Mehr als 3500 Polizisten sollen bei der Räumung im Einsatz sein. Baumschützer sollen Molotow-Cocktails geworfen haben, so die Polizei.
Die Polizei hat mit der Räumung der Baumhäuser im Braunkohlerevier Hambacher Forst begonnen. Im Vorfeld der geplanten Rodungen für den nahenden Braunkohletagebau lassen die Bauaufsicht der Stadt Kerpen und die des Landkreises Düren die ersten der 51 illegal errichteten Baumhäuser räumen. Die Polizisten leisten Vollzugshilfe dabei, wie ein Sprecher der zuständigen Aachener Polizei unserer Redaktion bestätigte. Man werde das Gebiet erst verlassen, wenn der Einsatz abgeschlossen ist und die Baumhäuser geräumt sind.
Die Polizei hat derweil den Demonstranten vorgeworfen, mindestens einen Polizisten leicht verletzt zu haben. Einsatzkräfte und Autos seien bei der begonnenen Räumung mit Steinen und Molotow-Coktails beworfen worden, teilte die Behörde mit. Beamte seien zudem mit Zwillen beschossen worden, hieß es. Zahlen der Baumbesetzer und Braunkohle-Gegner oder eine Stellungnahme zu den Vorwürfen lagen zunächst nicht vor.
Zunächst räumte die Polizei eine erste Sitzblockade von Demonstranten. Die Aktivisten, die einen Weg zu den Baumhäusern blockierten, wurden von Einsatzkräften weggetragen. Gegenwehr leisteten sie nicht. Zuvor hatte die Polizei aus Holzstämmen aufgebaute Barrikaden beiseite geräumt.
Die Aktivisten wurden aufgefordert, die Häuser innerhalb von 30 Minuten zu verlassen. Sonst drohe die Zwangsräumung. Dieses Ultimatum der Behörden zur Räumung der Baumhäuser ließen zahlreiche Baumbesetzer verstreichen. Gegen Mittag holte die Polizei einen ersten Aktivisten von einer in der Höhe befestigten Plattform. Der Mann leistete keinen Widerstand und stieg auf eine Arbeitsbühne der Polizei-Höhenretter.
Aktivisten hatten sich auf Barrikaden platziert
Derweil sind beim Verwaltungsgericht Köln mehrere Eilverfahren gegen die Räumung eingegangen. „Es liegen mittlerweile sieben Anträge vor, die Kammer berät nun darüber“, sagte eine Sprecherin des Verwaltungsgerichts in Köln am Mittag auf Anfrage. Eine Entscheidung solle so schnell wie möglich getroffen werden. Unklar sei, ob dies noch im Laufe des Donnerstags möglich sei. Die Sprecherin wollte sich nicht dazu äußern, wer die Anträge gestellt hat.
Ein Sprecher des Kreises Düren machte deutlich, dass nicht der Kreis die Räumung veranlasst habe, sondern das Land NRW. „Wir haben keine Wahl, der Kreis Düren muss die Weisung de NRW-Bauministeriums umsetzen“, sagte der Sprecher gegenüber unserer Redaktion.
In der Nähe des Waldgebietes, das zu einem Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle geworden ist, formierte die Polizei am Donnerstagmorgen massive Kräfte. Die Polizei hat schweres Gerät aufgefahren, ist mit Räumpanzern in dem Gebiet unterwegs. Darum ist der Hambacher Forst so umkämpft.
Mehrere Aktivisten haben sich auf Barrikaden in der Nähe der Werksstraße in den Hambacher Forst platziert. Die Stimmung ist angespannt.
Hambacher Forst: Kampf um die Rodung
Braunkohle-Gegner kündigen Massenproteste an
Umwelt- und Klimaschützer haben als Reaktion auf die Räumung große Proteste angekündigt. Mit der Räumung würden unwiderruflich Fakten geschaffen. „Damit beginnt heute eine bundesweite Massenmobilisierung.
Tausende Menschen werden sich in den nächsten Tagen mit Demonstrationen, Sitzblockaden und Waldspaziergängen für den Erhalt des Waldes einsetzen“, teilten die Initiative Buirer für Buir, „Aktivist*innen der Besetzung im Hambacher Forst“, Ende Gelände sowie die Aktion Unterholz am Donnerstag gemeinsam mit.
„Wir werden deshalb ab diesem Wochenende mit Aktionen massenhaften zivilen Ungehorsams die Räumungen und Rodungen von Polizei und RWE verhindern. Durch diese Aktionsform nehmen wir unsere Zukunft selbst in die Hand“, sagte Jan Pütz von der Aktion Unterholz.
Mona Neubauer, Landesvorsitzende der NRW-Grünen, kritisierte die Aktion am Donnerstag scharf. „Die Landesregierung treibt mit dem Einsatz die Eskalation voran und macht damit auch ein Gelingen der Kohlekommission auf Bundesebene unmöglich“, sagte sie unserer Redaktion.
