Berlin. Das Brexit-Chaos geht in die nächste Runde – mal wieder. Bei Maybrit Illner redete NRW-Ministerpräsident Armin Laschet Klartext.

Der ehemalige Botschafter hat eine Idee. Eine längere Verschiebung des EU-Austritts Großbritanniens wäre eine gute Sache. Zum Beispiel um ein Jahr. Dann nämlich könnte sich die Stimmung auf der Insel gedreht haben. Die konservativen Alten sterben weg. Die jungen Pro-Europäer rücken nach. Und es könnte neue Mehrheiten geben: für Europa, für den Verbleib in der EU.

Diese Hoffnung jedenfalls trug Londons ehemaliger oberster Diplomat in Deutschland, Sir Peter Torry, am Donnerstagabend bei Maybrit Illner vor. Und es sagt einiges aus über die festgefahrene politische Situation auf der Insel, wenn solche Wünsche geäußert werden. Sie sind nicht nur makaber. Sie zeugen auch vom geringen Vertrauen in die eigene politische Klasse.

Diese Gäste diskutierten bei Maybrit Illner über den Brexit:

Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen

Sir Peter Torry, ehemaliger britischer Botschafter in Deutschland

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)

Kristiane Backer, ehemalige MTV-Moderatorin

Christian Schulte-Loh, deutscher Komiker, der in London erfolgreich ist

Ben Bradshaw, Labour-Abgeordneter im britischen Unterhaus (zugeschaltet)

Plötzlich ist das zweite Referendum im Gespräch

„Endstation harter Brexit – ohne Vertrag ins Chaos?“, wollte Maybrit Illner von ihrer Talkrunde wissen. Überraschend war, wie deutlich die Möglichkeit eines zweiten Referendums wieder ins Gespräch gebracht wurde. Nicht nur Sir Peter Torry kann sich mit einer erneuten Abstimmung anfreunden („Warum sollte das eine Katastrophe sein?“), auch der zugeschaltete Labour-Politiker Ben Bradshaw sprach beinahe überschwänglich davon, dass in seiner Partei 90 Prozent der Mitglieder für einen Verbleib in der EU seien.

Vor allem – und das sagte er nicht so deutlich – wenn die Alternative ein chaotischer Ausstieg ist. Über „hohlen Phrasen“ ärgerte sich die deutsch-britische Moderatorin Kristiane Backer und meinte damit die Versprechen der EU-Gegner. „Vielleicht sollte man dem lauten Geschreie der Brexit-Befürworter nicht nachgeben“, sagte sie. Ein zweites Referendum sei denkbar.

Ökonom: Briten zahlen hohen Preis für einen harten Brexit

Die ökonomische Analyse lieferte in Illners Runde der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Sollte es zum ungeordneten Brexit – also ohne Austrittsvertrag – kommen, werde vor allem Großbritannien den Preis dafür zahlen. Der BDI-Chef Kempf sieht das übrigens anders. Er befürchtet einen massiven Rückschlag auch für die deutsche Wirtschaft.

„Für den Rest Europas wäre ein harter Brexit gut verkraftbar“, sagte hingegen Fratzscher. Denn: Vor allem britische Firmen sind es, die unter Handelsbeschränkungen leiden würden. Fratzscher sagte, dass den Briten jetzt langsam klar werde, dass nicht die EU Schuld sei am schlechten Sozialsystem, der verkorksten Gesundheitspolitk oder den vielen Jobs im Niedriglohnbereich. Die Probleme seien hausgemacht.

Hintergrund: Diese Produkte könnten bei einem No-Deal-Brexit knapp werden.

Die Runde war sich einig: Es müsse alles dafür getan werden, dass das Worst-Case-Szenario – der harte Brexit – nicht eintritt. „Alle 27 EU-Länder wollen einen sanften Brexit oder ein geordnetes Verfahren“, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.

Der ehemalige Premier als Vabanque-Spieler

Der CDU-Politiker dämpfte gleichzeitig die Hoffnung auf ein zweites Referendum. Es sei nicht klug, das gespaltene Land erneut in eine solche Situation zu bringen. Laschet präsentierte zwar keine neuen, originellen Vorschläge, wie ein Ausweg aus dem Brexit-Chaos aussehen könnte. Er redete aber trotzdem Klartext – und rechnete mit den Konservativen auf der Insel ab.

Der Labour-Partei bescheinigte der CDU-Mann, noch „einen Funken Interesse am Gemeinwohl des Landes zu haben“. Die konservativen Tories aber – immerhin in der gleichen Parteienfamilie wie CDU und CSU – ging Laschet hart an. Der ehemalige Premier David Cameron habe aus parteitaktischen Gründen das Referendum vom Zaun gebrochen. Sein einziges Ziel sei es gewesen, die Rechten in der eigenen Partei einzubinden. Cameron selbst sei gegen die Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft gewesen. Der britische Premier als Vabanque-Spieler.

Hintergrund: Diese fünf Briten sind für das Brexit-Chaos verantwortlich

Laschet, der zum liberalen Flügel der CDU gehört, warnte vor Referenden – auch in Deutschland. Ein Parlament könne Entscheidungen der Vorgängerregierung ohne Probleme korrigieren. Wenn das Volk aber entscheide, sei es deutlich schwieriger. Das Grundgesetz jedenfalls habe den Deutschen mit der repräsentativen Demokratie ein hohes Maß an Stabilität gebracht.

Doch wie geht es nun weiter mit Großbritannien? Das Land ist gespalten, die Regierung gelähmt, das Unterhaus zerstritten. Der ehemalige Botschafter Sir Peter Torry rechnet schon damit, dass die Briten an der Europawahl im Mai teilnehmen – obwohl sie doch seit 2016 versuchen, die EU zu verlassen. Aktuell plädiert Jean-Claude Juncker für eine Brexit-Verschiebung auf den 22. Mai.

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Wie ein Ausweg aussehen könnte, drückte Christian Schulte-Loh, der als deutscher Komiker in London arbeitet und auch in Illners Runde saß, auf seine Art aus: „Das beste wäre, man wirft eine Münze“, sagte er. „Und das Ergebnis gilt dann“. (Fabian Hartmann)