Berlin. Union und SPD haben sich auf eine Reform des Werbeverbots für Abtreibungen geeinigt. Was kann der Kompromiss leisten und was nicht?

Die Einigung kam am späten Montagabend. Monatelang hatten Union und SPD um das Werbeverbot für Abtreibungen gerungen. Das Thema ist sensibel, emotional aufgeladen. Die Reaktionen auf den Kompromiss der Bundesregierung fallen demnach maximal kontrovers aus.

Bei Twitter etwa läuft die Debatte unter dem Hashtag #219a heiß: Von „unbedeutenden Ergänzungen“, einem „faulen Kompromiss“ und einem „Paragrafen aus der Nazizeit“ ist die Rede.

Andere wiederum sprechen von einem „wichtigen Schritt“ für Ärzte und Frauen und einer „Ergänzung in die richtige Richtung“. Der Gesetzentwurf, auf den sich die große Koalition jetzt verständigt hat, sieht vor, dass Frauen künftig einfacher an Informationen über Schwangerschaftsabbrüche gelangen können.

Das ärztliche Werbeverbot nach Paragraf 219a bleibt aber grundsätzlich bestehen, der Paragraf wird nur ergänzt. Am 6. Februar soll das Kabinett den Gesetzentwurf verabschieden.

Was ändert sich für betroffene Frauen?

Das wichtigste Ergebnis: Frauen sollen sich künftig leichter über Schwangerschaftsabbrüche informieren können. Dafür soll die Bundesärztekammer eine zentrale Liste mit Ärzten, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen führen, die Abbrüche vornehmen. „Die Liste enthält auch Angaben über die jeweils angewendeten Methoden zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs“, heißt es im Gesetzentwurf.

Die Liste soll monatlich aktualisiert und im Internet veröffentlicht werden. Zudem soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Liste erhalten und veröffentlichen. Und auch über das bundesweite Hilfetelefon für Schwangere in Not (0800-4040020) sollen Frauen sich über die in der Liste enthaltenen Stellen informieren können.

„Wir stellen sicher, dass betroffene Frauen in einer persönlichen Notsituation an die Informationen gelangen, die sie benötigen“, sagte Justizministerin Katarina Barley (SPD). Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte, die Koalition habe einen „ausgewogenen Ausgleich“ gefunden.

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Was ändert sich für die Ärzte?

Für Ärzte und Kliniken soll es künftig nicht mehr strafbar sein, öffentlich – zum Beispiel auf der eigenen Internetseite – darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, Details zu einzelnen Methoden fallen aber nach wie vor unter das Werbeverbot. Die Ärzte sollen stattdessen auf nähere Informationen neutraler Stellen hinweisen dürfen, etwa durch Links auf ihren Webseiten. Das können Bundes-oder Landesbehörden, Beratungsstellen oder Ärztekammern sein.

Die neue Vorschrift sorge für Rechtssicherheit für die Ärzte, betonte Familienministerin Franziska Giffey (SPD). „In Zukunft wird jede Ärztin und jeder Arzt in Deutschland über die Tatsache informieren dürfen, dass er oder sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt.“

Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), sprach hingegen von einem schwierigen Kompromiss. Ihr Vorschlag: „Um mehr Rechtssicherheit für die Ärzte zu erreichen, wäre es hilfreich, wenn im Gesetzestext ein konkreter Satz aufgenommen werden könnte, den die Ärzte auf ihre Homepage setzen können.“

Mit dieser Mitteilung, dass in der Praxis nach vorheriger Beratung in einer anerkannten Beratungsstelle Abtreibungen vorgenommen werden, sollte dann gleichzeitig auch auf eine Liste aller Beratungsstellen hingewiesen werden, so die CDU-Politikerin.

Warum haben Union und SPD so heftig um die Reform gerungen?

Ausgelöst wurde die Debatte durch den Fall der die im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden war, weil sie auf ihrer Internetseite über Schwangerschafts­abbrüche informiert hatte. Seither wird bundesweit über die Abschaffung des Paragrafen 219a gestritten.

Nicht nur die Opposition, auch die SPD wollte den Paragrafen streichen. Die Union hingegen wollte daran festhalten. Nach der Einigung von Montag erwartet der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach nun eine breite Zustimmung seiner Fraktion: „Mit diesem Kompromiss kann fast jeder gut leben“, sagte der Gesundheitspolitiker unserer Redaktion. „In der SPD-Fraktion herrscht bei den allermeisten große Erleichterung darüber.“

Immerhin habe die Debatte über den Paragrafen 219a großes Sprengpotenzial für das gesamte Abtreibungsrecht gehabt: „Das Recht auf legale Abtreibungen, also die Regelungen im Paragraf 218a, stand dabei auf dem Spiel“, so Lauterbach. Diesen Angriff habe man abwehren können. Wichtig sei zudem, dass mit dem gefundenen Kompromiss ein weiteres Konfliktthema abgeräumt sei. Die Koalition beweise damit, „dass wir handlungsfähig sind“.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Für Kritiker des Paragrafen 219a greift die Einigung zu kurz. Sie fordern weiterhin, dass der Paragraf komplett abgeschafft wird. Auch Kristina Hänel zeigte sich enttäuscht: Es sei weiter verboten, ungewollt Schwangere umfassend zu informieren. „Das ist eine staatliche Zensur.“ Frauen wollten sich dort ein Bild machen, wo sie sich auch behandeln ließen, und sich nicht extra durchs Internet klicken.

Die FDP wertete die Einigung als „Kotau der SPD vor dem Koalitionspartner“. Der Paragraf 219a werde nur um eine minimale Ausnahme ergänzt, kritisierte Fraktionsvize Stephan Thomae. „Ärzte dürfen auch weiterhin nicht entscheiden, wie sie Schwangere informieren. Das ist ein Misstrauensbeweis gegenüber den Ärzten.“ Der Entwurf sei nur ein minimaler Fortschritt für die Frauen. FDP-Chef Christian Lindner schrieb auf Twitter: „Schade, dass die Union an falscher Stelle konservativ ist.“ Betroffenen Frauen helfe nur eine komplette Abschaffung des Paragrafen 219a.

Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, kritisierte, dass die Einigung „das skandalöse Frauenbild der Regierungskoalition“ zeige. „Bei keiner anderen medizinischen Leistung gibt es solche kruden Vorschriften. Schwangerschaftsabbrüche sollen nach dem Willen der Regierung in der Schmuddelecke bleiben“, so Möhring.

Grüne: Überkommener Paragraf gehört gestrichen

Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Ulle Schauws und Katja Keul forderten ebenfalls, „den überkommenen Paragrafen endlich aus dem Gesetzbuch zu streichen“. Der Kompromiss sei kompliziert und lasse viele Fragen offen. Zudem bleibe das Misstrauen gegenüber Ärztinnen bestehen. Die Grünen sehen die Koalition in der Pflicht, den Entwurf nachzubessern.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, begrüßte den Kompromiss hingegen: „Es ist gut, dass die Regierung Rechtssicherheit bei der Information zum Schwangerschaftsabbruch schafft. Das hilft Frauen in Notlagen ebenso wie den behandelnden Ärztinnen und Ärzten.“