Berlin. Eberhard Brandes, Vorstand des WWF Deutschland, kritisiert ein Versagen der Politik. Viele Unternehmen und Menschen seien weiter.
Eine neue Protestkultur lebt auf: Menschen demonstrieren zu Tausenden für Klima- und Naturschutz, aber auch gegen höhere Spritpreise. Wenn die Politik nicht agiert, dann tun es andere, sagt der Deutschland-Chef der Umweltstiftung WWF, Eberhard Brandes.
Herr Brandes,die Bienen sterben, die Meere sind voller Plastik. Haben Sie noch das Gefühl, etwas bewegen zu können?
Eberhard Brandes: Wir wissen alle, dass die biologische Vielfalt die Basis unseres Lebens ist, aber das Thema findet nicht wirklich statt, zu selten auch in den Medien. Das wollen wir ändern. Es wäre so ungemein wichtig, dass es analog zu den Klimakonferenzen eine jährliche UN-Konferenz zur Biodiversität geben würde. Hier braucht es mehr politischen Druck.
Es geht um unsere Lebensgrundlagen. Wir wollen gemeinsam mit der Gesellschaft, mit Politik, Wissenschaft und Unternehmen einen „New Deal for Nature and People“ erreichen – mit dem weltweit verbindlichen Ziel, die Umweltzerstörung bis 2030 zu stoppen und umzukehren. So wie es beim Klimavertrag von Paris vereinbart worden ist.
Aber taugt dieses Beispiel? Der CO2-Ausstoß steigt weltweit weiter an.
Brandes: Wir hatten mal einen gesellschaftlichen Konsens, dass Klimaschutz wichtig sei und dass man gemeinsam daran arbeiten müsse. Internationale Studien zeigen, dass die ungebremste Erderhitzung viele Tier- und Pflanzenarten ausrotten würde. Die Führung der Politik aber ist nicht mehr erkennbar, und das sehen die Menschen. Auf internationalen Konferenzen fragt man mich: „Ihr in Deutschland wart mal die Klimaschutzvorreiter. Was ist mit euch passiert?“ Sie haben leider recht.
Statt voranzugehen, sperrt sich die Bundesregierung, dass Europa seinen Paris-Beitrag anhebt: 40 % CO2 will die EU bis 2030 einsparen – deutlich über 55 % wären nötig. Und den Kohleausstieg hat sie wieder verschoben, dabei verbrennt Deutschland mehr Braunkohle als jedes andere Land der Welt. Das kann man doch keinem mehr erklären.
Wie reagieren die Menschen?
Brandes: Die Erwartungshaltung hat sich geändert. Die Menschen sind aufgeklärt, sie wollen wissen, was bei Umwelt- und Naturschutzthemen Sache ist. Sie suchen jemanden, der sich unabhängig von Wahlzyklen, Parteiinteressen oder Gewinnen um die wirklich wichtigen Themen kümmert.
Die Zeit des Aussitzens und Ignorierens muss vorbei sein. Das haben einige Politiker noch nicht verstanden. Wir müssen leider feststellen, dass die große Koalition in Deutschland ihrer Aufgabe, unsere Lebensgrundlagen langfristig zu sichern, nicht ausreichend nachkommt. Für uns ist dieses Lavieren extrem ernüchternd.
Soviel Plastik verbraucht eine Familie
Das Ausmaß der Proteste gegen den Braunkohleabbau in NRW hat viele überrascht. Sie auch?
Brandes: Es gibt nichts Kraftvolleres als eine Bewegung von Menschen, die etwas wollen. Wir erleben zurzeit, dass viele Menschen auf uns zukommen, die sich für Umwelt und Natur engagieren möchten. Es gibt Unternehmen, die weiter sehen und die sich freiwillig konkrete Ziele zur Nachhaltigkeit setzen. Sie sind viel weiter als die deutsche Politik.
Es gibt in den USA die Klimaschutz-Bewegung „We are still in“, das ist eindrucksvoll. Es zeugt auch davon: Wenn die Politik nicht agiert, dann schließen sich andere Teile der Gesellschaft zusammen und tun es. Und ich glaube, das beginnt gerade auch hier in Deutschland.
Daher bleibt es mir unverständlich, dass die ehemals großen Parteien sich mit Blick auf die AfD aus den Klimazielen herausmogeln wollen. Uns ist wichtig, dass wir die Menschen mitnehmen, denn Klima- und Naturschutz sind eine Gemeinwohlaufgabe. Das darf nicht zum Spaltpilz der Gesellschaft werden.
Millionen Autofahrer fühlen sich durch Fahrverbote drangsaliert. Die Deutsche Umwelthilfe wird nun heftig kritisiert. Haben Sie Mitleid?
Brandes: Wir sind keine Freunde von Fahrverboten. Erst animiert man die Menschen dazu, sich einen Diesel zu kaufen, indem man diesen Antrieb subventioniert, dann belegt man sie mit Verboten. Bedenklich finde ich aber, dass Teile der Politik nun eine Nichtregierungsorganisation dafür maßregeln wollen, dass sie Umwelt- und Gesundheitsvorschriften durchsetzen lassen will. Genau das aber ist die Aufgabe der Politik.
Ist es schwieriger für NGOs geworden, ihre Ziele durchzusetzen?
Brandes: Wir erleben für unser Tun breiten Zuspruch aus der Gesellschaft und auch aus der Politik. Aber wir sehen die Versuche einzelner Politiker, diese Arbeit einzuschränken. Der aktuelle Vorstoß der CDU, über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Umweltverbänden zu sprechen, ist ein Novum. Wir sehen uns nicht unmittelbar in unserer Arbeit eingeschränkt, doch wir spüren den Einschüchterungsversuch.
Der WWF wurde dafür kritisiert, mit großen Unternehmen zu kooperieren. Warum tun Sie es trotzdem?
Brandes: Wirtschaft und Umweltschutz sind kein Gegensatz. In unserer Kooperation mit Edeka zum Beispiel geht es um Themen wie Palmöl, Verpackungen, nachhaltig gefangenen Fisch, Klimaschutz. Die Analyse der Wertschöpfungskette ist bei Lebensmitteln wichtig, um sie nachhaltiger gestalten zu können.
Jede Banane, die wir hier essen, wird in Mittel- und Südamerika angebaut – oft unter hohem Einsatz von Pestiziden und mit einem immensen Wasserverbrauch. Wenn ein Unternehmen wie Edeka hier seine Anforderungen verändert, hat das eine unglaubliche Wirkung.
Es geht um unternehmerische Verantwortung – und das ist eben mehr, als den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Und inzwischen erwarten Kunden auch, das sich da was tut. Und eines habe ich als Ökonom immer wieder gelernt: Wenn man eine Vollkostenrechnung macht, dann ist die ökologische Variante langfristig fast immer die ökonomischere.