Berlin . Katarina Barley wird SPD-Spitzenkandidatin bei den Europawahlen im Mai. Wer wird ihr auf den Posten als Justizministerin nachfolgen?

Lässig hat sich Katarina Barley eine Gelbweste übergestreift. Was ist da los, am Montagmorgen bei den Atlantik Hafenbetrieben in Bremerhaven? Fraternisiert ausgerechnet die Bundesjustizministerin im Europawahlkampf jetzt auf Sahra Wagenknechts Spuren mit der zu Gewaltausbrüchen neigenden französischen Protestbewegung? Keine Sorge.

Die Gelbweste ist nur den strengen deutschen Arbeitsschutzregeln geschuldet. Freudestrahlend twittert Barley ein Foto, wie sie im Führerhaus eines gewaltigen Container-Krans hoch über dem Hafen die Pferdestärken der Maschine spielen lässt. Wahlkampf in Bremen, wo die 70-jährige SPD-Vorherrschaft auf der Kippe steht und zeitgleich mit Europa Ende Mai gewählt wird. Jetzt haben die Bremer Genossen Barley gebucht, um ein paar schöne Bilder zu bekommen.

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Zwischen Internet-Shitstorm und Europawahl

Es gibt in der SPD kaum jemanden, der so gekonnt Krisen und Probleme weglächeln kann wie die Tochter eines Briten und einer Deutschen. Gerade hat die 50-Jährige selbst einen Internet-Shitstorm an den hohen Hacken. Als SPD-Netzpolitikerin protestiert sie gegen geplante EU-Filter beim Hochladen von Videos und Musik im Internet, als Justizministerin hebt sie im Namen der Bundesregierung in Brüssel aber die Hand für die umstrittene Urheberrechtsreform.

Noch ist offen, wie stark diese Glaubwürdigkeitsdelle ihre Kampagne als SPD-Spitzenkandidatin für Europa beeinträchtigen wird. Klar ist dagegen, dass ihre Tage als Bundesjustizministerin gezählt sind.

Wer aber aus der SPD füllt die Lücke in der Bundesregierung, wenn Barley nach der Europawahl ihren Ministerposten niederlegt und als Abgeordnete ins EU-Parlament in Straßburg umzieht?

Die ideale Nachfolgerin für Barley hat gerade abgesagt

Seit Wochen wird in der SPD getuschelt. Männer brauchten sich erst gar keine Hoffnungen zu machen. Für die SPD-Kabinettsmitglieder gilt eine 50:50-Quote, drei Frauen, drei Männer. Lange Zeit galt Stefanie Hubig als Favoritin. Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin war unter Heiko Maas Staatssekretärin, als der noch nicht Außen-, sondern Bundesjustizminister war.

Hubig, Ex-Richterin und Staatsanwältin, hinterließ im BMJV, wie das Haus in der Berliner Szene genannt wird, bleibende Eindrücke. Sie hätte als Barley-Nachfolgerin keine einzige Minute Einarbeitungszeit gebraucht, sagt ein Beamter, der mit ihr zusammengearbeitet hat.

Hubig will in Rheinland-Pfalz bleiben

Seit ein paar Tagen fällt das alles in die Steinbrücksche Kategorie von „hätte, hätte, Fahrradkette“. Die 50-Jährige will (noch) nicht auf die große Bühne der Bundespolitik. Sie bleibt in Mainz, im Kabinett von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). „Ich bin ausgesprochen gerne und mit Freude Bildungsministerin und sehe meinen Arbeits- und Lebensmittelpunkt in Rheinland-Pfalz“, sagte Hubig jetzt der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“.

Die Chancen, in der Bildungspolitik Gutes zu gestalten, nähmen deutlich Fahrt auf, „ich habe hier noch einiges zu tun, was sehr wichtig ist.“ Auch private Gründe spielten eine Rolle. Hubig wollte ihrer Familie nicht erneut einen Wechsel nach Berlin zumuten.

Und wer weiß, ob die große Koalition bis 2021 hält? Derzeit sieht es zwar nicht danach aus, dass die SPD Ende des Jahres die im Koalitionsvertrag verankerte Revisionsklausel für einen Exit nutzen würde. Ausgeschlossen ist dieses Szenario aber nicht. Zumal sich die Union auch Gedanken macht, wann und wie der gleitende Machtwechsel von Angela Merkel zu Annegret Kramp-Karrenbauer strategisch ablaufen soll.

Wer ist Nancy Fraeser?

Hubigs Verzicht könnte den Weg für eine andere Juristin und Genossin frei machen, die bundesweit nur wenige kennen. Nancy Faeser aus Schwalbach am Taunus. Die Generalsekretärin der hessischen SPD war als Innenministerin vorgesehen, falls Spitzenmann Thorsten Schäfer-Gümbel („TSG“) die Landtagswahl gewonnen und CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier in Wiesbaden aus der Staatskanzlei verdrängt hätte. „TSG“ scheiterte. Die SPD wurde hauchdünn hinter den Grünen dritte Kraft. Es war sein dritter Anlauf. Bekommt Schäfer-Gümbel 2023 eine vierte Chance?

