Berlin/Washington. Ein Video der US-Armee soll beweisen, dass der Iran hinter den Angriffen auf Öltanker steckt. Experten halten die Aufnahmen für echt.

Sie kommen, um Spuren zu beseitigen. Eine Haftmine ist nicht explodiert. Unverändert klebt sie an der Bordwand der „Kokuka Courageous“. Deshalb machen sich die Männer, die sich mit einem Schnellboot dem Tanker nähern, eilig an der Wand zu schaffen: Sie wollen die Mine entfernen.

So sieht es auf dem grauflimmernden, unscharfen Video aus, das in der Nacht zu Freitag vom US-Militärkommando im Nahen Osten, Centcom, ins Internet gestellt wurde und das die Amerikaner wie eine „Smoking Gun“, einen rauchenden Colt, verstanden wissen wollen: den zweifelsfreien Beweis dafür, dass sie den Iran auf frischer Tat erwischt hätten, dass er der Urheber des Angriffs auf die Tanker „Kokuka Courageous“ und „Front Altair“ am Vortag sei.

„Das riecht förmlich nach dem Iran“

Mit dem Video beginnt eine neue Runde im Informationskrieg – der Iran hat der Interpretation gleich widersprochen. „Lächerlich, gleichzeitig aber auch besorgniserregend und gefährlich.“ Dagegen sagt US-Präsident Donald Trump in einem Interview, „nunja, der Iran hat es getan, und sie haben es, wissen Sie, getan, weil man das Schiff gesehen hat“. Sie wollten nicht, dass Beweise zurückbleiben. Trump: „Das riecht förmlich nach dem Iran“.

Großbritannien folgt der Argumentation der USA. Und auch Saudi-Arabien macht den Iran für die mutmaßlichen Tanker-Angriffe verantwortlich.

Was haben die Amerikaner in der Hand, was könnten ihre nächsten Schritte sein, wie beweiskräftig ist das Video? Ist der Film echt oder eine Inszenierung? Darf man seinen Augen trauen? Zur modernen hybriden Kriegsführung gehören mehr denn je Täuschen und Tarnen. Als Russland die Krim überfiel, steckte Präsident Putin seine Soldaten in grüne Uniformen ohne Hoheitsabzeichen.

Wiederholung der Lüge von Tonkin?

James Stavridis gehört nicht zu jenen amerikanischen Militärs, die US-Präsident Donald Trump nach dem Mund reden. Der Vier-Sterne-Admiral im Ruhestand und ehemalige Oberkommandeur der alliierten Mächte in Europa liest der eigenen Regierung als TV-Kommentator regelmäßig die Leviten oder zieht die Lauterkeit des Weißen Hauses in Zweifel.

Kommentar: Im Iran-Konflikt ist die Lunte gelegt – nur Besonnenheit hilft

Was das international für Aufsehen sorgende Video anbelangt, ist der einstige Top-Soldat nicht im Lager derer zu finden, die an eine Wiederholung der Lüge von Tonkin glauben. 1964 hatte der von US-Geheimdiensten erfundene Torpedo-Angriff nordvietnamesischer Schnellboote auf den US-Zerstörer „Maddox“ im Golf von Tonkin de facto zu einer Kriegserklärung Amerikas gegen Vietnam geführt.

Experten halten Video für echt

Stavridis und viele Experten halten den Videomitschnitt, der am Freitag abermals die Sorge vor einer schweren militärischen Konfrontation zwischen den USA und dem Iran hochgetrieben hat, vielmehr für „bezwingend“ – und nicht politisch gefärbt.

Dass nicht das Weiße Haus, sondern Centcom die Quelle ist, ergänzt der Nahost-Fachmann der „Washington Post“, David Ignatius, spreche für unpolitisierte Authentizität. Für Washington ist das Video der optische Verstärker dessen, was Außenminister Mike Pompeo zuvor unmissverständlich geäußert hatte: Dass eindeutig Teheran der Urheber der Angriffe auf die freie Seeschifffahrt in der für den Ölexport wichtigen Region um die Straße von Hormus gewesen sei.

Weltgemeinschaft warnt vor übereilten Reaktionen

Mit dem bloßen Anschein begnügt sich die Welt indes nicht. Die Türkei, China, Norwegen, die EU – alle warnen am Freitag vor übereilten Reaktionen und fordern eine ernsthafte Untersuchung. Norwegens Außenministerin Ine Eriksen Søreide mahnt, es sei zu früh, um zu beurteilen, wer dahinterstecke. „Es braucht nicht viel, damit die Situation eskaliert“, warnt sie. Alle rätseln.

„Wir sind dabei, die Lage zu bewerten und Informationen zu sammeln“, sagt ein ranghoher EU-Beamter in Brüssel. „Wir haben über die Urheberschaft keine eigenen Erkenntnisse“, räumt die Bundesregierung in Berlin ein. Der UNO ergeht es kaum besser. Kuwaits Botschafter Mansur al-Otaibi erklärt nach einem Treffen des Sicherheitsrats, Beweise für die US-Anschuldigungen seien nicht diskutiert worden, wohl auch kein Video.

Brandbeschleuniger für den Iran-Konflikt?

