Berlin. Deniz Yücel hatte ausgesagt, er sei im Gefängnis in der Türkei drei Tage gefoltert worden. Ankara widerspricht – und attackiert Yücel.
Der Journalist Deniz Yücel hatte der Türkei – und speziell türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan – Folter während seiner Haft geworfen. Nun hat Ankara reagiert und warf Yücel vor, die Türkei schlecht machen zu wollen.
Das türkische Außenministerium wies den Vorwurf zurück, ebenso wie eine Mahnung des Auswärtiges Amtes. Eine Sprecherin von Außenminister Heiko Maas hatte die Regierung in Ankara am Samstag aufgefordert, sich an die Anti-Folterkonvention der Vereinten Nationen zu halten.
Yücel hatte am Freitag in Berlin in dem von der türkischen Justiz gegen ihn angestrengten Prozess ausgesagt, dass er während seiner Haftzeit in der Türkei gefoltert worden sei. In der schriftlichen Fassung der Aussage erwähnt Yücel Schläge, Tritte, Erniedrigungen und Drohungen durch Vollzugsbeamte in seinen ersten Tagen im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul.
„Ich wurde im Gefängnis Silivri Nr. 9 drei Tage lang gefoltert“, hieß es in Yücels erster Aussage in dem Strafverfahren. Der Journalist ist der Türkei wegen „Terrorpropaganda“ und „Volksverhetzung“ angeklagt.
In einer am Sonntagmorgen veröffentlichten Stellungnahme des türkischen Ministeriumssprechers Hami Aksoy hieß es dazu, die Vorwürfe seien in der Vergangenheit bereits von dem zuständigen Staatsanwaltschaftsbüro untersucht worden. Das Büro habe entschieden, die Sache nicht weiter zu verfolgen. In der Türkei gelte seit 2003 das Prinzip von „null Toleranz gegenüber Folter“.
Deniz Yücel: Erdogan-Vertrauter bezweifelt Foltervorwürfe
Der AKP-Politiker und Erdogan-Vertraute Mustafa Yeneroglu hatte die Vorwürfe von Yücel bereits am Freitag umgehend zurückgewiesen „Ich kann es mir nicht vorstellen. Es widerspricht den mir bekannten Vorfällen und auch seinen späteren Äußerungen mir gegenüber“, sagte Yeneroglu der Deutschen Presse-Agentur.
Der AKP-Politiker ist in Deutschland aufgewachsen und fungiert im angespannten deutsch-türkischen Verhältnis mitunter als Brückenbauer. Er hat Yücel nach eigenen Angaben im Gefängnis geholfen. „Damals hat sich die Ehefrau von Herrn Yücel insgesamt beunruhigt an mich gewandt. Anschließend habe ich mit seinen Anwälten gesprochen.“
Die hätten ihm von „verbaler Schikane und einer Schubserei“ berichtet. „Sofort habe ich massiv interveniert und die Wärter wurden ausgetauscht und disziplinarischen Maßnahmen unterzogen“, sagte Yeneroglu. „Aber von Folter oder Schlägen haben mir weder er oder seine Ehefrau noch seine Anwälte jemals berichtet.“
Die erste Aussage in dem Strafverfahren
In der Aussage vor dem Amtsgericht Tiergarten sagte der 45-jährige Yücel, er habe auch in seiner Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte „von der erlebten Folter berichtet“. Er habe es ansonsten vorgezogen, darüber nicht öffentlich zu sprechen. „Denn der richtige Ort hierfür war die Gerichtsverhandlung. Der richtige Ort war hier. Darum sage ich es an dieser Stelle zum ersten Mal öffentlich.“
Yücel hatte am Freitag ausgesagt: „Womöglich auf direkte Veranlassung des türkischen Staatspräsidenten oder dessen engster Umgebung, auf jeden Fall aber infolge der Hetzkampagne, die er begonnen hatte und unter seiner Verantwortung. So oder so, der Hauptverantwortliche für die Folter, der ich ausgesetzt war, heißt Recep Tayyip Erdogan.“
Das Gericht in der Türkei hatte zugestimmt, dass Yücel im Rahmen der Rechtshilfe vor einem Richter in Deutschland aussagen kann.
SPD-Außenpolitiker sieht türkische Regierung in der Pflicht
Deutsche Politiker hatten am Freitag Aufklärung gefordert. Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid nannte Yücels Aussage „zutiefst besorgniserregend“. „Die Berichte über die Rückkehr der Folter in der Türkei häufen sich in der letzten Zeit“, sagte Schmid. „Dies ist umso bedauerlicher, als es der AKP-Regierung gelungen war, die Folter zurückzudrängen.“
Jetzt sei die türkische Regierung gefordert, jegliche Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte unmissverständlich zu verurteilen, alle Vorwürfe konsequent aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. „Und nicht zuletzt sollten die höchsten Staatsorgane der Verrohung der politischen Debatte in der Türkei entschieden entgegentreten.“
Oppositionspolitiker fordern Konsequenzen von Bundesregierung
Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, verlangte die sofortige Einbestellung des türkischen Botschafters ins Auswärtige Amt. Das sei nötig, „auch um weitere in türkischer Haft befindliche deutsche Staatsbürger vor Folter und Misshandlung zu schützen“, sagte die Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe.
