Berlin. Nach der Schlappe bei der EU-Wahl räumt CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer Fehler ein – zum Beispiel digital. Die Schuld gibt ihr keiner.

Mike Mohring steht im Konrad-Adenauer-Haus und ist wütend. Oder verzweifelt. Oder beides. Was hat den Spitzenkandidaten der thüringischen CDU so aufgebracht?

Der Tag nach einer Wahl ist bei den Parteien der Tag der Analyse, der Verzweiflung oder des Feierns. Bei der CDU brachte der Tag nach Europa-, Bremen- und Kommunalwahl eine seltsame Mischung davon.

Erfreut war man in der CDU-Zentrale über den Wahlsieg des Bremer CDU-Spitzenkandidaten Carsten Meyer-Heder, der die SPD im Rennen um die Bremer Bürgschaft hinter sich gelassen hat. Doch dann hört die Begeisterung schon auf.

Annegret Kramp-Karrenbauer: Keine personelle Neuaufstellung

Die CDU muss vielmehr ihr mit 28,9 Prozent historisch schlechtestes Ergebnis diskutieren, erzielt bei der EU-Wahl. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer macht daraus keinen Hehl. „Das wird meinem Anspruch nicht gerecht“, sagt sie intern wie öffentlich.

Zu diesem Ergebnis hätten als allererstes eigene Fehler, auch von ihr persönlich, geführt, analysiert die Saarländerin. Eine personelle Neuaufstellung werde es in der Partei nicht geben. Es sei der Union nicht gelungen, in der Wahlkampagne eigene Kompetenzthemen in den Mittelpunkt zu stellen.

Darüber hinaus habe man die Debatte zum Thema Klimaschutz nicht aus einer Offensivposition heraus führen können. Und junge Wähler habe man mit der späten Antwort auf das Anti-CDU-Video des Youtubers Rezo und der Debatte um das Urheberrecht verloren, räumt sie ein.

Hintergrund: Rezo gegen CDU: Kann ein Youtuber eine Partei „zerstören“?

Niemand gibt Kramp-Karrenbauer persönlich die Schuld

Die Stimmung in Präsidium und Vorstand der CDU bezeichnen wohlmeinende Teilnehmer als „differenziert“. Andere bezeichnen sie als „inhaltliches Scherbengericht“, wobei auch die größten Kritiker das ausdrücklich nicht an Kramp-Karrenbauer festmachen.

Die Wortmeldungen reichen Teilnehmern zufolge von Kanzlerin Angela Merkel – die darauf hinweist, dass man nicht in „Sack und Asche“ gehen müsse – bis hin zum Ost-Politiker Mohring, der die eigene Landtagswahl im Herbst vor Augen hat.

Mike Mohring: Späte Reaktion auf Rezo war riesen Fehler

Mohring weist sehr deutlich darauf hin, dass die CDU für den Osten eigene Antworten brauche. Dort sei das Thema Klimaschutz eben nicht das erste Anliegen der Wähler: „Die Leute sind frustriert, wenn wir unsere Versprechen nicht halten. Das Thema Grundrente und den Abbau des Solidaritätszuschlags müssen wir endlich angehen. Wir können nicht Dinge mit der SPD vereinbaren, uns nicht einigen und dann gar nichts tun“, mahnt er an.

Harte Worte findet er für den Umgang der Parteizentrale mit der Kritik des Youtubers Rezo. Da nicht sofort reagiert zu haben, sei ein Riesenfehler gewesen.

AKK: CDU muss digitale Welt besser verstehen lernen

Auch Kramp-Karrenbauer räumt Fehler im Umgang mit der Netzgemeinde ein. Sie sagt zudem, dass das Video ein „Schlag ins Gesicht der vielen Freiwilligen, Mitglieder und Wähler“ gewesen sei. Inhalt der Klausurtagung in der kommenden Woche soll nun auch eine Analyse sein, wie man mit den Regeln der digitalen Welt künftig umgehe.

Man habe in der CDU-Zentrale den Umgang mit dem Video zu spät diskutiert. „Das ist nicht das Handling, das man im Wahlkampf zeigen muss.“ Die CDU müsse sicherstellen, mit „asymmetrischer Wahlkampfmobilisierung“ umzugehen. Eine Bemerkung von AKK, wie sie im politischen Berlin genannt wird, zeigt, dass sich die CDU-Spitze schwer tut mit ebendiesen Regeln.

Sie habe sich gefragt, was eigentlich los wäre, wenn 70 Redaktionen vor einer Wahl dazu aufriefen, die Volksparteien nicht zu wählen. Dies würde wohl als Meinungsmache vor der Wahl eingestuft. Sofort folgte ein Shitstorm – und die Frage, was AKK von freier Meinungsäußerung halte. Rezo und CDU: Will Kramp-Karrenbauer Youtuber regulieren?


