Seeon. Harmonisch: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gelingt bei der Klausur der CSU in Seeon die Versöhnung mit der Schwesterpartei.

Anfassen kann Annegret Kramp-Karrenbauer die Glocke zwar, aber sie darf sie nicht mitnehmen. Das sei dann doch „zu viel Harmonie“, scherzt Alexander Dobrindt, der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, als die neue CDU-Vorsitzende die Tagungsglocke ganz einstecken will. Es wäre sogar eine „feindliche Übernahme“.

Bei der Klausurtagung seiner Abgeordneten habe er den ersten Zugriff auf die Glocke, erklärt Dobrindt. Dann darf Kramp-Karrenbauer zusammen mit ihm immerhin einmal läuten.

Es ist für alle Seiten eine Premiere, die sich an diesem Sonnabend in den Räumen des Klosters Seeon in der Nähe des Chiemsees vollzieht. Dass die Vorsitzende der CDU auf einer Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten am Vorstandstisch sitzt, kommt nicht alle Tage vor.

Neue Harmonie der Schwesterparteien

Genau genommen kam es bisher nur einmal vor, im Jahr 2016, als Angela Merkel kurz bei der CSU zu Gast war. Beide Seiten haben keine guten Erinnerungen daran.

Diese Klausur aber und vor allem der Besuch der neuen CDU-Vorsitzenden soll eine Wende einleiten. Der Streit des Jahres 2018 soll vergessen sein. In neuer Harmonie wollen die beiden Schwesterparteien in das neue Jahr starten. Oder, wie es Dobrindt später formuliert: „Wir wollen die Balance halten zwischen Zusammenhalt und Debatte.“

Er erfindet dafür das Schlagwort der „kooperativen Konkurrenz“ von CDU und CSU. Das bedeute nicht, dass es keine Debatten mehr geben werde, ergänzt Kramp-Karrenbauer. „Es wird weiter ein spannendes Verhältnis sein, aber es wird von wesentlich mehr Gemeinsamkeiten getragen sein.“

CDU und CSU seien immer dann stark gewesen, wenn sie „die jeweiligen Eigenarten der anderen Partei“ akzeptiert hätten. Das gewährleiste eine „größere Reichweite bei den Wählern.“

Hinter verschlossenen Türen gab es langen Applaus

Bei ihrem Besuch in Seeon hat die neue CDU-Chefin geschafft, was ihrer Vorgängerin Merkel nie wirklich gelungen ist: Sie hat das Herz der CSU-Bundestagsabgeordneten erobert, jedenfalls vorerst.

Mit klaren Worten, etwas konservativeren Ansätzen als Merkel und vor allem mit viel persönlicher Nähe versucht Kramp-Karrenbauer die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Unionsparteien in den nächsten Monaten eine Europawahl und vier Landtagswahlen erfolgreich zu bestehen.

Empfang mit Glühwein: Annegret Kramp-Karrenbauer (m.) wird vor der Winterklausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag im Kloster Seeon von Alexander Dobrindt (l.) empfangen.
Empfang mit Glühwein: Annegret Kramp-Karrenbauer (m.) wird vor der Winterklausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag im Kloster Seeon von Alexander Dobrindt (l.) empfangen. © dpa | Lino Mirgeler

Bei der Diskussion mit den Abgeordneten hinter verschlossenen Türen habe es lang anhaltenden Applaus gegeben, berichten Teilnehmer. „Wir haben viele, viele Gemeinsamkeiten entdeckt“, berichtet Dobrindt.

Schon am Abend zuvor hatten die CSU-Abgeordneten der neuen CDU-Chefin das denkbar freundlichste Willkommen bereitet. Ungeduldig hatten Dobrindt und seine Leute im Schneetreiben gewartet, bis Kramp-Karrenbauers Wagen in den Klosterhof gefahren kam.

Glühwein und Wurststand

Die neue Vorsitzende hatte ihren Urlaub unterbrochen, um aus dem heimatlichen Saarland nach Seeon zu kommen. Dobrindt hatte sie direkt nach ihrer Wahl eingeladen, an der traditionellen Tagung teilzunehmen.

