Washington. Mit der Wahl von Brett Kavanaugh hat das Oberste Gericht für lange Zeit eine konservative Mehrheit. Der Präsident hofft auf Rückenwind.

Kaum ist die von skandalösen Begleitumständen und tiefen Verletzungen geprägte Einsetzung des Juristen Brett Kavanaugh als Richter am Obersten Gerichtshof der USA auf Lebenszeit gelungen, schaut das Land auf den 6. November. Republikaner oder Demokraten?

Wer wird mehr von dem beispiellosen Polit-Drama profitieren, wenn bei den Zwischenwahlen zum Kongress nicht in erster Linie über Abgeordnete abgestimmt wird, sondern über die Politik des unbeliebtesten Präsidenten seit Langem?

Was ist passiert?

Vor drei Monaten gab Verfassungsrichter Anthony Kennedy seinen Rückzug aufs Altenteil bekannt. Trump nominierte mit Unterstützung der Republikaner den stramm rechts orientierten Brett Kavanaugh.

In den obligatorischen Anhörungen machte der 53-Jährige, der einst Präsident Bill Clinton in der Sex-Affäre um Monica Lewinsky verfolgt hatte, keine tadellose Figur. Er verweigerte zu zentralen Themen wie dem Abtreibungsrecht präzise Aussagen. Tausende Unterlagen aus seiner Zeit als Assistent von Präsident George W. Bush blieben unter Verschluss.

Brett Kavanaugh: Darum ist dieser Richterkandidat so umstritten

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    Kurz vor den entscheidenden Abstimmungen geriet der zweifache Vater durch Vorwürfe unter Druck, er habe vor 36 Jahren eine damals 15-Jährige beinahe vergewaltigt. Die Psychologie-Professorin Christine Blasey Ford (51) gab darüber in einer bewegenden Anhörung vor 20 Millionen Fernsehzuschauern öffentlich Auskunft. Ihr wurde hohe Glaubwürdigkeit bescheinigt, zunächst auch von Präsident Donald Trump.

    Kavanaugh wies die Anschuldigungen vehement zurück, blieb aber viele Antworten schuldig. Er warf den Demokraten einen Komplott vor. Dem schloss sich Trump uneingeschränkt an.

    Auf der Basis einer fragwürdigen Nachuntersuchung der Vorwürfe durch die Bundespolizei FBI hielten die Republikaner an ihrem Kandidaten fest, zogen die Integrität von Blasey Ford in Zweifel und brachten Kavanaugh am Sonnabend gegen den Protest der Demokraten mit 50 zu 48 Stimmen im Senat ans Ziel. In mehreren Städten gab es wütende Proteste, vor allem von Frauen. Dabei kam es zu vielen Festnahmen.

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    Warum gehen die Emotionen so hoch?

    Weil beide Parteien noch gnadenloser als sonst gekämpft haben. Fakten, Vernunft, Augenmaß, Anstand – weitgehend Fehlanzeige. Es wurde gelogen, vertuscht, hintertrieben, verzögert, beleidigt, verleumdet und gehasst in einem Ausmaß, das selbst für amerikanische Standards überraschte.

    Republikanische Abgeordnete räumen ein, dass Kavanaugh einen irreparablen Ruf-Schaden erlitten habe. Sein Bekenntnis, er werde stets überparteilich und allein nach den Buchstaben der Verfassung urteilen, gilt schon jetzt als wertlos.

    Darum trifft das Fazit des republikanischen Gouverneurs des Bundesstaats Ohio, John Kasich: „Amerika mag vielleicht ein neues Mitglied am Supreme Court bekommen haben, aber während des vergifteten Prozesses ist ein Teil der Seele unserer Nation verloren gegangen.“

    Was bedeutet das für die politische Großwetterlage vier Wochen vor den Zwischenwahlen des Kongresses?

    Bis zuletzt sah das Gros der Umfragen eine Niederlage der Republikaner voraus, wenn bei den Zwischenwahlen (Midterms) ein Drittel des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt werden. Für einen Sieg im Abgeordnetenhaus reichten den Demokraten 23 zusätzliche Sitze, im Senat müssten sie zwei Posten mehr erobern.

    Schon eine demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus würde Trump mit ihrer Verhinderungsmacht in der zweiten Halbzeit seiner Amtszeit in Bedrängnis bringen. Verlören die Republikaner auch den Senat, wäre der Präsident eine „lahme Ente“.

    Hat sich durchgesetzt: US-Präsident Donald Trump beim Wahlkampf am Sonnabendabend in Kansas.
    Hat sich durchgesetzt: US-Präsident Donald Trump beim Wahlkampf am Sonnabendabend in Kansas. © dpa | Charlie Riedel

    Diese Szenarien sind seit dem Wochenende verblasst. Es wird mit sehr hoher demokratischer Mobilisierung gerechnet, vor allem bei Frauen. Aber von einem Kantersieg der Demokraten spricht im Moment so gut wie niemand mehr.