Umgang mit „Fridays for Future“ sei zu unentschlossen gewesen

In einer internen Wahlanalyse des Adenauer-Hauses, die dieser Redaktion vorliegt, heißt es wörtlich etwas umständlich, die Serie der Unentschlossenheit im Umgang mit Phänomenen wie „Fridays for Future“ und politisch aktivierten Youtubern sowie der vorübergehende tiefe Einschnitt in der Wahrnehmung der CDU bei jüngeren Zielgruppen durch die Debatte zu den „Uploadfiltern“ trage unter anderem Schuld an dem schlechten Wahlergebnis.

Auch ein „vermeintlicher Rechtsruck’ bei der Jungen Union sowie die medial sehr präsente sogenannte ,Werte-Union’ führten gleichzeitig zu einer deutlichen Abkehr unter 30-jähriger Wählerinnen und Wähler“. Weiter kann man lesen, sechs von zehn Bürgern seien aktuell unzufrieden mit der Leistung des Berliner Kabinetts. Die Arbeit von Kanzlerin Merkel werde dagegen nicht massiv schlechter bewertet als zur letzten Europawahl.

Europawahl 2019- Jubel und Frust in Deutschland

Die Grünen können sich freuen: Nach den ersten Hochrechnungen darf die Ökopartei jubeln. Sie kann ihr Ergebnis im Vergleich zu 2014 verdoppeln.
Die Grünen können sich freuen: Nach den ersten Hochrechnungen darf die Ökopartei jubeln. Sie kann ihr Ergebnis im Vergleich zu 2014 verdoppeln. © dpa | Tobias Hase
Die Chefinnen liegen sich sogar in den Armen: Annalena Baerbock (l.), Grünen-Vorsitzende, und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckard.
Die Chefinnen liegen sich sogar in den Armen: Annalena Baerbock (l.), Grünen-Vorsitzende, und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckard. © dpa | Kay Nietfeld
Nach den ersten Hochrechnungen stehen CDU/CSU zwar auf Platz eins, müssen aber starke Verluste verkraften. In Berlin gratulieren sich Anhänger der Union.
Nach den ersten Hochrechnungen stehen CDU/CSU zwar auf Platz eins, müssen aber starke Verluste verkraften. In Berlin gratulieren sich Anhänger der Union. © dpa | Michael Kappeler
Keine Freude hingegen herrscht bei der SPD. Die Partei ist der große Wahlverlierer.
Keine Freude hingegen herrscht bei der SPD. Die Partei ist der große Wahlverlierer. © dpa | Wolfgang Kumm
SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley meinte: „Ich habe alles gegeben. Mehr ging nicht.“
SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley meinte: „Ich habe alles gegeben. Mehr ging nicht.“ © dpa | Wolfgang Kumm
Für die FDP lief es besser – zumindest ein bisschen. Spitzenkandidatin Nicola Beer und FDP-Chef Christian Lindner freuen sich in Berlin über die kleine Steigerung.
Für die FDP lief es besser – zumindest ein bisschen. Spitzenkandidatin Nicola Beer und FDP-Chef Christian Lindner freuen sich in Berlin über die kleine Steigerung. © dpa | Carsten Koal
Junge Anhänger der FDP klatschen zögerlich nach der ersten Hochrechnung in Berlin.
Junge Anhänger der FDP klatschen zögerlich nach der ersten Hochrechnung in Berlin. © dpa | Carsten Koal
Er ballt die Faust, doch das Ergebnis ist nicht so stark wie erhofft: AfD-Chef Jörg Meuthen gibt sich dennoch zufrieden.
Er ballt die Faust, doch das Ergebnis ist nicht so stark wie erhofft: AfD-Chef Jörg Meuthen gibt sich dennoch zufrieden. © Reuters | Axel Schmidt
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Unions-Mittelstands-Chef Linnemann: „Es ist Alarmstufe Rot“

Alarmiert ist am Montag auch Carsten Linnemann, Chef des Unions-Mittelstands: „Die Union ist dabei, den Status als Volkspartei zu verlieren. Es ist Alarmstufe Rot“, sagt Linnemann erkennbar aufgewühlt.

Die CDU müsse endlich ihre inhaltliche Entkernung beenden und sich „wieder darauf konzentrieren und besinnen, wofür wir stehen und wofür wir nicht stehen“.

CDU-Wirtschaftsrat: Zu wenig eigene Themen umgesetzt

Der Wirtschaftsrat der CDU geht am Montag in die gleiche Richtung. „Die internen Schuldzuweisungen zeigen, dass das Wahlergebnis nicht richtig verstanden wurde: Ein Wohlfühl-Wahlkampf reicht nicht aus, um jüngeren Wählern Lust auf Zukunft zu vermitteln. Zumal diese Groko für teure Wahlgeschenke auf Kosten der jungen Generation steht“, sagt Generalsekretär Wolfgang Steiger unserer Redaktion.

Die große Koalition habe bei dieser Wahl nach der Bundestagswahl den zweiten Denkzettel erhalten. Das müsse auch der CDU sehr zu denken geben. „Wirklich eigene Themen wurden zu wenig gesetzt.“

Es gehe jetzt darum, die Stärkung des EU-Binnenmarktes, Digital-Union, Energie-Union, Kapitalmarkt-Union sowie Projekte in Infrastruktur sowie Sicherheitspolitik voran zu bringen.