Berlin/Brüssel. Die russische Amee will neue Luftabwehrraketen stationieren. Präsident Poroschenko warnt bereits vor russischen Soldaten an der Grenze.

Die Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine spitzt sich weiter zu. Moskau will seine Truppen auf der Krim nun auch mit zusätzlichen hochmodernen Luftabwehrraketen ausrüsten. Es werde eine weitere Einheit des hochmodernen Luftabwehrraketensystems S-400 auf der Halbinsel stationiert, kündigte der Wehrbezirk Süd der russischen Streitkräfte am Mittwoch an.

Nach Zählung der Agentur Interfax stehen bereits drei Einheiten der S-400 in den Krim-Orten Sewastopol, Jewpatorija und Feodossija. Mit einer Reichweite von 400 Kilometern erfasse die S-400 das gesamte Schwarze Meer und große Teile der Ukraine, sagte der ehemalige Kommandeur des russischen Schwarzmeerflotte, Wladimir Komojedow.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte zuvor mit drastischen Worten vor der Gefahr eines russischen Einmarschs in sein Land gewarnt. „Die Zahl der Einheiten, die entlang unserer ganzen Grenze stationiert wurden, ist um einiges gestiegen“, sagte er in einem Interview mit dem ukrainischen Fernsehen. „Dem Land droht ein groß angelegter Krieg mit der Russischen Föderation.“

Auch Zahl russischer Flugzeuge an Grenze stark gestiegen

Allein die Zahl russischer Panzer habe sich von September bis Oktober verdreifacht, fügte Poroschenko an. Seit 2014 habe sich die Zahl der russischen Soldaten an den Landesgrenzen verdreifacht, die der Schützenpanzer verfünffacht und die der Artillerie verzehnfacht. Auch die Zahl der russischen Flugzeuge, Raketenwerfer und Schiffe in der Nähe der ukrainischen Grenze sei stark gestiegen.

In Russland wurden diese Angaben bestritten. „Die Ukraine besitzt keine Aufklärungssatelliten“, sagt der liberale Moskauer Militärexperte Alexander Golz unserer Redaktion. „Es stellt sich die Frage, warum westliche Staaten selbst keinen Alarm schlagen – vorausgesetzt, ihre Dienste hätten Fotos von einem bedrohlichen russischen Aufmarsch.“ Nach der Kriegsrecht-Verhängung warnte Russland vor einer Eskalation.

Kiew sieht sich seit der russischen Annexion der Krim 2014 im Krieg mit dem Nachbarn. Das Aufbringen von drei ukrainischen Militärschiffen vor der Krim am Sonntag durch den russischen Grenzschutz hatte international für Beunruhigung gesorgt. Bei dem Vorfall wurden mindestens drei Ukrainer verletzt.

Wladimir Putin.
Wladimir Putin. © Reuters | Maxim Shemetov

Russlands Präsident Wladimir Putin warf der Ukraine eine gezielte Provokation vor und kritisierte die Ausrufung des Kriegsrechts in Teilen des Landes. Poroschenko habe die Provokation inszeniert, um vor der Wahl im nächsten Jahr seine Beliebtheitswerte zu erhöhen, sagte Putin am Mittwoch bei seiner ersten öffentlichen Stellungnahme zu dem militärischen Zwischenfall. Der Kremlchef kündigte an, sich mit US-Präsident Donald Trump am Rande des G20-Gipfels an diesem Wochenende in Buenos Aires zu treffen. Dieser hatte zuvor erklärt, er erwäge eine Absage der Begegnung. „Ich mag diese Aggression nicht“, sagte Trump der „Washington Post“.

McAllister: „Es gilt, Vorfall aufzuklären“

Amerika macht Druck – auch mit Blick auf die EU. Die europäischen Verbündeten müssten neue Sanktionen prüfen und konsequenter die bestehenden Strafmaßnahmen anwenden, erklärte der US-Sondergesandte für den Ukraine-Konflikt, Kurt Volker. Doch so groß die Erschütterung in Brüssel ist – neue Sanktionen gegen Russland gelten jetzt zwar als Option, aber so schnell wird es nicht dazu kommen.

Eine Reihe von Mitgliedstaaten sind zögerlich. Brüsseler Diplomaten klagen, es gebe noch immer kein genaues Bild der Lage. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU), sagte unserer Redaktion: „Jetzt gilt es, den Vorfall aufzuklären und in aller Sorgfalt gemeinsam mit unseren Partnern die Situation aufzuklären.“ Nach jetzigem Kenntnisstand trage aber Russland die Verantwortung für die Eskalation. (Lesen Sie auch: Darum geht es beim Konflikt zwischen Moskau und Kiew)

Moskau müsse die freie Durchfahrt durch die Straße von Kertsch dauerhaft wiederherstellen und so zur Entschärfung der Situation beitragen. Doch ist in Brüssel die Sorge groß, von der Ukraine in einem militärischen Konflikt mit Russland hineingezogen zu werden. Deutschland und Frankreich bremsen inzwischen nicht nur intern, sogar öffentlich.

Sanktionen seien „kein Wasserhahn, den man auf und zu macht“, warnte das Auswärtige Amt in Berlin. Regierungssprecher Steffen Seibert verwies zudem darauf, dass Sanktionen in Europa einstimmig beschlossen werden müssten. Das ist ein Problem, denn mehrere EU-Länder – voran Italien – wollen bereits ein Ende der bisherigen Sanktionen.

Nun müsse man sich auf die Gespräche zur Deeskalation konzentrieren, fordert der außenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Knut Fleckenstein: „Es wäre falsch, jetzt reflexartig mit Sanktionsdrohungen zu reagieren“, sagte Fleckenstein unserer Redaktion. Wenn die Gespräche nichts bringen würden, könne man aber über neue Sanktionen diskutieren. Es sei aber zu bedenken, „dass die bisherigen Sanktionen nicht übermäßig erfolgreich gewesen sind“.