Berlin. Die sechs Fraktionen des deutschen Parlaments haben mehr als 45 Millionen Euro an Rücklagen angehäuft – ohne öffentliche Kontrolle.

Reich wird man vom Behalten. Das beherzigen nicht zuletzt die sechs Fraktionen im Bundestag. CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke, FDP und AfD haben Finanzpolster in Höhe von über 45 Millionen Euro angehäuft. Das geht aus ihren Abrechnungen für das Jahr 2017 für Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hervor.

Die Hälfte der Gelder ist auf Konten der Unionsfraktion geparkt, 22,9 Millionen. Der Befund von Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, ist eindeutig: „Die Fraktionen erhalten zu viel Steuergeld.“ Er halte sie für überfinanziert, „das wird bei den hohen Rücklagen offensichtlich“, fügt Holznagel hinzu.

Die Alimentierung ist üppig: 115 Millionen Euro im Jahr

2018 bekommen die Fraktionen 115 Millionen Euro vom Steuerzahler. Der jährliche Zuschuss setzt sich aus einem Grund- und einem Kopfbetrag (pro Abgeordneten) zusammen; wobei für die Opposition noch eine Sonderzulage herausspringt.

In der Bilanz gibt es Rückstellungen und Rücklagen. Rückstellungen bilden Belastungen ab. Zum Beispiel legte die SPD 1,2 Millionen Euro zurück, um beurlaubte Beamte unter ihren Mitarbeitern nachzuversichern. Daran entzündet sich keine Kritik, umso mehr an den Rücklagen. Diese Gelder sind frei verfügbar und nicht risikobelastet.

„Die liegen da, weil man nicht ausschließen kann, dass wir irgendwann die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen“, sagt Britta Haßelmann, Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen. Der SPD verschaffen sie laut eigenen Angaben die notwendige Flexibilität, „um auf nicht vorhersehbare politische Entwicklungen reagieren zu können“, zum Beispiel mit zusätzlichem Personal für Untersuchungsausschüsse. Und die Union erklärt, mit den Rücklagen sichere man sich „über verschiedene Legislaturperioden hinweg eine kontinuierliche parlamentarische Arbeit“.

Für die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung reicht der Union eine Seite

Die Begründungen klingen dünn. Die Rücklagen seien „teilweise gar nicht spezifiziert“, klagt Holznagel. Ohnehin legten die Fraktionen nur eine „sehr grobe Bilanz“ vor. Für die öffentliche Bekanntmachung ihrer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung reichte der Union eine einzige Seite.

Diese Rechte haben Fraktionen

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    Zur Erklärung ihrer Rücklagen in Höhe von 22,9 Millionen finden sich drei Stichworte: Beschaffung, Personal, Fraktion. Die Union geht davon aus, dass ihre Reserven abschmelzen werden, da die Fraktion seit der letzten Wahl nicht mehr 311, sondern nur 246 Mitglieder hat. Weniger Abgeordnete bedeutet: weniger Einnahmen pro Kopf.

    FDP und AfD geben gar keine Erklärung für ihre Rücklagen ab. Die 2,6 Millionen Euro bei der AfD und 1,7 Millionen bei der FDP erklären sich von selbst. Beide Fraktionen wurden im September 2017 gewählt, sind neu im Bundestag und also im Aufbau. Dafür müssen sie Vorsorge leisten.

    Nicht benötigte Mittel wandern nicht zurück in den Staatssäckel

    Die SPD hat 8,6 Millionen Euro an Rücklagen, Linke und Grüne je 5,1 Millionen. Nicht benötigte Mittel wandern nicht zurück in den Staatssäckel. Solche Gelder können die Fraktionen von einer Legislaturperiode in die nächste mitnehmen. Die Union hat das Kapital „in Termingeldern und sicheren Wertpapieren angelegt“, wie ein Sprecher erläutert. Aufgrund der allgemeinen Finanzsituation fielen „nur sehr geringe Zinserträge an“.

