Berlin. Der Doppelpass wird immer normaler – und das ist gut so. Denn nicht Staatsangehörigkeit ist wichtig, sondern gelingende Integration.

Auf dem Essener CDU-Parteitag im Dezember 2016 spielte sich eine bemerkenswerte Szene ab. Der konservative Jungstar Jens Spahn, der mittlerweile Gesundheitsminister ist und davon träumt, eines nicht allzu fernen Tages die Nachfolge von Angela Merkel anzutreten, brachte der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden eine empfindliche Niederlage bei. Und zwar bei der doppelten Staatsangehörigkeit.

Nach einer aufrüttelnden Spahn-Rede stimmte der Parteitag knapp dafür, dass die CDU den mit der SPD vereinbarten und längst in geltendes Recht umgesetzten Kompromiss zum Doppelpass aufkündigen solle. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern dürfen seit Ende 2014 beide Staatsangehörigkeiten behalten und müssen sich mit 21 Jahren nicht mehr für einen Pass entscheiden, wenn sie hier aufgewachsen sind.

Merkel marschierte nach der Abstimmung in Essen noch in der Halle wutentbrannt vor eine Fernsehkamera, um zu erklären, dass sie sich an das Votum ihrer Partei nicht halten werde. Einmal mehr stieß die sozialdemokratisierte Kanzlerin die konservativen Hardliner vor den Kopf (auch wenn sie später im Wahlprogramm wieder auf die Partei zuging).

Viele Briten sichern sich mit Doppelpass vor Brexit ab

Merkel weiß, dass der Doppelpass in einer globalisierten Welt gelebte Normalität ist. Auch in Deutschland. Und das ist gut so. Insofern verwundert es nicht, dass im Vorjahr 61,4 Prozent der rund 112.000 Migranten, die eingebürgert wurden, den Ausweis ihres Geburtslandes behalten haben.

Die größte Gruppe sind EU-Bürger (Doppelpass erlaubt), darunter knapp 7500 Briten, die sich mit dem Brexit vor Augen absichern wollen. Insgesamt gibt es um die zwei Millionen Doppelstaatler im Land. Deren Zahl wird weiter wachsen, wenn viele der seit 2015 Geflüchteten dauerhaft bleiben.

Staatsbürgerschaft einiger Länder lässt sich gar nicht ablegen

Denn viele Länder wie Afghanistan, Syrien, Libanon, Eritrea, Iran, Nigeria, Marokko, Algerien oder Tunesien entlassen ihre Bürger gar nicht erst aus der Staatsbürgerschaft oder stellen dafür sehr hohe Hürden auf. Umgekehrt wird die deutsche Staatsbürgerschaft nicht mal eben so verschenkt.

Der bordeauxrote Reisepass mit dem Bundesadler ist begehrt, gilt als der zweitwertvollste der Welt (hinter Japan), in 188 Länder ist eine visafreie Einreise möglich. Wer Deutscher werden will, muss mindestens acht Jahre hier leben, sich zum Grundgesetz bekennen, gut Deutsch sprechen, einen Einbürgerungstest bestehen, Arbeit und ein blitzsauberes polizeiliches Führungszeugnis haben. Islamisten übrigens soll künftig der deutsche Pass entzogen werden können, wenn ihnen die konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann.

Viele Deutsch-Türken fühlen sich als Bürger zweiter Klasse

Ist es geschafft, bleibt die Einbürgerungsurkunde für viele ein Schatz, den sie voller Stolz hüten. Seht her, ich gehöre dazu! Die Wirklichkeit holt sie rasch ein. Die Debatte um die Fußballnationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan (beide haben nur den deutschen Pass!), die sich vor der Weltmeisterschaft mit dem autoritären türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ablichten ließen, und die im Netz folgende MeTwo-Bewegung zum Alltagsrassismus haben den Nachholbedarf bei Integration, Identität und Heimat aufgezeigt.

Gerade Deutsch-Türken haben die bittere Erfahrung gemacht, dass sie auch nach Jahrzehnten – selbst wenn sie Schweinebraten essen, Bier trinken, mit ihren Kindern Deutsch sprechen – häufig wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Integration gelingt nur, wenn Bürger mit Wurzeln woanders und Einheimische aufeinander zugehen. Wer wie viele Pässe hat, sollte dabei herzlich egal sein.