Kiew. Ein Ukraine-Besuch unter anderen Umständen: Merkels erste Auslandsreise nach dem Rückzug als CDU-Chefin. Poroschenko fühlt sich geehrt.

An Dynamik jedenfalls fehlt es Angela Merkel noch nicht. Als sie am Donnerstag vor dem Marienpalast in Kiew auf den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko trifft, will sie sofort Richtung roter Teppich laufen. Doch der Präsident hält sie auf. Erst die Nationalhymnen anhören und abwarten.

Dann erklingt die deutsche Hymne, Merkel wirkt ernst. Ob sie sich überlegt, wie oft sie diesem Zeremoniell – in dreizehn Jahren Kanzlerschaft auf unzähligen Auslandsaufenthalten bereits erlebt – noch beiwohnen darf?

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Der Tagestrip in die Ukraine ist nach Merkels überraschendem Rückzug als CDU-Vorsitzende und der Ankündigung, nach Auslaufen der Legislatur auf keinen Fall mehr als Kanzlerkandidatin anzutreten, die erste Auslandsreise. „Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren“, hatte Angela Merkel auf einer Pressekonferenz gesagt.

Der 64-jährigen deutschen Regierungschefin ist zunächst wenig anzumerken von möglichem Abschiedsschmerz. Routiniert und gut aufgelegt informiert sie die Delegation über die Besonderheiten der Reise, begrüßt den Bürgermeister von Kiew, Witali Klitschko, scherzt mit Poroschenko beim Abschreiten des roten Teppichs.

Merkel ist auf internationaler Bühne so erfahren wie kaum jemand

Der Dreikampf um ihre Nachfolge, die Kandidatur ihres früheren Rivalen Friedrich Merz, die aktuellen Anwürfe von Gesundheitsminister und CDU-Kandidat Jens Spahn zur Flüchtlingspolitik – zunächst ist das kein Thema, kein offizielles Wort fällt dazu. Business as usual, Routine wie immer – das will Merkel vermitteln. Ihre Delegation unter Regierungssprecher Steffen Seibert, international erprobt und einigermaßen verschworen, hilft ihr dabei.

Merkel schätzt die internationale Bühne. Hier kennt sie sich aus, ist erfahren wie kaum jemand. Im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs ist Merkel mit Abstand die Dienstälteste, auch international gibt es nicht viele Staatenlenker, die länger im Amt sind.

Ukrainische Hauptstadt ist für Merkel sicheres Terrain

Merkel wirkt mit sich im Reinen, auf eine Art befreit. Doch wer am Donnerstag genau hinhört, dem fällt zwischen den Zeilen eine gewisse Ironie an der Kanzlerin auf. Ironische Sätze, ein Frotzeln, das sie selten an den Tag legt. Zwar würde sie niemandem von außen wirklich Einblick in ihr Seelenleben gewähren. Doch wer sie lange kennt, kann eine gewisse Resignation feststellen.

Auch wenn sie die Entscheidung, sich beim CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg nicht mehr zur Wahl zu stellen, schon im Sommer getroffen haben will: Leicht ist sie ihr nicht gefallen. Zufrieden ist sie allerdings mit der Art und Weise ihres Abschieds auf Raten. Das hat ihr in Deutschland, aber auch international, viel Respekt eingebracht. Überhaupt, es ist eine Karriere ohne Beispiel.

Die Reise macht auch deutlich, dass die 64-jährige Regierungschefin gewillt ist, die Legislatur als Kanzlerin erfolgreich zu Ende zu bringen. Die ukrainische Hauptstadt ist für die deutsche Kanzlerin sicheres Terrain. Poroschenko sieht es gerne, dass die deutsche Regierungschefin ihn im Vorwahlkampf für die Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2019 mit ihrem Besuch beehrt. Deutschlands jahrelange finanzielle und politische Unterstützung ist ein Pfund, mit dem Poroschenko, der einen West-Kurs fährt, wuchern kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine. © REUTERS | GLEB GARANICH

Die Ukraine hat Merkel während ihrer Kanzlerschaft beschäftigt, sie ist einer der internationalen Hauptakteure, die versuchten, das Land so gut es geht zu befrieden. Nach der Revolution auf dem Maidan koordinierte Merkel die Reaktion des Westens. Nachdem Russland die Halbinsel Krim annektierte, war die deutsche Kanzlerin eine zentrale Figur im Ringen um das Minsker Abkommen.

Durchschnittseinkommen in Ukraine liegt bei 2600 Euro jährlich

Der Westen konnte die Lage einigermaßen stabilisieren und Russlands Präsident Wladimir Putin deutlich machen, dass man ihn vor der eigenen europäischen Haustür nicht ungehindert gewähren lässt. Viel mehr gelang nicht. Vier Jahre dauert der blutige Konflikt zwischen von Russland unterstützten Separatisten und den Kräften der ukrainischen Regierung bereits an, mehr als 10.000 Menschen sind nach UN-Angaben bislang getötet worden.

Die Frontlinie trennt scharf, zugleich wird sie monatlich von einer Million Menschen überquert, die Familienangehörige besuchen oder auch nur an ihr Geld kommen wollen. Die Bevölkerung ist arm, das Durchschnittseinkommen liegt bei 2600 Euro jährlich, der Internationale Währungsfonds setzt harte Reformen durch. Der Reichtum bündelt sich bei wenigen Oligarchen, die Korruption ist immens. Die Verhandlungen über eine UN-Friedenstruppe sind ins Stocken geraten, Ausgang ungewiss. „Stand heute wird sich Deutschland im Dezember für eine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland einsetzen“, sagt Merkel. Es sei „ernüchternd, dass es keinen stabilen Waffenstillstand gibt“.

Merkel hat mehr Zeit, sich auf Arbeit als Regierungschefin zu konzentrieren

Die Ukraine baut aber fest auf Deutschland sowie die deutsch-französische Zusammenarbeit innerhalb der EU. Hat Merkels Standing in der internationalen Politik durch die Ankündigung, sich im Dezember von der CDU-Spitze und spätestens 2021 aus dem Kanzleramt zu verabschieden, gelitten? Nein, meinte die Kanzlerin selbst jüngst am Rande des Afrika-Gipfels in Berlin. „Ich glaube, dass sich an der Verhandlungsposition in internationalen Verhandlungen nichts verändert.“ Sie habe ja nun mehr Zeit, sich auf die Aufgaben als Regierungschefin zu konzentrieren, sagte sie.

Befürchten internationale Gesprächspartner durch Merkels politischen Teil-Rückzug einen Verlust des politischen Gewichts Deutschlands? Poroschenko, der sich im März nächsten Jahres der Präsidentschaftswahl stellen muss, hat da eine klare Antwort: „Ich gehe davon aus, dass Frau Bundeskanzlerin noch sehr lange Jahre als führende Politikerin in Deutschland und Europa tätig sein wird.“ Die Frage allerdings, wer von beiden länger im Amt sein wird, will keiner der beiden beantworten.

Später, an der Universität, holt Merkel die Lage daheim wieder ein. Die Kanzlerin wird von einer Studentin gefragt, ob sie denn CDU/CSU nicht noch weiter schwächen würde durch ihren Rückzug. Merkel erklärt das Stimmungstief mit dem lange anhaltenden Streit zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU: „Das hat Stimmen gekostet.“ Und warum gibt sie ihr Amt als CDU-Chefin auf? „Um auch neuen Personen mit etwas anderen Gedanken eine Möglichkeit zu geben.“