Berlin/Köthen. Nach einem Streit in Köthen ist ein Deutscher tot, zwei Afghanen sind nun in Untersuchungs-Haft. Die wichtigsten Fragen und Anworten.

Wieder ist ein Mensch gestorben, wieder ringt eine Stadt darum, aus einem Funken keinen Großbrand werden zu lassen. Nach dem Tod eines 22-Jährigen im sachsen-anhaltinischen Köthen und der Festnahme zweier tatverdächtiger Afghanen versucht die Politik, eine Eskalation zu verhindern.

Was ist passiert?

Was genau an jenem Abend auf dem Spielplatz in der Kreisstadt geschehen ist, ist unklar. Berichte, nach denen der 22-Jährige einen Streit habe schlichten wollen und dabei selbst in die Auseinandersetzung verwickelt wurde, bestätigten die Behörden am Montag nicht. Klar ist nur: Es gab einen Streit, am Ende war ein junger Mann tot. Herzversagen, erklärte Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding am Montag unter Berufung auf den Obduktionsbericht, der junge Mann soll eine Herzvorerkrankung gehabt haben. Die Ermittler schließen Tritte oder Schläge gegen den Kopf als Todesursache aus. Derartige Verletzungen hätten nicht festgestellt werden können.

Was den Fall so brisant macht, sind die Erinnerungen an die Geschehnisse in Chemnitz, die er hervorruft: In der sächsischen Stadt war vor zwei Wochen ein 35-jähriger Deutscher erstochen worden. Die Tatverdächtigen stammen aus Syrien und dem Irak. In den Tagen darauf eskalierte in Chemnitz die Lage: Rechtsextremisten nutzten die Situation, um Stimmung zu machen gegen Ausländer und Geflüchtete, es gab Jagdszenen auf nicht-weiße Menschen, Hitlergrüße und Übergriffe auf Journalisten.

Was weiß man über die Verdächtigen?

Eine Reiterstaffel der Polizei in Köthen.
Eine Reiterstaffel der Polizei in Köthen. © dpa | ---

Die beiden Afghanen, die seit der Nacht zum Sonntag in Untersuchungshaft sitzen, kamen beide als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland. Einer der beiden hat nach Angaben von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) einen Aufenthaltstitel. Der andere hätte eigentlich gar nicht mehr im Land sein sollen: Bereits im April, so Keding (CDU), hatte der Landkreis Anhalt-Bitterfeld bei der Staatsanwaltschaft beantragt, den Mann abschieben zu dürfen. Die Ermittlungsbehörde lehnte das ab – gegen den Afghanen waren damals mehrere Verfahren anhängig. Im August beantragte der Landkreis erneut das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft. Dieses Mal mit Erfolg: Am vergangenen Donnerstag stimmte die Staatsanwaltschaft der Abschiebung zu. Ob diese Entscheidung nach den Ereignissen vom Wochenende noch Bestand hat, ist offen.

Wie lief die rechte Versammlung am Sonntag?

Von Anfang an war klar: Die Bilder von Chemnitz, als die Polizei Journalisten und Gegendemonstranten nicht vor aggressiven Rechtsextremen schützen konnte, sollten sich nicht wiederholen. Sachsen-Anhalt rief deshalb früh um Hilfe – und bekam sie. Aus Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und von der Bundespolizei waren nach Angaben von Innenminister Stahlknecht Einsatzkräfte vor Ort. Die Zahl der Polizisten, die am Sonntagabend in Köthen waren, habe „im hohen dreistelligen Bereich“ gelegen.

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Auch unter den Besuchern des „Trauermarschs“ waren zahlreiche Zugereiste: Rund 500 Rechtsextreme waren laut Stahlknecht am Sonntagabend unter den Demonstranten gewesen, aus Sachsen-Anhalt, aber auch Thüringen und Niedersachsen.

Unter anderem sprach der ehemalige NPD-Funktionär David Köckert. Köckert leitet den Thüringer Pegida-Ableger „Thügida“, der in mehreren Ländern vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In seiner Rede sprach er von einem „Rassenkrieg“. Videoaufnahmen zeigen auch Teilnehmer des Marsches, die „Nationaler Sozialismus jetzt“ skandieren. Zu Ausschreitungen wie in Chemnitz kam es in Köthen aber nicht. Der Kölner Strafrechtler Professor Ulrich Sommer sieht in den Äußerungen von Köckert den Straftatbestand der Volksverhetzung als erfüllt an.

Wann kann die Polizei eingreifen?

Die Versammlungsfreiheit ist eine wichtige Grundlage von Demokratie. Die Hürde, angemeldete Versammlungen aufzulösen, ist deshalb sowohl im Bundesrecht als in den meisten Ländern hoch, erklärt Clemens Arzt, Experte für Versammlungsrecht von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. „Allein der Verstoß gegen Strafnormen ist in der Regel nicht ausreichend“, sagt er. Maßgeblich ist, ob eine Versammlung die öffentliche Sicherheit gefährdet.

Das war nach Einschätzung der Behörden am Sonntag nicht der Fall: Für eine Auflösung der Versammlung habe es „keinen Ansatz“ gegeben, erklärte Landespolizeidirektorin Christiane Bergmann am Montag. Nach dem Marsch würde in drei Fällen wegen Volksverhetzung ermittelt.

Seehofer warnt vor voreiligen Schlüssen aus Angriff in Köthen

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    Wie reagiert die Politik?

    Die Bundesregierung zeigt sich entsetzt: Dass es in Köthen zu „offen nationalsozialistischen Sprechchören“ kam, müsse „betroffen machen und empören“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Auch auf den Tod des 22-Jährigen habe man mit Trauer und Betroffenheit reagiert.

    Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht warnte davor, alle Teilnehmer des Marsches unter Generalverdacht zu stellen. Einige Teilnehmer hätten rechtsextremen Parolen widersprochen, andere applaudiert.