Düsseldorf. Ein Kopftuchverbot ist rechtlich möglich, besagt ein aktuelles Rechtsgutachten. NRW plant ein Verbot nach dem Vorbild Österreichs.

Seit Serap Güler (CDU), Staatssekretärin für Integration in NRW, ein Kopftuchverbot für junge Mädchen in Kitas und Grundschulen forderte, prüft die Landesregierung, ob dies mit der grundgesetzlich geschützten freien Religionsausübung vereinbar ist. Dass diese Prüfung bereits seit April 2018 andauert, begründet die Landesregierung damit, es handle sich „um ein sensibles Thema, das verfassungsrechtlich relevante Fragen aufwirft“.

Güler will nach dem Vorbild Österreichs die Verschleierung von jungen Mädchen untersagen. „Wenn Eltern schon Kinder im Kita- oder Grundschulalter Kopftuch tragen lassen, sexualisieren sie das Kind“, begründete die Staatssekretärin ihren Vorstoß. Kinder in diesem Alter seien religiös unmündig, ein Kopftuch zwinge sie in vorgefertigte Geschlechterrollen, so die Argumentation.

Ein aktuelles Rechtsgutachten des Tübinger Verfassungsrechtlers Martin Nettesheim könnte den schleppenden Prüfprozess in NRW nun beschleunigen. In dem im Auftrag der Frauenrechtsorganisation Terres des Femmes erstellten Gutachten kommt der Jurist zu dem Schluss, dass ein Verbot auch in Deutschland rechtlich möglich wäre.

Ein Kopftuch begünstige Ausgrenzung und Diskriminierung

In der 42-seitigen Stellungnahme argumentiert Nettesheim für ein „Kinderkopftuch“-Verbot an Schulen für Mädchen unter 14 Jahren. Dies wäre sowohl vereinbar mit der grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit als auch mit dem Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Nettesheim verweist auf Artikel 7 des Grundgesetzes, wonach das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates steht und argumentiert, Kinder hätten noch nicht die Reife, „in Glaubens- und Weltanschauungsfragen selbstbestimmt entscheiden zu können“.

Serap Güler, NRW-Staatssekretärin für Integration (CDU), stieß die Debatte um ein Kopftuchverbot in NRW an.
Serap Güler, NRW-Staatssekretärin für Integration (CDU), stieß die Debatte um ein Kopftuchverbot in NRW an. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Ein Verbot, eine „religiös konnotierte Kopfbedeckung zu tragen“, ließe sich mit den Erziehungs- und Bildungszielen rechtfertigen und wäre auch verhältnismäßig. „Derartige Bekleidung“ führe zu einer Trennung und begünstige Ausgrenzung und Diskriminierung, argumentiert der Verfassungsrechtler. In der Schule gehe es auch um „Erziehung zur Freiheit“.

Das NRW-Familienministerium will das geplante Kopftuchverbot auch im Lichte dieses neuen Gutachtens bewerten. Das Thema werde „in den kommenden Wochen weiter mit unterschiedlichen Experten diskutiert“, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Ziel sei es, „möglichst noch in der ersten Hälfte der Legislaturperiode“ – also bis Ende 2019 – „einen Vorschlag für mögliche Handlungsoptionen aufzuzeigen“. Was damit gemeint ist, eine Gesetzesänderung oder Empfehlungen für die Schulordnung, ließ das Ministerium offen. Vieldeutig heißt es: „Die Landesregierung prüft Optionen, um dem Schutzbedürfnis junger Mädchen angemessen Rechnung tragen zu können.“ Dieser Prüfprozess sei noch nicht abgeschlossen.

Zahl der Kopftuch tragenden Mädchen unbekannt

Auch die NRW-Landesregierung hat ein Gutachten zu dem Themenkomplex in Auftrag gegeben, das den Aspekt der Kindeswohlgefährdung in den Blick nimmt. Nach Auskunft des Familienministeriums befasst es sich mit „entwicklungspsychologischen und theologischen Fragen des Kopftuchtragens junger Mädchen“. Es gehe auch um die Frage, ob diese Mädchen die gleichen Entwicklungschancen haben. Die Auswertung sei noch nicht beendet.

In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Landtag räumte die Landesregierung bereits im Mai 2018 ein, dass ihr keine Fälle bekannt seien, in denen Kopftuch tragende Mädchen den Schulfrieden gestört hätten. Auch habe man keine Erkenntnisse über die Anzahl junger Kopftuchträgerinnen.

Zu dieser Zeit hatte das Parlament in Österreich ein Kopftuchverbot in Kitas bereits beschlossen, das im Anschluss auch auf Grundschulen ausgeweitet wurde. Bei Verstößen sind im Wiederholungsfall Geldstrafen fällig. Schulleiter äußerten sich nach ersten Erfahrungen kritisch. Auch in Schulen mit einem hohen Anteil muslimischer Schüler sei das Kopftuch „noch unser geringstes Problem“, wie laut Medienberichten eine Wiener Schulleiterin sagte. Man bringe die Mädchen in einen Zwiespalt.

Bildungsverband warnt vor „Phantomdebatte“

Auch in Deutschland werden skeptische Stimmen laut. So warnt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) vor den Tücken einer Umsetzung eines Verbots. „In wieweit sollten Lehrkräfte dazu befähigt und gegebenenfalls verpflichtet sein, Konsequenzen zu ziehen – und wie sollten diese aussehen?“, fragt Bundesvorsitzender Udo Beckmann. Müsse dann das Mädchen vom Unterricht ausgeschlossen werden? Würde es im Zweifelsfall womöglich dauerhaft nicht beschult?

Beckmann mahnt: „Die Debatte um ein Kopftuchverbot darf nicht zur Phantomdebatte werden.“ Vor einer politischen Entscheidung müssten die Folgen zu Ende gedacht werden.

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.