    Auch die guten Wirtschaftsdaten (geringste Arbeitslosigkeit seit 50 Jahren, boomende Konjunktur etc.) haben den Vorsprung der Demokraten zuletzt schmelzen lassen. Der von Trump gewonnene Glaubenskrieg um Kavanaugh könnte republikanische Wähler in Scharen zu einer Art Danke-Donald-Wahl an die Urnen treiben und so die Macht der Republikaner konsolidieren.

    Warum hat die Richter-Personalie eine so herausragende Bedeutung?

    Die Konservativen träumen seit Ronald Reagans Zeiten von einer strukturellen Mehrheit am Supreme Court, die alles Moderate und Progressive wegurteilt. Sie wollen, dass gesellschaftliche Richtungsentscheidungen wie Abtreibung, Waffenrecht, Homo-Ehe oder Einfluss von Geld auf die Politik auf Jahrzehnte in ihrem Sinn zementiert werden. Das ist bisher nie gelungen.

    Trump hat den Wendepunkt geschafft. Vier liberalen Juristen (Ginsburg, Kagan, Sotomayor und Breyer) stehen nun fünf rechtskonservative Vertreter (Roberts, Alito, Thomas, Gorsuch und Kavanaugh) gegenüber.

    Was heißt das für die Rechtsprechung?

    Mittelfristig sind liberale Errungenschaften wie das seit 1973 bestehende Recht auf Abtreibung zumindest gefährdet. Kavanaugh hat sich, anders als oft dargestellt, nicht eindeutig hinter den Grundsatz gestellt, dass gefällte Grundsatzurteile (in diesem Fall Roe vs. Wade) nicht korrigiert werden sollten.

    Auch Gesetze im Bereich Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz geraten auf den Prüfstand. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat wird neu vermessen. Trump hat Kavanaugh mehrfach als „Krieger der Religionsfreiheit“ gerühmt. Die Aussicht auf fortschrittliche Einwanderungs- und Antidiskriminierungsgesetze, die Minderheiten uneingeschränkte Teilhabe am demokratischen Prozess zusichern, hat sich verschlechtert.

    Sollte es im Fall der Ermittlungen von Sonderstaatsanwalt Robert Mueller in der Russland-Affäre zu Anklagen gegen das Weiße Haus kommen, hätte Trump in Kavanaugh voraussichtlich einen juristischen Bodyguard. Der Richter hat bereits mehrfach erklärt, dass er die strafrechtliche Verfolgung eines amtierenden Präsidenten für unzulässig hielte.

    Warum ist Kavanaugh auch abseits der unbewiesenen Sex-Vorwürfe für viele Amerikaner unhaltbar?

    Weil er sich dem Eindruck nie widersetzt hat, im politischen Kulturkampf nichts anderes als eine scharfe Waffe aufseiten der Republikaner zu sein. In seiner Brandrede zu den Vorwürfen von Christine Blasey Ford stilisierte er sich weinerlich und wütend als Opfer einer politischen Verschwörung der Clintons.

    http://Richter_Kavanaugh_beteuert_in_emotionalem_Auftritt_Unschuld{esc#215435891}[video]

    Er drohte – für den Fall, dass er auf die höchste Richterbank gelangt – unverhohlen mit Vergeltung: „What goes around, comes around“ – wie ihr mir, so ich euch. Diese beispiellose Aggressivität brachte 2500 Jura-Professorinnen und -Professoren sowie die Leitartikler führender Zeitungen dazu, den 53-Jährigen als „charakterlich ungeeignet“ für das wichtigste Richteramt zu bezeichnen.

    Welche Rolle spielte Trump bei alledem?

    Für seine Anhänger ist er spätestens jetzt zum Helden geworden, dessen Wahl 2016 sich vollends gelohnt hat. Trump hatte einen Supreme Court mit ideologischer Schlagseite nach rechts versprochen – und geliefert. Für mindestens die andere Hälfte des Landes hat sich der Populist endgültig unmöglich gemacht.

    Wie er die mit Morddrohungen konfrontierte Christine Blasey Ford, die unter Qualen mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit ging, vor johlenden Wählern verächtlich machte, hat nicht nur Millionen Frauen in Wut versetzt. Trump hat an keiner Stelle des Verfahrens präsidial agiert. Er warf sich ins Getümmel und wirkte als Brandbeschleuniger. Andersdenkende zu demütigen, selbst wenn sie am Boden liegen, ist seine wahre Passion.

    Warum stehen die Demokraten nun als große Verlierer da?

    Sie wollten Kavanaugh aus Rache für die Nichtberücksichtigung von Obamas Richter-Kandidat Merrick Garland mit allen Mitteln verhindern. Sie haben bitter verloren. Dass sie mit der Preisgabe der Sex-Vorwürfe gegen Kavanaugh bis zur letzten Minute warteten, hat sich als anrüchiger Fehlgriff erwiesen.

    Vor zwei Monaten, so lange waren einzelne Senatoren im Besitz der brisanten Informationen, hätte öffentlicher Druck eine gründlichere Untersuchung aller Vorwürfe gegen Kavanaugh ermöglicht. Und so vielleicht seinen Rückzug erzwungen.