Berlin. Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine suchen bei uns Schutz vor Putins Krieg. Bald geht es um ihre Integration auf dem Arbeitsmarkt.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat zu einer Massenflucht mitten in Europa geführt. Auch in Deutschland kommen Zehntausende Ukrainer an, für die Mehrzahl ist Berlin die erste Anlaufstelle. Die Hauptstadt ruft bereits nach Unterstützung. „Wir kommen zunehmend an unsere Grenzen“, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Sonntag.

Es müsse jetzt dringend eine bundesweite Organisation und Verteilung der Geflüchteten geben. Erste Bundesländer erklärten sich zur Aufnahme bereit. Die CDU forderte am Wochenende einen zentralen Krisenstab des Bundes, um die Verteilung der Flüchtlinge gerecht zu begleiten.

Vieles erinnert in diesen Tagen an den Herbst 2015, als in kurzer Zeit fast eine Million syrische Bürgerkriegsflüchtlinge kamen. Die Hilfsbereitschaft ist derzeit ähnlich groß wie die Herausforderungen. Falls der Krieg länger andauert und die Menschen nicht in ihre Heimat zurückkönnen, wird es erneut darum gehen, Deutschunterricht zu organisieren.

Plätze an Schulen und Kindergärten werden gebraucht sowie Jobperspektiven. Laut der Flüchtlingsbeauftragten der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), sollen auch „alle Zugang zu Inte­grationskursen haben“.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Ukraine: EU-Staaten haben sich auf Schutzstatus geeinigt

Die EU-Staaten haben sich jüngst auf einen gemeinsamen Schutzstatus für die Flüchtlinge aus der Ukraine geeinigt. Sie können damit in Deutschland und anderen Ländern Sozialleistungen erhalten und Arbeit aufnehmen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der CDU-Sozialflügel mahnen aber an, diesmal genauer hinzuschauen, damit die Integration auf dem Arbeitsmarkt besser läuft als 2015.

„Während der zurückliegenden Flüchtlingswellen hat sich gezeigt, dass Geflüchtete häufig in prekäre Arbeitsverhältnisse abgedrängt worden sind – zumeist wegen der Sprachbarriere oder auch wegen fehlender Qualifikationen und dergleichen“, sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke unserer Redaktion.

Insofern komme die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro „zum richtigen Zeitpunkt“. Ein großes Risiko“ bleibe die Ausweitung der Hinzuverdienstgrenze bei Minijobs auf 520 Euro. So würden prekäre Teilzeittätigkeiten ausgeweitet – mit allen Nachteilen für die Betroffenen.

„Das werden häufig auch Geflüchtete sein“, so Werneke. Der Chef der Arbeitnehmergruppe der Union im Bundestag, Axel Knoerig, sagte auf Anfrage, es müsse vor allem darum gehen, den Spracherwerb zu fördern sowie die Voraussetzungen zu schaffen für eine flexible Anerkennung von Abschlüssen und Arbeitserfahrungen.

Ukraine-Krieg: In welchen Branchen könne Geflüchtete unterkommen?

Doch in welchen Branchen können Menschen aus der Ukraine unterkommen? Die Lage ist anders als 2015. Damals kamen vor allem Männer nach Deutschland, die eher für Jobs etwa auf dem Bau oder als Lagerarbeiter infrage kamen. Jetzt kommen meist Frauen zusammen mit ihren Kindern.

Die Anforderungen an den Arbeitsmarkt sind somit andere. Auch Kinderbetreuung spielt da eine größere Rolle. Zudem hat Deutschland zwei Jahre Pandemie hinter sich. Rund 641.000 Beschäftigte waren zuletzt noch in Kurzarbeit, selbst wenn die Zahl der Arbeitslosen aktuell sinkt.

Trotzdem gibt es Branchen, die sich anbieten und Personal suchen – allen voran das Gastgewerbe. Viele Hoteliers und Wirte seien derzeit noch an der Erstversorgung der ukrainischen Flüchtlinge beteiligt, etwa indem sie kostenlose Verpflegung und Unterkunft organisierten, wie die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Ingrid Hartges, unserer Redaktion sagte.

Mittelfristig könne das Gastgewerbe aber einen Beitrag leisten, die Geflüchteten bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. „Unsere Branche bietet dafür gute Möglichkeiten“, betonte sie. Durch zwei Jahre Pandemie mit neun Monaten Lockdown hätten die Betriebe zuletzt „Zehntausende Mitarbeiter an andere Branchen verloren.

Da jetzt die Pandemie abebbt und es viele freie Stellen im Gastgewerbe gibt, können sich daraus für geflohene Menschen aus der Ukraine Beschäftigungsmöglichkeiten ergeben“, glaubt Hartges. Auch in den Bereichen Pflege und Landwirtschaft dürfte es Jobchancen geben.

Ukraine: Zahl der Geflüchteten höher als gemeldet

Laut Bürgermeisterin Giffey kommen derzeit zudem „viele hoch qualifizierte Leute“, die gut Englisch und teilweise auch Deutsch sprächen. Deutschland brauche Fachkräfte. „Das ist eine Chance“, so die Berliner Regierungschefin.

Die Bundespolizei hat bis Sonntag knapp 37.800 geflüchtete Ukrainer in Deutschland registriert – damit fast 10.000 mehr als am Vortag. Da an den EU-Binnengrenzen keine Grenzkontrollen stattfinden und viele Menschen privat bei Angehörigen und Freunden unterkommen, dürfte die Zahl der Geflüchteten höher sein.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft forderte angesichts der vielen Schutzsuchenden reguläre Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien. Nach jüngsten Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind seit Kriegsbeginn mehr als 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen.

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.