Berlin. Der Fall Maaßen hat gezeigt, woran es der Koalition mangelt: Zusammenhalt. Die Folge sind Vertrauensverlust und Führungsschwäche.

Einmal Staatssekretär und zurück. Der Ausgang des Falls Maaßen mag für den Betroffenen suboptimal sein, aber er ist im Ergebnis noch sehr milde. Eine elegante, politisch einwandfreie Lösung war nicht mehr drin. Die Einigung vom Sonntag ist eher vermittelbar als die ursprünglich beabsichtigte Beförderung des Verfassungsschutzpräsidenten. Das hätte man allerdings auch früher haben können. Als Berater des Innenministers hat Hans-Georg Maaßen nun sogar die Chance, zur grauen Eminenz im Ministerium zu werden. Der Koalition bietet der Kompromiss die Chance, bald zur Ruhe zu kommen. An der Zeit dafür wäre es.

Genau vor einem Jahr war die Bundestagswahl. Insgesamt bestätigt der Fall Maaßen, was sich als roter Faden durch die Koalition zieht: Unversöhnlichkeit.

CDU und CSU sind alles andere als eine Union

Vor einem Jahr ahnten die Partner zwar, was das Land braucht, einen „neuen Zusammenhalt“, wie es im Titel des Koalitionsvertrags heißt. Aber diesen Zusammenhalt leben sie nicht vor. CDU und CSU sind alles andere, nur keine Union. Die Sozialdemokraten schreiten, bloß nicht Seit an Seit.

Die Folgeerscheinungen der Pharisäerkoalition sind Vertrauensverlust, das Schwinden der Mitte, Führungsschwäche.

Die Koalition hat sich selbst entzaubert. Das Werk der AfD war es jedenfalls nicht. Die Rechtspopulisten sind nur die Geier, die zum Aas drängen. Man kann froh sein, dass die ökonomischen Daten in Deutschland stimmen. In Zeiten der Not, von Armut und Arbeitslosigkeit, hätten wir womöglich Weimarer Verhältnisse, also Instabilität, Unsicherheit, Zweifel an der Demokratie.

FDP-Chef Lindner hatte den richtigen Riecher

Christian Lindner ist vor einem Jahr hart gescholten worden. Aber im Nachhinein muss er sich bestätigt fühlen. Irgendetwas muss dem FDP-Chef davor bewahrt haben, Angela Merkel und Horst Seehofer auf den Zauberberg zu folgen. Nur Figuren, die ihren Bürgern weit entrückt sind, konnten auf die Idee kommen, einen unmöglichen Amtschef auch noch zu befördern. Für SPD-Chefin Andrea Nahles spricht, dass sie den Irrtum erkannt hat und nicht dickfellig aussitzt.

"Wir haben uns geirrt" – Fall Maaßen wird nachverhandelt

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    Die Führungsschwäche der großen Koalition ist eklatant, die Sehnsucht nach einem Neuanfang auch. Sie bricht sich in Ersatz- und Signalhandlungen Bahn, zuvorderst bei der Kampfkandidatur am Dienstag in der Unionsfraktion. Und wenn die Bayernwahl für die CSU so desaströs ausgeht wie es aussieht, ist auch Seehofers CSU-Vorsitz keine sichere Bank mehr.

    Regierung muss sich endlich um echte Themen kümmern

    Nichts ist gerade maßvoll. Im Normalfall hätte allein der Dienstherr, also Seehofer, entschieden, ob ein Amtschef tragbar ist oder nicht. Die ganze Diskussion war eine Übertreibung. Der Präsident eines Amts, das die Verfassung schützen soll, hat zweimal die Skeptiker der Demokratie bestärkt: Erstens, als er nach Chemnitz kruden Verschwörungstheorien das Wort redete – hinterher ohne Reue oder Entschuldigung –, zweitens durch Uneinsichtigkeit. Er hätte längst erkennen sollen, dass er nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist.