Neubauer appellierte an die Landesregierung und auch an Bundeskanzlerin Merkel, möglichst zu einer „Deeskalation beizutragen“. Die Aktivisten im Hambacher Forst bat Neubauer, ihren Protest gewaltfrei auszuüben.
Gewerkschaft der Polizei besorgt
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigt sich besorgt: „Schon der Auftakt dieses Einsatzes zeigt, dass das eine ganz große Herausforderung wird für den Rechtsstaat – und insbesondere an Polizei“, sagte GdP-Landeschef Michael Mertens unserer Redaktion. Nach seiner Einschätzung wird eine Räumung keinesfalls binnen weniger Tage möglich sein.
Neben den bestehenden Baumhäusern hatten die Besetzer noch in der vergangenen Nacht weitere dreibeinige Konstruktionen errichtet, sogenannte „Tripods“.
Die Räumung erfolgt dem Vernehmen nach„aus Brandschutzgründen“. Sie gilt als extrem heikel. Nach Informationen unserer Redaktion sind deutlich über 1000 Polizisten im Einsatz, darunter auch Spezialkräfte. Im Forst werden insgesamt etwa 120 bis 150 Waldbesetzer vermutet, ein Teil davon ist nach Einschätzung der Polizei in hohem Maße gewaltbereit. Zudem befinden sich die Baumhäuser in bis zu 25 Metern Höhe.
BUND befürchtet größere Rodungen
Die Umweltschützer vom BUND haben beim Oberverwaltungsgericht Münster einen Anwalt Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung gestellt. Sie befürchten, dass das Land die Räumung nur als Vorwand benutzt um schon größere Rodungen durchzuführen und den Wald zu beschädigen.
„Es ist unfassbar, dass das Land hier als Erfüllungsgehilfe von RWE auftritt“, sagte BUND-Landeschef Holger Sticht unserer Redaktion. Die Umweltschützer wollen, dass keinerlei Rodungen stattfinden, ehe nicht über ihre Klage gegen den Hauptbetriebsplan des Tagebaus entschieden ist.
Polizei rechnet mit womöglich monatelangem Einsatz
Am Mittwochabend hatte das NRW-Bauministerium angeordnet, die jahrelang geduldeten Baumhäuser der Umweltschützer und Braunkohlegegner unverzüglich zu räumen. Eine entsprechende Weisung sei den zuständigen Baubehörden am Mittwochabend übermittelt worden, bestätigte ein Ministeriumssprecher.
Rund um den Hambacher Forst richtet sich die Aachener Polizei auf einen Einsatz ein, der nicht nur Tage und Wochen dauern könnte. Für die 18 Einsatzhundertschaften der Polizei in Nordrhein-Westfalen wurde nach unseren Informationen bis zum 23. Dezember „größtmögliche Verfügbarkeit“ angeordnet, was einer faktischen Urlaubssperre ziemlich nahe kommt. Beim Einsatz heute gibt es auch Unterstützung aus anderen Bundesländern.
Hambacher Forst seit 2012 von Aktivisten besetzt
Der Hambacher Forst zwischen Aachen und Köln ist längst zu einem Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle geworden. Vor Beginn der Kohleförderung war der Wald 4100 Hektar groß; nach Angaben des Tagebau-Betreibers RWE Power wurden bislang 3900 Hektar für den Kohleabbau gerodet.
Der Wald hat nach Angaben des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine 12.000 Jahre lange Geschichte. Es gibt dort Vorkommen streng geschützter Arten wie Bechsteinfledermaus, Springfrosch und Haselmaus.
Seit 2012 ist das Waldstück von Aktivisten besetzt, die zum Teil in den 30 bis 60 Baumhäusern leben. Im Herbst will der Energiekonzern RWE die Bäume in mehr als der Hälfte des verbliebenen Waldes fällen, um weiter Kohle baggern zu können.
Bevor gerodet werden kann, müsste der Forst geräumt werden. Doch das gilt als schwierig. Zuletzt sicherte die Polizei mit einem großen Aufgebot den Einsatz von RWE-Mitarbeitern ab, die Barrikaden aus dem Wald räumen und so die Rodungsarbeiten vorbereiten wollten.
Ministerium argumentiert mit Sicherheitsbedenken
Doch der geplante Braunkohleabbau spielt in der Weisung des Bauministeriums zur Räumung der Baumhäuser keine Rolle. Vielmehr argumentiert das Ministerium in dem Schreiben mit Sicherheitsbedenken.
Die Aktivisten hatten am Mittwochabend in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, den Protest im Hambacher Forst zu unterstützen. Zuletzt waren am vergangenen Samstag und Sonntag Hunderte Menschen dem Aufruf zu einem „Wochenende des Widerstands“ in dem Waldstück gefolgt. (mit dpa)
Dieser Artikel ist zuerst auf NRZ.de erschienen.