    Das sollten alle verkraften können. Als nach der Wahl zwei neue Fraktionen einrückten und die Zahl der Abgeordneten stieg, hat man den Kuchen nicht etwa auf mehr Köpfe verteilt. Stattdessen wurden die Mittel im Juli 2018 um 30 Prozent erhöht.

    „Das haben Union und SPD zu verantworten. Das ganze Verfahren war unmöglich“, erinnert sich Grünen-Politikerin Haßelmann. Die Opposition habe davon kurz vor der Entscheidung erfahren. Im laufenden Jahr kassieren die Fraktionen nun 115,223 Millionen Euro – 2017 waren es 88,097 Millionen. Es ist Geld, um den Apparat zu unterhalten. Die Diäten sind davon unabhängig, wohlgemerkt.

    Der Notgroschen der Unionsfraktion wächst

    Während die Rücklagen von SPD, Grünen und Linken relativ konstant blieben, wächst der Notgroschen der Unionsfraktion. 35,5 Millionen Euro bekommt sie im Jahr an Zuschüssen. 22,9 Millionen aber hat sie an Rücklagen – mithin mehr als ein halber Jahresetat.

    In manchen Landtagen ist die Höhe der Rücklagen begrenzt, in Brandenburg auf 35 Prozent der jährlichen Zuschüsse, in Hessen auf 20 Prozent. „Wenn die Fraktionen schon voll alimentiert werden, muss dies bedarfsgerecht sein“, fordert der Steuerzahlerbund. „Die Fraktionsfinanzierung krankt an vielen Stellen und sollte umfassend reformiert werden.“ Auch sollten Transparenzpflichten und Prüfungsrechte des Rechnungshofes ausgebaut werden. Öffentliche Kontrolle werde bisher ausgebremst, „dies ist politisch gewollt“.

    Ein Negativ-Beispiel lieferte die FDP 2013

    Wie nötig ein Frühwarnsystem wäre, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2013, das die FDP bis heute verfolgt. Damals haben die Liberalen ihre Rücklagen um fünf Millionen Euro reduziert, gleichzeitig aber sechs Millionen für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben. 2013 war ein Wahljahr. Für Alexander Hobusch, der an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität eine Untersuchung zur Finanzierung der Partei durchführte, drängt sich der Verdacht auf, „dass eine Fraktion Gelder angespart hat, um sie im Wahlkampf zweckwidrig zu verwenden“.

    Als die FDP Ende 2013 an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, fehlte das Geld, um Forderungen in Höhe von 5,8 Millionen Euro der Rheinischen Zusatzversorgungskasse (RZVK) zu erfüllen. Die Kasse verzichtete. Ihre Forderung sei weder rechtlich durchsetzbar noch tatsächlich realisierbar, erläutert die RZVK. Die liquidierte Fraktion habe kein Geld. Die 2017 wieder in den Bundestag eingezogenen Liberalen sind wiederum liquide, dürfen aber nach Ansicht von Fraktionsgeschäftsführer Stefan Ruppert „die Rechtsnachfolge nicht antreten“.

    SPD: Lindner hat politische „Konkursmasse“ verwertet

    Die einstigen Mitarbeiter der Liberalen haben laut RZVK „keinen Schaden“, der sei vielmehr der Solidargemeinschaft entstanden. Bis heute sorgt der Fall für böses Blut. „Die FDP ist unzuverlässig“, schimpft Carsten Schneider. Sie zahle ihre Schulden für die Altersversorgung der eigenen Mitarbeiter nicht, habe aber mehr Geld für die Öffentlichkeitsarbeit als alle anderen Fraktionen zusammen ausgegeben, so der SPD-Fraktionsgeschäftsführer. Er sagt auch: „Christian Lindner hat die Konkursmasse der FDP verwertet, auf den Schulden sollen andere sitzen bleiben.“