Berlin. Die große Koalition kämpft gegen viele Widerstände – von außen und innen. Die Harmonie beim Gipfel vor den Feiertagen ist trügerisch.

Nein, das war kein gutes Jahr für die große Koalition. Darüber kann auch die einigermaßen friedliche Stimmung beim ersten Koalitionsgipfel im Kanzleramt mit der neuen SPD-Führung nicht hinwegtäuschen.

Bei Markus Söders Lebkuchen und dem Ingwertee von Norbert Walter-Borjans mag man nicht in der Stimmung gewesen sein, die Belastbarkeit von Schwarz-Rot zu testen. Nicht ein paar Tage vor Weihnachten. Aber dieser Moment wird schon bald kommen, das ist sicher. Und die Zeit könnte für eine solche Kraftprobe kaum ungünstiger sein als jetzt, denn die Regierungspartner sind angeschlagen.

Die Sozialdemokratie ist ein Schatten ihrer selbst

Die Union leidet an Ideenarmut, und ihre Kräfte schwinden. Dazu kommt die ungeklärte Führungsfrage. Die CDU hat zwar formal eine neue Vorsitzende. Aber ob sie stark genug ist, um nach dem Kanzleramt zu greifen, ist offen. Niemand in der Partei würde dafür derzeit die Hand ins Feuer legen.

Die Sozialdemokratie ist ein Schatten ihrer selbst und muss sich gleichzeitig entscheiden, in welche Richtung sie marschieren will. Links oder weiter in der Mitte? In der Regierung bleiben oder raus in die Opposition?

Diese Fragen können auch nach der Vorsitzendenwahl die Partei zerreißen, und man spürt förmlich den Druck, der sich auf den beiden neuen Chefs aufbaut. Sie verdanken ihren Wahlsieg einzig und allein der Unzufriedenheit vieler SPD-Mitglieder mit dem SPD-Schrumpfkurs in der großen Koalition. Warum hätte man sonst den eigenen Vizekanzler demontieren müssen?

Vizekanzler Scholz wird nicht mehr viel beisteuern können

Daher müssen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken den GroKo-Kritikern bald liefern. Sonst wird es sie hinwegfegen wie die anderen, die auf dem Schleudersitz SPD-Vorsitz Platz genommen haben.

Erfahrene Regierungsprofis wie Olaf Scholz werden dazu nicht mehr viel beisteuern können. Sie spüren, dass ihre Zeit gekommen ist. Wer die Partei nicht im Kreuz hat, verliert politische Kraft. Das haben schon Kaliber wie Helmut Kohl bitter erleben müssen. Der SPD-Vizekanzler gibt zwar tapfer noch den treuen Parteisoldaten. Wie es wirklich in seinem Inneren aussieht, lässt sich unschwer erahnen.

Wenn Scholz als Vizekanzler geschwächt ist, hat es die Kanzlerin auch nicht leichter – im Gegenteil. Mit Argusaugen wacht eine zunehmend nervöse Partei darüber, ob Angela Merkel dem Druck nachgeben wird und bereit ist für Zugeständnisse an eine linkere SPD-Führung.

Auf Neuwahlen kann in der großen Koalition niemand scharf sein

Dabei steht jetzt schon fest: Angela Merkel hat diesen Spielraum nicht mehr. Der Fahrplan zu ihrem Abgang steht, und sie hat keinen kraftvollen Hebel mehr, um die Partei auf Linie zu bringen. Und spätestens der neue starke Mann in Bayern, Ministerpräsident Markus Söder, würde Zugeständnisse verhindern. Der CSU-Parteichef hat sich vom Grünen-Fresser zum Klimafreund schon genug gewandelt. Ein weiteres Verschieben der Union nach links wird mit ihm nicht zu machen sein.

Ist die GroKo also todgeweiht und ohne Perspektive? Nicht unbedingt. Es gibt noch einen unattraktiven Kitt, der den Laden am Ende zusammenschweißen könnte. Es stellt sich nämlich die Frage: Was kommt danach? Auf Neuwahlen kann in der großen Koalition niemand scharf sein. Noch mehr Mandate verlieren? Die rechte AfD weiter stärken? Den Grünen den Durchmarsch ermöglichen?

Diese Perspektiven sind noch weniger attraktiv als ein anstrengendes Weiterwursteln. Weitermachen, um Schlimmeres zu verhindern, klingt zwar schrecklich unambitioniert. Aber am Ende kann es genau so kommen.