.

Unter einer russischen Staatspleite würden laut Fratzscher auch deutsche Investoren leiden, darunter einige Banken. Allerdings dürfte bei diesen Geldhäusern vor allem das private Kreditgeschäft beeinträchtigt werden.

Die Folge ist schon jetzt – neben den hohen Energiepreisen für Verbraucher – ein Klima der Unsicherheit. Eine typische Nachricht dieser Tage: Nach zwei verlustreichen Jahren verdient Continental wieder deutlich besser. Zugleich stellt sich der Reifenhersteller wegen des Krieges in der Ukraine und weiterer Risiken aber auf neue Probleme für die globale Autobranche ein. Trübe Aussichten.

Noch handeln Banken und Unternehmen im politischen Affekt. Niemand möchte sich nachsagen lassen, dass er einen Aggressor unterstützt. Der Imageschaden wäre zu groß. Aber irgendwann wird sich der Pulverdampf legen, buchstäblich wie bildlich, und dann werden Unternehmen ausrechnen, was ihnen dieser ökonomische Krieg gekostet hat.

Droht der Bundesregierung eine Klagewelle nach dem Krieg

Viktor Winkler wartet darauf. Von Sanktionen betroffen seien nicht nur russische Unternehmen, die gar nichts mit dem Krieg zu tun haben, "sondern in der Folge auch ihre deutschen Zulieferer und Geschäftspartner", wie der Rechtsanwalt und Sanktionsexperte unserer Redaktion erklärte.

Er berichtet von Unternehmen, dem die Finanzierung eines Projekte wegbricht, nur weil bei einem Joint-Venture auch russische Firmen beteiligt sind, manchmal sogar nur am Rande, "häufig ganz entfernt".

Die Angst geht um: Vor dem Ripple-Effekt

Fachleute sprechen von einem Ripple-Effekt. Gemeint ist eine Art Kettenreaktion. Weil Russland weltweit geächtet wird, kündigen Banken oder sonstige Vertragspartner Transaktionen, Finanzierungen oder Zusagen. Legal, illegal, egal. Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.

Doch die Ruhe an der juristischen Front ist trügerisch. "Hinter den Kulissen lassen viele Unternehmen längst prüfen, den Staat für Schäden durch Sanktionen - die eingetretenen, aber auch die befürchteten – in Haftung zu nehmen“, erzählt Winkler.

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Der Staat ist nach seiner Ansicht verpflichtet, die Sanktionswirkungen auf Unbeteiligte in zumutbarer Weise von vornherein zu minimieren. "Der Staat hat in dieser Hinsicht versagt", kritisiert Winkler.

Sanktionen: Sind sie völkerrechtlich wirklich koscher?

Die Frage ist, ob einigen Unternehmen im Russland-Handel übergebühr ein Sonderopfer abverlangt wird – und ob deswegen ein staatlicher Entschädigungsfonds notwendig sein wird. Auch völkerrechtlich sind die Sanktionen angreifbar, die ja nicht von der UNO beschlossen werden.

Die westlichen Staaten haben ausdrücklich die Wirtschaft Russlands als Ganzes im Visier, nicht allein irgendwelche militärisch bedeutenden Finanzierer. Problematisch daran könnte sein, so Winkler, dass Sanktionen nur Gefahren abwehren dürften, nicht aber "bestrafen". Nur Gefahrenabwehr sei erlaubt, "und Verhältnismäßigkeit wird im Völkerrecht – zu Recht – sehr, sehr streng gehandhabt.“

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de