Straßburg. Manfred Weber, Chef der Christdemokraten im EU-Parlament, spricht über seinen Plan für eine neue EU – und über die Zukunft der CSU.

Er kann der erste Deutsche an der Spitze der EU-Kommission seit mehr als 50 Jahren werden: Manfred Weber, der die Fraktion der Christdemokraten im Europäischen Parlament führt – und Spitzenkandidat bei der Europawahl im Mai werden will. In seinem Straßburger Büro richtet er eine scharfe Warnung an die Regierungs­koalition in Berlin.

Herr Kommissionspräsident in spe ... So dürfen wir Sie doch ansprechen?

Manfred Weber: Jetzt möchte ich erst mal Kandidat werden, und dann haben die Bürger das Wort. Ich gehe da mit sehr viel Respekt, aber auch mit sehr viel Motivation hinein. Ich traue mir das zu – und Europa braucht ein neues Kapitel.

Jean-Claude Juncker führte die europä­ischen Christdemokraten bei der vergangenen Europawahl mit 29,4 Prozent zum Sieg, bevor er Präsident der Europäischen Kommission wurde. Welches Ergebnis wollen Sie erreichen?

Weber: Wir stehen unter Druck – von Nationalisten und Populisten. Deswegen werden es schwierige Wahlen, und sie werden von historischer Bedeutung sein. Es geht darum, ob die proeuropäischen Kräfte im Europäischen Parlament die Mehrheit verteidigen. Es geht um das Schicksal des Kontinents. Ich traue mir zu, die Europäische Volkspartei mit Abstand zur stärksten Fraktion zu machen.

Fühlen Sie sich ausreichend unterstützt von Kanzlerin Angela Merkel?

Weber: Absolut! Und ich spüre auch unter anderen Staats- und Regierungschefs die Unterstützung, die man braucht, um Kommissionspräsident zu werden – zum Beispiel von Leo Varadkar, Andrej ­Plenkovic oder Sebastian Kurz.

Es gibt Spekulationen, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron könnte nach der Europawahl noch einen Überraschungskandidaten für die Spitze der EU-Kommission aufbieten ...

Weber: Ich bin es wirklich leid, darüber reden zu müssen. Man muss den Menschen vor der Wahl sagen, wer hinterher Europa führt. Manche Politiker glauben, dass man das hinter einem Vorhang verbergen kann. Wer seinen Kandidaten für den Kommissionspräsidenten erst nach der Wahl vorstellt, beschädigt die europäische Demokratie!

Ich garantiere Ihnen: Meine EVP-Fraktion wird niemanden zum Kommissionspräsidenten wählen, der bei der Europawahl nicht als Spitzenkandidat antritt. Wenn wir die Entscheidung der Bürger nicht respektieren, werden wir Europa an die Populisten verlieren. Mit solchen Kungeleien muss Schluss sein. Wir wollen Europa den Menschen zurückgeben.

Was soll Ihr wichtigstes Projekt als Kommissionspräsident werden?

Weber: Im Mittelpunkt steht eine bessere Verbindung der EU zu den Menschen. Die nächste Führung muss sagen: Lasst uns stolz sein, dass wir Europäer sind, auf unsere Identität, was wir geleistet haben! Wir haben einen Lebensstil entwickelt, auf den wir stolz sein können.

Außerhalb dieser Insel Europa ist es ziemlich kalt. Welcher Europäer will denn in Russland oder in der Türkei leben? Meine wichtigste Botschaft ist: Wir müssen raus aus dem Krisenmanagement und Lust auf Zukunft haben. Wenn es jemand schafft, die Aufgaben unserer Zeit zu meistern, sind es doch wir Europäer – wenn wir zusammenhalten.

Einen konkreten Plan hat der französische Präsident Macron vorgelegt – zur Reform der Eurozone. Hat er dabei Ihre Unterstützung?

Weber: Teile der Macron-Initiative sind gut. Wir müssen die Unabhängigkeit der Euro­zone sicherstellen. Es genügt nicht mehr, sich auf den Internationalen Währungsfonds zu verlassen. Wir müssen in der Lage sein, unsere Probleme eigenständig zu lösen – ohne die USA. Wir brauchen einen unabhängigen Europä­ischen Währungsfonds.

Die Vorschläge von Macron gehen weit darüber hinaus.

Weber: Mit dem Europäischen Währungsfonds würden wir einen großen Schritt für Europa gehen. Ich unterstütze Präsident Macron auch darin, die Investitionen zu steigern. Aber dafür ist kein neues ­Budget für die Eurozone notwendig. Das gelingt auch im Rahmen des bestehenden EU-Haushalts.

Die Deutschen sollen mehr in diesen Haushalt einzahlen – das Bundesfinanzministerium rechnet pro Jahr mit 15 Milliarden Euro zusätzlich. Ist das angemessen?