    Die Karriere von Hans-Georg Maaßen

    Hans-Georg Maaßen wird nicht Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bleiben. Nachdem er im August 2018 ohne Beweise Zweifel daran geäußert hatte, dass ein Video aus Chemnitz eine Hetzjagd gegen Ausländer zeigt, stand er in der Kritik.
    Hans-Georg Maaßen wird nicht Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bleiben. Nachdem er im August 2018 ohne Beweise Zweifel daran geäußert hatte, dass ein Video aus Chemnitz eine Hetzjagd gegen Ausländer zeigt, stand er in der Kritik. © REUTERS | Axel Schmidt
    Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte sich in der Folge vor Maaßen gestellt und wollte ihn eigentlich im Amt belassen. Als klar wurde, dass das weder die Kanzlerin noch Koalitionspartner SPD wollten, berief Seehofer Maaßen zunächst als Staatssekretär ins Innenministerium. Nach massiver Kritik an der Beförderung wurde das jedoch neu verhandelt. Zunächst hieß es, Maaßen werde Sonderberater – ohne Gehaltserhöhung.
    Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte sich in der Folge vor Maaßen gestellt und wollte ihn eigentlich im Amt belassen. Als klar wurde, dass das weder die Kanzlerin noch Koalitionspartner SPD wollten, berief Seehofer Maaßen zunächst als Staatssekretär ins Innenministerium. Nach massiver Kritik an der Beförderung wurde das jedoch neu verhandelt. Zunächst hieß es, Maaßen werde Sonderberater – ohne Gehaltserhöhung. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Zuletzt vermeldeten mehrere Medien allerdings, dass ihm doch eine Entlassung droht. Der Grund: eine Rede, die er gehalten haben soll. In Umlauf ist die Rede gekommen, weil sie im Intranet des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gestanden hat. In dem nun bekannt gewordenen Papier verteidige Maaßen auch seine Zweifel an „Hetzjagden“ am Rande einer rechtsextremen Demonstration in Chemnitz , berichtet die dpa.
    Zuletzt vermeldeten mehrere Medien allerdings, dass ihm doch eine Entlassung droht. Der Grund: eine Rede, die er gehalten haben soll. In Umlauf ist die Rede gekommen, weil sie im Intranet des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gestanden hat. In dem nun bekannt gewordenen Papier verteidige Maaßen auch seine Zweifel an „Hetzjagden“ am Rande einer rechtsextremen Demonstration in Chemnitz , berichtet die dpa. © dpa | Federico Gambarini
    Maaßen, von 2012 bis 2018 oberster Verfassungsschützer der Republik, hatte nach den Ausschreitungen in Chemnitz gezeigt, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ vor, dass in der Stadt Hetzjagden auf Ausländer stattgefunden hätten. Vielmehr sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video „um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“.
    Maaßen, von 2012 bis 2018 oberster Verfassungsschützer der Republik, hatte nach den Ausschreitungen in Chemnitz gezeigt, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ vor, dass in der Stadt Hetzjagden auf Ausländer stattgefunden hätten. Vielmehr sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video „um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. © dpa | Ralf Hirschberger
    In Chemnitz war am 26. August ein 35 Jahre alter Deutscher erstochen worden. Tatverdächtig sind drei Asylbewerber aus Syrien und dem Irak. Nach der Tat gab es fremdenfeindliche Ausschreitungen, bei denen es auch zu Gewalttaten von Rechtsextremisten kam.
    In Chemnitz war am 26. August ein 35 Jahre alter Deutscher erstochen worden. Tatverdächtig sind drei Asylbewerber aus Syrien und dem Irak. Nach der Tat gab es fremdenfeindliche Ausschreitungen, bei denen es auch zu Gewalttaten von Rechtsextremisten kam. © dpa | Andreas Seidel
