Brüssel. Die Bedingungen für den EU-Austritt Großbritanniens stehen fest. Es ist ein komplexes Vertragswerk. Welche Konsequenzen wird es haben?

Bye bye, Britannia: Auf einem historischen Sondergipfel haben die EU-Regierungschefs die Bedingungen für den Austritt Großbritanniens aus der Union am 29. März 2019 besiegelt. Aber was haben die Regierungschef jetzt genau beschlossen? Was ändert sich in der Praxis? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wozu braucht man den Austrittsvertrag?

Das 585-Seiten-Dokument ist der Scheidungsvertrag zwischen Großbritannien und der EU. Er legt fest, dass die Briten auch nach dem Austritt ihre finanziellen Zusagen einhalten (die Schlussrechnung ist noch nicht fertig, sie wird auf etwa 45 Milliarden Euro geschätzt).

Er enthält Regelungen, wie der brüchige Frieden zwischen EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland gesichert werden kann. Grenzkontrollen soll es dort weiter nicht geben. Und vor allem: Der Austrittsvertrag legt eine Übergangsfrist fest, in der sich in der Praxis erstmal gar nichts ändert – mindestens bis Ende 2020, höchstens bis Ende 2022 hält sich Großbritannien auch als Nichtmitglied an alle EU-Regeln, zahlt weiter Milliarden in den EU-Haushalt ein.

Dafür hat das Land weiter Zugang zum Binnenmarkt. Währenddessen wollen London und Brüssel die Verträge über die künftigen Beziehungen aushandeln, für die jetzt die Zeit zu knapp war: Vor allem ein Handelsabkommen, aber zum Beispiel auch Kooperationen bei Sicherheit, Außenpolitik oder Forschung. Großbritannien kann während dieser Zeit zwar schon Handelsabkommen mit Drittstaaten aushandeln – sie dürfen aber noch nicht in Kraft treten.

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Kann man also weiter problemlos nach Großbritannien reisen?

Vorerst auf jeden Fall. In der Übergangszeit ändert sich erst mal nichts. Grenzkontrollen hat Großbritannien schon jetzt, das Land war nie vollwertiges Mitglied des Schengen-Raumes. Auch nach der Übergangsphase, nach 2022, sollen Reisen problemlos möglich sein: Für Trips nach Großbritannien werden EU-Bürger dauerhaft kein Visum benötigen. Umgekehrt werden auch die Briten weiter ohne Visum in die Union reisen dürfen.

So ist es in einer „Politischen Erklärung“ festgelegt, die den Austrittsvertrag ergänzt. Sie ist aber rechtlich unverbindlich und vage: Die Visa-Befreiung wird in dem Dokument nur für „kurze Besuche“ zugesichert – was das heißt, muss später erst noch ausgehandelt werden. Für Studenten, Wissenschaftler und Jugendaustausche sollen aber erleichterte Einreise- und Aufenthaltsbedingungen vereinbart werden.

Großbritannien ist die Personen-Freizügigkeit, wie sie EU-weit gilt, ein Dorn im Auge – das war einer der Gründe für den Brexit. Da droht noch viel Ärger.

Können Briten weiter in Deutschland leben – und Deutsche auf der Insel?

Der Austrittsvertrag gibt den EU-Bürgern in Großbritannien und den Briten auf dem Kontinent Rechtssicherheit: Alle Bürger, die schon jetzt in Großbritannien leben, behalten lebenslang ihr Bleibe- und Arbeitsrecht, einschließlich des Anspruchs auf Sozialleistungen. Umgekehrt haben Briten, die jetzt in anderen EU-Ländern leben, dieselben Rechte.

Den Anspruch erwirbt, wer vor dem Ende der Übergangsphase umgezogen ist – also auch nach dem Scheidungstermin im März 2019.

Allein in Deutschland leben rund 100.000 Briten. In Großbritannien haben rund 3,5 Millionen Bürger aus anderen EU-Staaten ihren Wohnsitz.

Ist der Austrittsvertrag jetzt besiegelt?

Nein. Mit der Zustimmung der EU-Regierungschefs über den Vertrag ist nur eine Zwischen-Etappe erreicht. Als nächste große Hürde gilt die notwendige Zustimmung des britischen Parlaments, das voraussichtlich am 10.Dezember entscheiden soll.

Eine Mehrheit für den Austrittsvertrag ist dort bislang nicht in Sicht – sowohl Brexit-Hardliner in Mays konservativen Torie-Partei als auch die nordirische DUP, auf die sich May im Parlament stützt, haben Widerstand angekündigt.