Weber: Wir werden selbstkritisch mit Europas Geld umgehen. Deswegen fordere ich, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen. Allerdings fällt mit dem Brexit ein Zahler weg – und neue Aufgaben kommen hinzu. Ganz Europa fordert etwa einen engagierten Außengrenzschutz. Und wenn Europa liefern soll, braucht es dafür Geld. Ich halte die Budget-Planung von Haushaltskommissar Günther ­Oettinger für korrekt.

An Solidarität mangelt es gerade in der Flüchtlingsfrage. Glauben Sie noch an eine Reform des europäischen Asylsystems?

Weber: Die Staats- und Regierungschefs haben beim Thema Migration in den vergangenen drei Jahren kein gutes Bild abgegeben, obwohl auch vieles erreicht wurde. Ich hoffe sehr, dass Österreichs Kanzler Sebastian Kurz als amtierender Ratspräsident den gordischen Knoten durchschlagen kann.

Die Antworten liegen kristallklar auf dem Tisch. Wir brauchen einen strikten Außengrenzschutz, der sicherstellt, dass wir wissen, wer sich auf europäischem Boden befindet. Zweitens muss jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag leisten. Wir brauchen mehr Solidarität untereinander. Und drittens müssen wir massiv in Afrika investieren, um die Fluchtursachen zu bekämpfen.

Wie beurteilen Sie die Versuche von Bundesinnenminister Horst Seehofer, mehr Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen?

Weber: Ich habe im CSU-Parteivorstand den Masterplan Migration von Horst Seehofer mitbeschlossen. Wenn Europa nicht liefert, müssen als allerletzte Möglichkeit auch nationale Maßnahmen ergriffen werden.

Die Vereinbarungen, die Seehofer getroffen hat, erweisen sich als Flop. Sie betreffen nur sehr wenige Flüchtlinge ...

Weber: Die Migrationszahlen sind stark zurückgegangen. Ich wünsche mir, dass wir mehr über unsere Erfolge reden. Nur so gewinnen wir Vertrauen zurück.

Wie lange soll die Grenze zwischen Bayern und Österreich noch kontrolliert werden?

Weber: Das offene Europa ist eine große Errungenschaft. Unser Ehrgeiz muss sein, dass wir die Grenzkontrollen so schnell wie möglich wieder abschaffen. Voraussetzung sind Verbesserungen beim Schutz der Außengrenzen.

In Bayern ist die CSU dabei, eine Regierung mit den Freien Wählern zu bilden – und den zweistelligen Absturz bei der Landtagswahl zu verarbeiten. Welche Konsequenzen empfehlen Sie?

Weber: Wir haben vereinbart, dass im Mittelpunkt jetzt die Regierungsbildung steht. Anschließend wird es eine Debatte geben. Die CSU hat drei Wahlen hintereinander verloren: die Europawahl 2014, die Bundestagswahl 2017 und jetzt die Landtagswahl. Deswegen werden wir darüber reden, was sich ändern soll.

Kann Parteichef Seehofer im Amt bleiben?

Weber: Horst Seehofer ist bis 2019 als Parteichef gewählt und trägt die Verantwortung für die Gesamtpartei. Wir werden gemeinsam diskutieren, wie es weitergeht. Ich spüre in der CSU viel Nachdenklichkeit über unseren Weg. Meine Partei sucht Orientierung auf einem festen vorhandenen Fundament.

Gleich mehrere CSU-Abgeordnete haben Sie als neuen Parteichef vorgeschlagen, Herr Weber. Ginge das überhaupt – eine bayerische Partei von Brüssel und Straßburg aus zu führen?

Weber: Ich werde mich an dieser Debatte nicht beteiligen. Wir reden über die Zukunft der CSU, wenn die Regierungsbildung in Bayern abgeschlossen ist.

Union und SPD droht die nächste herbe Niederlage bei der Hessen-Wahl an diesem Sonntag. Wie viele Tiefschläge kann die ­große Koalition im Bund noch verkraften?

Weber: Die große Koalition muss halten. Das ist zentral für die Frage, ob Deutschland stabil bleibt. Gerät die große Koalition nach der Hessen-Wahl ins Wanken, verlieren die Volksparteien weiter an Vertrauen. Die Leute haben es satt, dass die Regierungsparteien immer nur Selbstbeschäftigung betreiben. Wir müssen uns um die Menschen kümmern, statt Koalitionsdebatten zu führen. Die Leute sind es auch leid, dass der politische Stil immer mehr von Streit geprägt ist. Ich kann nur appellieren: Hört endlich auf mit dem Hin- und Herschieben von Verantwortung. Und regiert vernünftig!

Einen fragwürdigen Stil hat in den vergangenen Monaten doch vor allem die CSU gepflegt.

Weber: Ich glaube, alle haben ihren Beitrag zum Erscheinungsbild der Koalition geleistet. Natürlich sind Fragen des Stils und des Umgangs miteinander gerade für bürgerliche Parteien von großer Bedeutung. Für Union und SPD geht es darum, Verantwortung zu übernehmen. Das ist nicht nur für Deutschland wichtig. Wenn Berlin wackelt, dann wirkt sich das auf ganz Europa aus – gerade in diesen unsicheren Zeiten.