Danach sieht es eher nicht aus. Der ewige Wahlverlierer ließ sich zwar als Fraktionschef im Landtag bestätigen. In der SPD wird jedoch damit gerechnet, dass er im Lauf des Jahres den Landesvorsitz abgibt – und zwar an Faeser. Beförderte SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles Faeser, die glühender Eintracht-Frankfurt-Fan ist, zur Bundesjustizministerin, würde das mehrfach Sinn ergeben.

Fachliche Qualitäten im NSU-Untersuchungsausschuss

Die 48 Jahre alte Innenexpertin hat ihre fachlichen Qualitäten im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags allen bewiesen. Mit einem Ministeramt in Berlin würde sie das nötige Gewicht bekommen, um als kommende Spitzenkandidatin bei der nächsten Landtagswahl den Angriff auf eine CDU mit 25 Jahren Regierungsmacht im Rücken zu starten.

Mit Faeser würde zudem das fein ausbalancierte Machtgefüge an der Spitze der Bundespartei erhalten bleiben. Schäfer-Gümbel könnte neben dem Landesvorsitz sein Amt als einer von sechs Nahles-Stellvertretern beim Parteitag im Dezember an Faeser übergeben. Diese würde so selbst bei einem abrupten GroKo-Ende mit einem Verlust des Ministeramtes wichtige Parteifunktionen behalten.

Und Eva Högl?

Immer wieder, wenn in der SPD eine Frau für ein Ministeramt gesucht wird, fällt zwar auch der Name Eva Högl (50). Die Vizechefin der Bundestagsfraktion und Rechtsexpertin hat aber zwei Mankos. Sie kommt aus Berlin, einem kleinen Landesverband, der wenig Gewicht hat und dem der Ruf eines ziemlich schrägen Intrigantenstadls anhaftet. Außerdem gibt es Zweifel, ob die ehrgeizige Högl einem öffentlich so herausgehobenen Amt gewachsen wäre.

Eva Högl (SPD) wird als Nachfolgerin für Katarina Barley gehandelt.
Eva Högl (SPD) wird als Nachfolgerin für Katarina Barley gehandelt. © imago/Metodi Popow | M. Popow

Noch wurden bei der Barley-Nachfolge keine abschließenden Gespräche geführt, heißt es aus der SPD. Von einem vorzeitigen Abgang aus dem Kabinett, um sich mit voller Kraft in ihre Europa-Kampagne zu stürzen, will Barley nichts wissen. Sie verweist darauf, dass die heiße Wahlkampfphase erst nach Ostern beginnen dürfte. Es gebe noch viele wichtige Dossiers in der EU und im Bundeskabinett, die sie bis zum Ende persönlich vorantreiben wolle.

Barley als Freiheitsstatue

In der aktuellen Karnevalssession erschien die Rheinländerin als amerikanische Freiheitsstatue, mit glänzendem Faltengewand und grünem Strahlenkranz auf dem Kopf. Die heldenhafte Pose passt zu ihr: Barley hat sich als Ministerin vor allem als Schutzmacht der Verbraucher profiliert. Bei der Einführung der Musterfeststellungsklage, die Schadenersatz zum Beispiel für geschädigte Autobesitzer erzielen soll, drückte sie aufs Tempo.

Beim Mietrecht dagegen setzte ihr der Koalitionspartner enge Grenzen, eine wirksame Mietpreisbremse konnte Barley nicht durchsetzen. Doch die SPD-Politikerin lässt nicht locker: Auf den letzten Metern ihrer Amtszeit ärgert sie die Union jetzt mit einem Gesetzentwurf, der Wohnungskäufer von den Maklergebühren entlasten soll.

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    Als Erfolg verbuchen kann Barley den Kompromiss im Ringen um eine Reform des Werbeverbots für Abtreibungen in Paragraf 2019a. Über Monate hatte sie mit vier Ministerkollegen aus SPD, CDU und CSU eine Lösung gesucht. Dass der Kompromiss sogar bei der sehr skeptischen SPD-Fraktion mit großer Mehrheit angenommen wurde, liegt auch an der Person Barley: Die Genossen lieben ihre Mischung aus maximalem Kampfgeist bei maximalem Charme.

    Mancher traut ihr zu, in nicht allzu ferner Zeit den Sprung von der nicht unbedingt glamourösen EU-Bühne zurück zu schaffen. Mit einem respektablen Ergebnis bei der Europawahl würde sie in den Kreis potenzieller SPD-Kanzlerkandidaten aufrücken.