Die britische Premierministerin Theresa May am Sonntag beim EU-Sondergipfel in Brüssel.
Die britische Premierministerin Theresa May am Sonntag beim EU-Sondergipfel in Brüssel. © Getty Images | Sean Gallup

Wenn der Vertrag auch in mehreren Anläufen scheitert, droht eine schwere Regierungskrise. Denkbar sind Neuwahlen oder ein zweites Brexit-Referendum. Vor allem würde ein ungeregelter EU-Austritt ohne Vertrag, ein „wilder Brexit“, dann wahrscheinlich werden – eine Katastrophe für die Briten, eine schwere Belastung auch für die EU.

Premierministerin Theresa May warb in einem am Sonntag veröffentlichten „Brief an die Nation“ darum, den Brexit-Deal zu unterstützen. „Ein neues Kapitel in unserem nationalen Leben beginnt“, schrieb die Regierungschefin.

Das EU-Parlament will den Vertrag im März ratifizieren, die Zustimmung gilt als sicher. Die EU-Regierungschefs schließen Nachverhandlungen über den Vertrag aus: „Es wird sicher nicht nachverhandelt. Und es gibt auch keinen weiteren Spielraum“, sagte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz in Brüssel.

Was ist für die spätere Partnerschaft geplant?

Bislang gibt es nur vage Pläne. Der Sondergipfel beschloss eine unverbindliche Erklärung, in der rund 70-mal von Zusammenarbeit und enger Partnerschaft die Rede ist – auf vielen Feldern, von Verteidigung, Geheimdiensten, Justiz, Außenpolitik bis zu Forschung und Studienaustausch. EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagt: „Wir werden Verbündete, Partner und Freunde bleiben.“

Aber das ist bisher nur Theorie. Dreh- und Angelpunkt sind die wirtschaftlichen Beziehungen: Als Ziel haben Brüssel und London eine umfassende Freihandelszone ohne Zölle und Quote verabredet, mit fairen Wettbewerbsbedingungen und enger Abstimmung bei Standards.

Details sind unklar, es dürfte viel Streit geben – zumal diese Verabredung rechtlich unverbindlich ist. Die Briten wären nach ersten Experteneinschätzungen auf diese Weise nicht völlig frei in der Steuer-, Subventions- oder Umweltpolitik.

Erschwerend kommt für Großbritannien eine Festlegung im verbindlichen Austrittsvertrag hinzu: Wenn keine andere Lösung für die Frage gefunden wird, wie sich dauerhaft Kontrollen an der inneririschen Grenze vermeiden lassen, bleibt ganz Großbritannien als Notfalllösung in einer Zollunion mit der EU. Damit wäre es den Briten zum Beispiel unmöglich, im Handel mit Drittstaaten die Zölle der EU zu unterbieten.

Was ist beim Gipfel noch konkret ausgehandelt worden?

Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag in Brüssel mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag in Brüssel mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. © Getty Images | Sean Gallup

Nichts. Alle Dokumente waren bereits vorher fertig. Darauf hatte unter anderem Kanzlerin Angela Merkel bestanden. Sie wollte verhindern, dass Premierministerin May auf den letzte Metern noch die Regierungschefs unter Druck setzen könnte – Merkel hatte vorab in Brüssel sogar mit der Absage des Gipfels drohen lassen, wenn letzte Streitpunkte nicht vorher ausgeräumt seien.

Merkel setzte sich auch diesmal durch: Spaniens Premierminister Pedro Sánchez zog am Sonnabend seinen Widerstand wegen der Gibraltar-Frage zurück. In einer Protokollerklärung ließ sich Spanien aber zusichern, dass es künftige Vereinbarungen mit Blick auf Gibraltar vorab prüfen muss und ein Veto einlegen kann.

Was bedeutet der Brexit für Deutschland?

Deutschland hat wegen seiner relativ starken Handelsbeziehungen zu Großbritannien besonderes Interesse an einem geordneten Brexit und einer guten Partnerschaft mit Großbritannien.

Die Briten gehören zu den wichtigsten Handelspartnern, Branchen wie die Autoindustrie, Maschinenbau oder Chemie haben für ihre Produktion Lieferketten zwischen der Insel und Deutschland aufgebaut. Zugleich verliert Deutschland einen Verbündeten auf EU-Ebene, vor allem bei wirtschaftspolitischen Fragen.