Eine „besondere Verantwortung“ weist der FDP-Vizefraktionschef Alexander Graf Lambsdorff Deutschland zu, weil es aktuell im Sicherheitsrat sitzt. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, ein erfahrener Außenpolitiker, glaubt, dass die Krise nicht spurlos an Europa vorbeigehen werde. Was Lambsdorff und ihn umtreibt: die Sorge, dass die Vorfälle zum Brandbeschleuniger für den Konflikt zwischen Iran und USA werden.

Unversehens in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt ist derweil die 21 Personen starke Besatzung der „Kokuka Courageous“. Das Schiff wird von der deutschen Bernhard Schulte Shipmanagement (BSM) gemanagt und von der japanischen Firma Kokuka Sangyo betrieben. Die Seeleute hatten nach dem Vorfall den Tanker verlassen und sind nun wieder an Bord; das Schiff wird in einen sicheren Hafen geschleppt.

Das Risiko, entdeckt zu werden, war groß

Seltsam, die Besatzung hatte von einem „fliegenden Objekt“ gesprochen, das auf sie zugesteuert sei. War es ein fliegender Angriff oder eine (Aufklärungs-)Drohne (der USA)? Wenn man die US-Fotos vom Schiff und das Video dazu betrachtet, fällt erst einmal auf, dass die erste und einzige explodierte Mine ein relativ kleines Loch gerissen hat und eine eher geringe Sprengkraft hatte; und dass sie überdies an einer Stelle angebracht worden war, genau unterhalb der Brücke, wo sich auf dem Schiff am ehesten Menschen aufhalten könnten. Das Risiko, entdeckt zu werden, war groß.

Und groß ist auch die Wahrscheinlichkeit, aufzufallen, wenn man sich mit einem Schnellboot vom Typ Gaschti dem Tanker nähert und sich so viele Leute an der Kommandoaktion beteiligen. Auf dem Video taucht eine Vielzahl von Figuren auf. Kampfschwimmer hätten viel unauffälliger einen Sprengsatz anbringen und wieder entfernen können. Einerseits.

US-Regierung sieht „Revolutionsgarden“ am Werk

Andererseits: Wenn die Lesart der Amerikaner stimmt – und an der Bordwand sieht man auf dem Foto ein schwarzes „Paket“, das eine Mine sein könnte –, mussten die Iraner schnell, kurz entschlossen und im Zweifel auch relativ unvorbereitet und überhastet handeln, weil der Sprengsatz nicht explodiert war und jederzeit hätte auffallen können. Sie mussten den Beweis verschwinden lassen. Unbedingt.

Hintergrund: Konflikt mit den USA: Wie groß ist die Bedrohung durch den Iran?

Die Amerikaner weisen das Schnellboot eindeutig der „Revolutionsgarde“ zu. Denkbar wäre, dass es innerhalb der iranischen Führung unterschiedliche Flügel gibt und dass die „Revolutionsgarde“ – ohne Billigung der Regierung? – auf eigene Rechnung gehandelt hat.

Iran vermutet US-Komplott

Der iranische Außenminister Dschawad Sarif spricht von einem „Fetzen Indizien“. Er twittert: „Damit ist klar, dass das amerikanische B-Team auf Plan B und auf Sabotagediplomatie umgeschaltet hat.“ Damit meint er die Mannschaft von US-Sicherheitsberater John Bolton, der nach Ansicht Teherans einen Regimewechsel im Iran plane und dafür einen militärischen Konflikt provozieren würde.

Davon ist bei der ersten Stellungnahme von Außenminister Pompeo indes keine Rede. Politisch und diplomatisch, sagt er, werde man weiterhin versuchen, den Iran mit Sanktionen an den Verhandlungstisch zu zwingen, um ein neues, erweiterteres Atomabkommen zu erzielen. Aus dem bestehenden Vertrag war Trump vor einem Jahr zum Leidwesen der anderen Unterzeichnermächte, darunter Deutschland, ausgetreten.

Machtkampf im Iran?

Fachleute wie Stavridis und Ignatius sehen momentan keine Bestrebungen der US-Regierung, einen militärischen Konflikt mit dem Iran vom Zaun zu brechen. Allerdings befänden sich beide Länder auf Kollisionskurs. Trumps Wirtschaftssanktionen hätten den Iran zu Trotzhandlungen verleitet, die mit dem „Ausbrechen aus einer Zwangsjacke“ zu vergleichen seien. Durch den Videonachweis könne es dem Weißen Haus bei kluger Verhandlungsführung gelingen, die Koalition gegen Teheran zu vergrößern, analysiert David Ignatius.

Wie er vermuten auch andere Beobachter in Washington, dass die Nadelstiche gegen die Öl-Schifffahrt Ausdruck eines Machtkampfes in Teheran sind. Verhandlungsorientierte Diplomaten stünden Hardlinern wie der Revolutionsgarde und Religionsführer Ali Chamenei gegenüber, der den Vermittlungsversuch des japanischen Premierministers Shinzo Abe am Donnerstag im Keim erstickte. Tenor: Mit Trump verhandelt der Iran nicht.

Der US-Präsident, der dem Iran vor einigen Wochen mit Vernichtung gedroht hatte, sollten amerikanische Einrichtungen angegriffen werden, antwortete auf die Frage nach den Konsequenzen allerdings ausweichend: „Wir werden sehen.“