Berlin. China kauft weltweit Unternehmen, baut Straßen, Eisenbahnlinien und Pipelines – und macht damit Staaten zunehmend von sich abhängig.

Im Westen schaut man zunehmend misstrauisch Richtung China. In diesem Jahr wird die Bundesregierung ausländische Übernahmen deutscher Firmen strenger prüfen. In sicherheitsrelevanten Branchen kann sie dann eine Beteiligung ab zehn Prozent unterbinden. Bislang lag diese Schwelle bei 25 Prozent. Der Beschluss des Kabinetts, der kurz vor Weihnachten wenig auffiel, ist unausgesprochen eine „Lex China“.

Auch die deutschen Geheimdienste sind alarmiert – und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hört auf sie. Die Dienste warnen davor, dass die Pekinger Staatsführung um Präsident Xi Jinping mit massiven Aufkäufen erst vor der eigenen Tür, dann in Afrika und zuletzt auch in Europa finanzielle Anhängigkeiten schafft und sich so Einfluss sichert.

Merkel weiß, dass die Hinweise berechtigt sind. Im Juni 2017 hatte sie sich auf EU-Ebene für stärkere Investitionskontrollen eingesetzt. Vergeblich. Griechenland und Tschechien verwässerten eine Erklärung. Ungarn blockierte eine pekingkritische Positionierung zum Thema Folter. Es sind Staaten, die buchstäblich in der Schuld der Chinesen stehen.

Investorengruppe aus China kauft Bahnspezialisten

Einfallstore in Europa waren die ärmeren Länder. In Portugal kauften sich Chinesen Anteile an Banken, Versicherern, Krankenhausbetreibern und Elektrizitätswerken, in Griechenland schlugen sie bei der Privatisierung des Hafens von Piräus zu, in Serbien übernahm der chinesische Konzern HBIS das Stahlwerk in Smederevo. Das bislang teuerste Vorhaben ist der Neubau der Eisenbahnstrecke zwischen Belgrad und Budapest. Auftragsvolumen: 3,7 Milliarden Euro.

„One belt, one road“ – ein Gürtel, eine Straße –, dieses Bild steht für ein weltweites Streckennetz zu Land und zu Wasser. Es umfasst den Bau von Straßen, Eisenbahnlinien und Öl- sowie Gas-Pipelines, die China mit Europa und Afrika verbinden sollen. Das als neue Seidenstraße bezeichnete Vorhaben lehnt sich an die antike Seidenstraße an. Zwischen 115 v. Chr. und den 13. Jahrhundert verband ein Netz von Karawanenstraßen den Mittelmeerraum mit China, das vor allem Seide lieferte.

Heute will die aufstrebende ostasiatische Wirtschaftsmacht investieren, seine Produkte in alle Welt exportieren und in anderen Ländern einkaufen. In Europa knüpft man an bestehende Verbindungen an, wie die Schienenstrecke von China nach Duisburg, Europas größtem Binnenhafen. Passend dazu kaufte sich eine Investorengruppe aus dem Reich der Mitte den Bahnspezialisten Bochumer Verein.

Bedenken werden beiseite gewischt

Vor allem in Mittel- und Osteuropa weitet China seinen Einfluss mit Riesenschritten aus. Die Länder gelten als Vorhof für den Eintritt in den Markt der EU. Die „16 und 1“-Initiative umfasst elf EU- und fünf Balkanländer auf der einen und China auf der anderen Seite. Bedenken gegen ein Übergewicht der Export-Großmacht versucht man in Fernost wegzuwischen. „16 und 1 könnte eine Win-win-Initiative für die EU sein“, sagt Politikwissenschaftler Zhang Weiwei von der renommierten Fudan-Universität in Schanghai unserer Redaktion.

Als Beispiel nennt er Griechenland, das in die Finanzkrise rutschte und nicht genug EU-Hilfen bekam. Der chinesische Reederei-Riese Cosco sprang ein und pachtete für 650 Millionen Dollar die Hälfte des Containerhafens Piräus. Laufzeit: 35 Jahre. Später übernahm das Unternehmen für fast 370 Millionen Euro knapp 70 Prozent der Anlagen. Zhang: „Heute hat der Hafen eine sechsmal höhere Kapazität als vorher.“

Im Sommer 2017 weihte China in Dschibuti am Horn von Afrika seinen ersten militärisch nutzbaren Hafen im Ausland ein. Peking investiert aber auch in Ägypten, Äthiopien, Tansania, Malawi, Sambia, Nigeria, Ghana, Kamerun, Tschad, im Kongo, in Angola, Mosambik und Südafrika.

„China stelle führende Position wieder her“

Ghana verpflichtete sich für einen Kredit in Höhe von über sechs Milliarden US-Dollar 15 Jahre lang jeden Tag 13.000 Barrel Rohöl zu liefern. Bei Projekten liefern die Chinesen in der Regel alles, Kapital, Material, Arbeitskräfte – und in Afrika zumeist auch die bewaffneten Wachdienste.

In welche Anhängigkeiten man geraten kann, zeigt ein anderes Hafenprojekt: Hambantota im Süden Sri Lankas. „Hier tappte die sri-lankische Regierung in die Kreditfalle“, heißt es in einer Analyse der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Die Folge: Sri Lanka könne die Zinslast „nur über weitere Zugeständnisse an Peking mildern“.