Als Merkel 2016 mitten im Flüchtlingsstreit zur Klausur der Schwesterpartei kam, war der Empfang frostig. Dieses Mal konnten auch Schneefall und eisige Temperaturen den warmherzigen Empfang nicht verhindern. Kaum ist Kramp-Karrenbauer aus dem Auto gestiegen, wird sie von den CSU-Kollegen geherzt und geküsst.

Das Klima bei der CSU-Klausur war besser als das Wetter: Pressestatement im Hof des Klosters Seeon.
Das Klima bei der CSU-Klausur war besser als das Wetter: Pressestatement im Hof des Klosters Seeon. © dpa | Matthias Balk

Man führt sie in den Innenhof, wo Holzbuden mit Speisen, brennende Holzscheite und Akkordeonmusik eine gemütliche Atmosphäre verbreiten sollen. Auch Heizpilze hat die CSU aufstellen lassen, da muss der Kampf gegen den Klimawandel, dem sich die Partei neuerdings verschrieben hat, noch etwas warten.

Dobrindt drückt der CDU-Chefin eine Tasse Glühwein in die Hand. Sie sagt: „Auf ein gutes Jahr 2019!“ Er antwortet: „Auf ein gutes gemeinsames Jahr 2019!“ und erkundigt sich: „Hast du Hunger? Dann gehen wir zum Wurststand!“ Merkel sind solche Situationen höchst unangenehm. Kramp-Karrenbauer dagegen, die als Saarländerin faschingserprobt ist, lacht fröhlich in die Kameras.

AfD eine neue „Lust auf Europa“ entgegensetzen

Sie setzt sich mit den Abgeordneten zum Bier zusammen und bleibt sogar über Nacht. Der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich ruft: „Es kann berichtet werden, dass euphorische Stimmung herrscht!“

Geht es nach Dobrindt und Kramp-Karrenbauer, dann soll die Freude lange anhalten. Zur Europawahl im Mai tritt die Union dieses Mal mit einem gemeinsamen Wahlprogramm und einem gemeinsamen Spitzenkandidaten an – mit dem CSU-Vizechef Manfred Weber, der gute Chancen hat, anschließend auch Präsident der EU-Kommission zu werden.

Weber ist auch in Seeon und benennt als einziger den Hauptgegner in den anstehenden Wahlkämpfen: die AfD. Diese denke über einen Austritt Deutschlands aus der EU nach, sagt er und nennt sie „die deutsche Brexit-Partei“, die politische und wirtschaftliche Instabilität riskiere. Dem wollen CSU und CDU eine neue „Lust auf Europa“ entgegensetzen, wie Dobrindt formuliert. Für die eher europakritische CSU sind auch das neue Töne.

Neben Migration andere Akzente setzen

Auch wenn das Thema Migration weiter eine Rolle spielen wird, so wollen Dobrindt und Kramp-Karrenbauer auch andere Akzente setzen. Beide greifen Berichte auf, wonach Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) über Steuersenkungen nachdenkt, falls die Wirtschaft nicht mehr ganz so gut läuft.

„Ich finde es klüger, schon jetzt über Steuererleichterungen zu reden, damit die Eintrübung des Konsumklimas gar nicht erst stattfindet“, sagt Kramp-Karrenbauer. Und Dobrindt fordert, der „Soli gehört nicht mehr auf den Gehaltszettel, sondern in die Geschichtsbücher“.

Mit dem Versuch, die Bürger stärker zu entlasten, als es der Koalitionsvertrag vorsieht, will die Union ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Profil schärfen. Der Koalitionspartner SPD kann sich also warm anziehen. Oder um es mit Kramp-Karrenbauer zu sagen: „Man streitet sich untereinander, aber wenn die Nachbarskinder kommen, dann hält man zusammen.“ Es sind solche Töne, die sie in der CSU jetzt gern hören.