    In einem Bericht an das Innenministerium hatte Maaßen seine ersten Äußerungen zu fremdenfeindlichen Vorfällen in Chemnitz mit Sorge vor einer Desinformationskampagne begründet. Maaßen erhob darin schwere Vorwürfe gegen einen Twitter-Nutzer, der sich „Antifa Zeckenbiss“ nennt. Es sei davon auszugehen, dass dieser ein veröffentlichtes Video vorsätzlich mit der falschen Überschrift „Menschenjagd in Chemnitz“ versehen habe, „um eine bestimmte Wirkung zu erzielen“, schrieb der damalige BfV-Präsident.
    In einem Bericht an das Innenministerium hatte Maaßen seine ersten Äußerungen zu fremdenfeindlichen Vorfällen in Chemnitz mit Sorge vor einer Desinformationskampagne begründet. Maaßen erhob darin schwere Vorwürfe gegen einen Twitter-Nutzer, der sich „Antifa Zeckenbiss“ nennt. Es sei davon auszugehen, dass dieser ein veröffentlichtes Video vorsätzlich mit der falschen Überschrift „Menschenjagd in Chemnitz“ versehen habe, „um eine bestimmte Wirkung zu erzielen“, schrieb der damalige BfV-Präsident. © dpa | Wolfgang Kumm
    Als Maaßen Präsident des deutschen Inlandsgeheimdienstes mit seinen rund 2700 Mitarbeitern wurde, steckte das Amt in der wahrscheinlich tiefsten Krise seiner Geschichte. Hauptgrund war die Vernichtung von Akten mit Bezug zu den Ermittlungen in der rechtsextremen NSU-Mordserie.
    Als Maaßen Präsident des deutschen Inlandsgeheimdienstes mit seinen rund 2700 Mitarbeitern wurde, steckte das Amt in der wahrscheinlich tiefsten Krise seiner Geschichte. Hauptgrund war die Vernichtung von Akten mit Bezug zu den Ermittlungen in der rechtsextremen NSU-Mordserie. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Maaßen erhielt den Auftrag, in der Behörde aufzuräumen, möglichst gründlich und diskret. Seit seinem Amtsantritt bemühte sich Maaßen, das Bundesamt technologisch aufzurüsten.
    Maaßen erhielt den Auftrag, in der Behörde aufzuräumen, möglichst gründlich und diskret. Seit seinem Amtsantritt bemühte sich Maaßen, das Bundesamt technologisch aufzurüsten. © dpa | Kay Nietfeld
    Wie er das machte, imponierte vielen Innenpolitikern. Doch an der Persönlichkeit des Verfassungsschutzpräsidenten schieden sich die Geister.
    Wie er das machte, imponierte vielen Innenpolitikern. Doch an der Persönlichkeit des Verfassungsschutzpräsidenten schieden sich die Geister. © dpa | Kay Nietfeld
    Zurückhaltung ist nicht die herausragendste Eigenschaft, die Hans-Georg Maaßen zugeschrieben wird. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gehörte der Verfassungsschutzchef zu denen, die mehr oder weniger öffentlich Kritik an der Migrationspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übten. Das kam im Kanzleramt gar nicht gut an – der Rheinländer soll damals gemahnt worden sei, sich zurückzuhalten. Laut einem Bericht der „Welt“ soll Merkel bereits vor dem Koalitionstreffen entschieden haben, dass Maaßen seinen Posten räumen muss.
    Zurückhaltung ist nicht die herausragendste Eigenschaft, die Hans-Georg Maaßen zugeschrieben wird. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gehörte der Verfassungsschutzchef zu denen, die mehr oder weniger öffentlich Kritik an der Migrationspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übten. Das kam im Kanzleramt gar nicht gut an – der Rheinländer soll damals gemahnt worden sei, sich zurückzuhalten. Laut einem Bericht der „Welt“ soll Merkel bereits vor dem Koalitionstreffen entschieden haben, dass Maaßen seinen Posten räumen muss. © dpa | Oliver Berg