Der Hafen in Sri Lanka, die Öl- und Gas-Pipelines in Kasachstan und Usbekistan, eine Hochgeschwindigkeitstrasse in Malaysia – sie sind Teil eines gigantischen Plans, der mehr als 60 Länder einschließt. Geld spielt dabei keine Rolle. Peking verfügt über Devisenreserven von mehr als drei Billionen Dollar. „2000 Jahre lang, bis 1820, war China die größte Volkswirtschaft der Welt. Was in diesen Tagen passiert, ist eine Renaissance: China stellt seine führende Position aus früherer Zeit wieder her“, betont der Politikwissenschaftler Zhang Weiwei.

Mehr noch: Mit der Initiative „Made in China 2025“ stahlt Peking auch industriepolitisch Dominanz aus. Die nach den Vereinigten Staaten zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt will in sechs Jahren den Spitzenplatz einnehmen. Peking hat sich zum Ziel gesetzt, in zehn Schlüsseltechnologien von der Luftfahrt über die Elektromobilität bis hin zu Chemie und Pharma global führend zu sein. Es sind zum Teil Branchen, in denen die deutsche Wirtschaft heute noch ganz oben steht.

China versucht andere Staaten einzuschüchtern

Systematisch hat sich China in die deutsche Solartechnik eingekauft, danach den eigenen Herstellern mit Subventionen zu Dumpingpreisen verholfen, bis die globale Konkurrenz vom Markt gefegt war. Das Solar-Modell könnte sich als Blaupause für andere Branchen erweisen, warnen westliche Experten. Symbolkraft hatte schon, dass die Chinesen 2018 die deutsche Containerflotte als größte der Welt abgelöst haben.

 Chinas Präsident Xi Jingping (l) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Chinas Präsident Xi Jingping (l) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. © dpa | Britta Pedersen

Ein Handelskrieg findet zwischen den Vereinigten Staaten und China statt. „Amerika ist so selbstsüchtig geworden. Das wird den Prozess des amerikanischen Niedergangs beschleunigen“, prognostiziert Politikwissenschaftler Zhang Weiwei. Und kommt zu dem Schluss: „Donald Trumps Wissensstruktur ist zu altmodisch. Er klammert sich an das Jahr 1950, Xi Jinping an das Jahr 2050.“ Militärische Weltmachtambitionen weist China zurück.

Die in London angesiedelte Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) sieht dies anders. Hintergrund ist der Streit um das Südchinesische Meer. China versuche, andere Staaten an der Meerenge – Vietnam, Malaysia, Brunei, Philippinen – durch weitgehende Ansprüche auf die fisch- und rohstoffreichen Gewässer einzuschüchtern.

Ein Spruch des Ständigen Schiedshofes in Den Haag, der diese Ansprüche verwarf, wird ignoriert. Das IISS bezeichnet das Vorgehen als „Kommando-Diplomatie“. Gleichzeitig schafft China Fakten, indem es künstliche Inseln aufschüttet und dort Marineeinheiten stationiert. Seit 2000 hat China laut IISS mehr Kriegsschiffe und U-Boote auf Kiel gelegt als Japan, Südkorea und Indien zusammen. Auch die Luftwaffe werde mit modernsten Waffensystemen ausgestattet.

Chinas Präsident spricht von wachsenden Risiken

Das Verhältnis zum Westen bezeichnete IISS-Direktor John Chipman bei der Vorstellung des Jahrbuchs „Military Balance“ als spannende Strategiefrage: Den stärkeren Wirtschaftsbeziehungen stehe die zunehmend größere militärische Herausforderung gegenüber. In einer seiner seltenen öffentlichen Reden kam der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, schon Ende 2017 zu dem Schluss: „Die Zeit der Bescheidenheit scheint vorbei, China beansprucht den Rang einer außenpolitischen Weltmacht.“

Chinas Präsident Xi Jinping unterstreicht die militärischen Ambitionen seines Landes in zunehmend harschen Tönen. Am Sonnabend rief er seine Armee auf, bereit für den Kampf zu sein. China sei mit wachsenden Risiken konfrontiert, sagte er vor Offizieren. Die Streitkräfte müssten schnell auf Notfälle reagieren können.

Auch mit Blick auf die Insel Taiwan fuhr Xi seine Rhetorik hoch. China müsse und werde wiedervereinigt werden – notfalls mit gewaltsamen Mitteln, erklärte er. Der Streit um den Status Taiwans geht auf den Bürgerkrieg in China zurück, als die Truppen der nationalchinesischen Kuomintang nach ihrer Niederlage gegen Maos Kommunisten nach Taiwan flüchteten. Seit Gründung der Volksrepublik 1949 betrachtet Peking die Inselrepublik, die selbst demokratische Wahlen abhält, als Teil des eigenen Territoriums und droht mit einer Rückeroberung.

Längst ruft das kraftvolle Auftreten Chinas allergische Reaktionen hervor. In Malaysia und auf den Malediven gewannen bei Wahlen überraschend chinakritische Kandidaten. In Sri Lanka gab es Bauernproteste. In Australien verabschiedete das Parlament – wie das Kabinett in Berlin – Regelungen gegen ausländische Einmischungen. Furore machte „down under“ ein Buch, in dem der Ethik-Professor Clive Hamilton die Einflussnahme Chinas beschreibt. Titel: „Silent Invasion“, „Die stille Invasion“.