Deniz Yücel sei kein Einzelfall, betonte sie. „Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen über Folter in türkischer Haft.“ Bundesregierung und Europäische Union müssten „diese grausame Praxis“ scharf verurteilen und Konsequenzen ziehen. „Der EU-Beitrittsprozess mit dem Folterregime Erdogan muss offiziell gestoppt werden.“
Omid Nouripour: Seit Putschversuch wird in türkischen Gefängnissen wieder gefoltert
Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour sagte, es könne nun kein „Weiter so“ geben in den deutsch-türkischen Beziehungen. „Die Bundesregierung muss Präsident Erdogan klar zu verstehen geben, dass sie die wahllose Folter und Inhaftierung deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nicht länger akzeptiert“, sagte Nouripour. Spätestens seit dem Putschversuch in der Türkei habe Folter wieder Einzug in die Gefängnisse gehalten.
Deniz Yücel war lange in Einzelhaft
Yücel war bis Februar 2018 ein Jahr lang ohne Anklageschrift in der Türkei im Gefängnis – lange in Einzelhaft. Der Fall hatte eine schwere Krise zwischen Berlin und Ankara ausgelöst.
Diese Deutschen waren in türkischer Haft
Gleichzeitig mit Yücels Entlassung aus dem Gefängnis und der Ausreise nach Deutschland erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Der Prozess gegen Yücel in Istanbul wird am 16. Juli fortgesetzt. Dem deutsch-türkischen Journalisten drohen bis zu 18 Jahre Haft.
Inhaftierung sei eine „Geiselnahme“
Yücel nannte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe „unsinnig“ und sprach dem Prozess jede rechtsstaatliche Grundlage ab. „Ich weiß, das, was ich hier zu sagen habe, hat für Ihr Gericht keinerlei Bedeutung und wird in der Türkei der Gegenwart keine rechtliche Entsprechung finden“, hieß es in seiner Aussage an die Adresse der türkischen Richter. Mehr als ein Jahr saß Deniz Yücel in Haft. Ein Gericht hatte Deniz Yücels Klage auf Schadenersatz abgelehnt.
Das Urteil der Richter sei „wertlos“. Seine Inhaftierung sei eine „Geiselnahme“ gewesen. In der Türkei gelten Reporter als Terroristen. Bei Maybrit Illner bezeichnete Deniz Yücel Erdogan als Gangster.
Keine Kameras in der Zelle installiert
Yücel berichtete, nachdem Erdogan Anfang März 2017 eine „Hetzkampagne“ gegen ihn begonnen habe, habe eine sechsköpfige Gruppe aus Vollzugsbeamten damit begonnen, ihn zu schikanieren. Sie hätten ihn als „Vaterlandsverräter“ und „deutschen Agenten“ beschimpft - „Wiederholungen dessen, was der Staatspräsident über mich gesagt hatte“. Später sei diese Gruppe in seine Zelle eingedrungen.
„Weil in den Zellen im Gegensatz zu den Korridoren keine Kameras installiert sind, wurde ich erstmals auch körperlich mit Tritten gegen meine Füße und Schlägen auf Brust und Rücken angegangen“, hieß es in Yücels Aussage. „Das Maß der Gewalttätigkeit war nicht allzu hoch, weniger darauf ausgerichtet, mir körperliche Schmerzen zuzufügen, als darauf, mich zu erniedrigen und einzuschüchtern. Womöglich wollte man mich auch zu einer Reaktion provozieren. Doch auch so war dies ein Fall von Folter.“
Yücel berichtete, die Gewalt habe zugenommen. „Ein Aufseher aus der Gruppe schlug mir zweimal hart ins Gesicht, dann streichelte er über meine Wange, während ein anderer fragte: „Was zahlen dir die Deutschen dafür, dass du dein Vaterland verrätst? Sprich, oder ich reiße dir die Zunge raus.“ Wie die anderen provokativen Fragen auch ließ ich auch diese unbeantwortet.“
Seelische Gewalt auch Folter
Dieser Vollzugsbeamte habe dann gedroht: „Warte nur, diesen Finger, mit dem du auf mich gezeigt hast, werde ich dir erst in den Mund stecken und dann... ich weiß schon, wohin.“ In Yücels schriftlicher Aussage hieß es weiter: „“Wir haben dich nicht geschlagen“, fuhr derselbe Aufseher fort. „Wir haben dich gestreichelt. Du weißt nicht, was Gewalt ist. Aber wenn du willst, zeige ich es dir.““
Yücel betonte, dass er den Folter-Vorwurf nicht leichtfertig erhebe. „Folter wird nicht allein durch das Maß der körperlichen Gewalt oder der Grausamkeiten bestimmt.“ Zur Folter gehöre auch, „dass die körperliche und seelische Unversehrtheit, letztlich die Sicherheit des Gefangenen allein in der Gewalt seiner Peiniger liegt“.
Strafanzeige in der Türkei erstattet
Die sechs Aufseher seien am nächsten Tag verschwunden gewesen. Danach sei er keinen Misshandlungen mehr ausgesetzt gewesen. Yücel sagte aus, er habe damals Strafanzeige in der Türkei erstattet. „Die Staatsanwaltschaft Silivri begann Ermittlungen, stellte diese jedoch ein, ohne mich auch nur angehört zu haben.“
Auch in Deutschland ist der Einfluss von Präsident Erdogan enorm, er erzeugt ein Klima der Angst. Im Februar war ein weiterer Deutscher aus der U-Haft in der Türkei entlassen worden: Der Kölner Adil Demi. (msb/dpa)