    Nachdem mit CSU-Chef Horst Seehofer im März der lauteste Kritiker der Kanzlerin beim Migrationsthema Innenminister und damit sein direkter Dienstherr geworden war, dürfte sich Maaßen gut aufgehoben gefühlt haben.
    Nachdem mit CSU-Chef Horst Seehofer im März der lauteste Kritiker der Kanzlerin beim Migrationsthema Innenminister und damit sein direkter Dienstherr geworden war, dürfte sich Maaßen gut aufgehoben gefühlt haben. © dpa | Kay Nietfeld
    Maaßen stammt aus Mönchengladbach in Nordrhein-Westfalen. Studiert hat er in Köln und Bonn. Ab 1991 arbeitete er in verschiedenen Abteilungen für das Bundesinnenministerium.
    Maaßen stammt aus Mönchengladbach in Nordrhein-Westfalen. Studiert hat er in Köln und Bonn. Ab 1991 arbeitete er in verschiedenen Abteilungen für das Bundesinnenministerium. © dpa | Michael Kappeler
    In seinen ersten Dienstjahren beschäftigte er sich vor allem mit Ausländer- und Zuwanderungsrecht. 2008 wurde er Leiter des Stabes Terrorismusbekämpfung.
    In seinen ersten Dienstjahren beschäftigte er sich vor allem mit Ausländer- und Zuwanderungsrecht. 2008 wurde er Leiter des Stabes Terrorismusbekämpfung. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Maaßen war vor seinem Wechsel an die Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz für die Öffentlichkeit eher ein unbeschriebenes Blatt.
    Maaßen war vor seinem Wechsel an die Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz für die Öffentlichkeit eher ein unbeschriebenes Blatt. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Vielen Abgeordneten in Berlin war Maaßen allerdings bekannt. 2007 sagte er vor dem BND-Untersuchungsausschuss aus. Das Gremium hatte unter anderem zu klären, ob die Bundesregierung mitverantwortlich dafür war, dass der in Deutschland geborene Türke Murat Kurnaz jahrelang unschuldig im US-Gefangenenlager Guantánamo einsaß.
    Vielen Abgeordneten in Berlin war Maaßen allerdings bekannt. 2007 sagte er vor dem BND-Untersuchungsausschuss aus. Das Gremium hatte unter anderem zu klären, ob die Bundesregierung mitverantwortlich dafür war, dass der in Deutschland geborene Türke Murat Kurnaz jahrelang unschuldig im US-Gefangenenlager Guantánamo einsaß. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Für Irritationen hatte zuletzt auch gesorgt, dass Maaßens Bundesamt für Verfassungsschutz sich mit dem späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri in den Monaten vor dem Anschlag in Berlin weitaus intensiver befasst hatte als bisher bekannt. Auch gibt es Zweifel in der SPD an Maaßens Haltung zur AfD.
    Für Irritationen hatte zuletzt auch gesorgt, dass Maaßens Bundesamt für Verfassungsschutz sich mit dem späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri in den Monaten vor dem Anschlag in Berlin weitaus intensiver befasst hatte als bisher bekannt. Auch gibt es Zweifel in der SPD an Maaßens Haltung zur AfD. © dpa | Wolfgang Kumm
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    Es ist kein Wunder, dass zwölf Monate nach der Bundestagswahl der Ruf nach Neuwahlen laut wird. Ohne neues Personal haben Wahlen aber wenig Sinn. Aufhorchen lässt, was die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Mitgliedern zu sagen hat.

    Erstens, dass ihr bewusst sei, dass die Beförderung Maaßens Fragen hervorrufe, wenn nicht sogar auch Unverständnis, Kopfschütteln und Ablehnung. Und zweitens, dass es für die Koalition keinerlei Zweifel mehr daran geben dürfe, sich um das zu kümmern, was den Menschen am Herzen liege. Was noch zu beweisen wäre.