Berlin. Kanzlerin und Innenminister haben ihren Streit um Zurückweisungen an der Grenze fürs Erste beigelegt. Doch es bleiben tiefe Narben.

War da was? Drei Wochen lang musste die Republik fassungslos zusehen, wie die Union sich selbst zerlegte. Wochen, in denen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrem Innenminister, CSU-Chef Horst Seehofer, mit der Richtlinienkompetenz drohte, der wiederum seinen Rücktritt ankündigte und wieder zurücknahm, die Fraktionsgemeinschaft kurz vor der Auflösung stand, persönliche Verletzungen an der Tagesordnung waren – und an deren Ende auf den letzten Metern ein fragiler Kompromiss erzielt wurde.

Und was sagt Seehofer dazu? „Des is’ scho’ wieder Geschichte“, antwortet er am Dienstagmorgen auf die Frage, ob er mit seiner Rücktrittsdrohung die Kanzlerin nicht erpresst habe. Seehofer nimmt an der Fraktionssitzung der Union teil, um gemeinsam mit Merkel der Fraktion die am Vorabend erzielte Einigung zur Migration vorzustellen.

Einigung kam auf den allerletzten Metern zustande

Seehofer wollte Flüchtlinge, die schon in anderen EU-Staaten registriert sind, an der deutsch-österreichischen Grenze zurückweisen. Merkel lehnte das strikt ab, wollte keinesfalls einen nationalen Alleingang zulasten von anderen EU-Ländern.

Das Papier, das am Montagabend im Konrad-Adenauer-Haus schließlich – erstellt von je acht Unterhändlern von CDU und CSU – in gemeinsamen und getrennten Sitzungen erarbeitet wurde, ist sehr kurz. Drei Punkte sind es, auf die man sich am Ende verständigt hat.

Und auf zwei Sätze kommt es an: Man wolle an der Grenze „nicht unabgestimmt“ handeln, sondern in Absprache mit den betroffenen Ländern (Punkt Merkel), und „Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze“ (Punkt Seehofer), falls die Länder nicht zustimmen. Diesen Punkt versuchte Merkel bis zuletzt zu verhindern.

Der Kompromiss besteht nun darin, eine Vereinbarung mit Österreich zu schließen, dass das Land diese Asylbewerber zurücknimmt. Ob das kommt, ist fraglich.

Man habe eine „sehr, sehr gute fachliche Grundlage erzielt“, sagt Seehofer vor den Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU. In der „Asylwanderung in Europa“ gelte es, Ordnung zu schaffen. Er wolle zudem „so schnell wie möglich“ nach Wien fliegen. Ein genauer Termin stehe zwar noch nicht fest. Er habe aber den Eindruck, dass Österreichs Kanzler Sebastian Kurz „an vernünftigen Lösungen interessiert ist“, fügt Seehofer hinzu. Und fügt an: „Wir sperren die Leute nicht ein. Sie können frei nach Österreich im Zweifel zurückkehren. Aber sie können eben nicht einreisen.“

Mansche sehen Einigung bloß als Schonfrist bis zur Bayern-Wahl

Merkel beschreibt den Stress der vergangenen Wochen vor der Fraktion auf ihre Weise: „Es wäre gut, wenn wir in anderen Bereichen eine ruhige Arbeitsmethodik an den Tag legen“. Die Absprachen seien ein Beitrag zum Ziel, Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung zu erreichen – und würden „viel Arbeit“ machen.

Die Abgeordneten nehmen es zur Kenntnis: Erleichtert, aber wenig enthusiastisch. Der „Abgrund“, wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble den erbitterten Unionsstreit am Tag zuvor genannt hatte, war einfach zu tief – vor allem menschlich. Dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in Bayern vor einer Wiederholung des Streits warnt – und dabei sagt: „Wir müssen auch auf unsere Umgangsformen achten“ –, ringt vielen CDU-Abgeordneten nur ein müdes Lächeln ab.

Neue Hürden im Asylstreit

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    Die Lage werde „angespannt“ bleiben, zumindest bis zur Bayernwahl, so der Tenor. Aus der CSU-Basis wurden umgehend Töne laut, dass Merkel nur eine Schonfrist bis zum 14. Oktober erhalte. Sollte die CSU bei der Wahl verlieren, sei dies einzig ihrer Asylpolitik zuzurechnen, so der Spin in Bayern.

    Seehofer nimmt Merkel Drohen mit Richtlinienkompetenz übel

    So groß die Erleichterung über den gefundenen Kompromiss auch ist, der Weg dahin hat gerade in der CSU viele Narben hinterlassen. Seehofer habe die Partei keine vier Monate vor der Wahl in eine desaströse Lage manövriert, heißt es an der Basis. Zwar treffe Merkel eine Mitschuld, „aber die muss ja hier nicht bald die absolute Mehrheit verteidigen“.

    Dass Seehofer Schwierigkeiten mit der Kabinettsdisziplin haben würde, darauf war man im Kanzleramt eingestellt. Dass er so weit gehen würde, dass er ungebremst auf den Konflikt mit Merkel zurast und seinen eigenen Rücktritt in Aussicht stellt, hat dann doch viele überrascht.

    Aus seinem Umfeld heißt es, es habe ihn schwer verletzt, dass Merkel öffentlich mit ihrer Richtlinienkompetenz gedroht habe. Erst der allerletzte Ausweg – das Gespräch bei Schäuble unter sechs Augen auf der Präsidialebene kurz vor dem Treffen im Adenauer-Haus, das eigentlich nicht öffentlich werden sollte – brachte dem Vernehmen nach einen vorläufigen Durchbruch.

    Auch die Kanzlerin musste Zugeständnisse machen

    Als Merkel jedoch danach in der CDU-Zentrale eintraf, platzte die Mitteilung herein, dass die „Süddeutsche Zeitung“ Seehofer mit den Worten zitiert: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“ Er befinde sich in einer Situation, die für ihn „unvorstellbar“ sei. „Die Person, der ich in den Sattel verholfen habe, wirft mich raus.“ Er spielte damit wohl auf seine Unterstützung Merkels im Bundestagswahlkampf an. Da brauche es schon starke Nerven, sagt jemand, der dabei war.

    Dass sich Seehofer und seine CSU mit den Volten der vergangenen Tage vor der Landtagswahl am 14. Oktober einen Gefallen getan haben, glaubt in der CDU-Spitze kaum jemand. Doch auch die Kanzlerin hat große Zugeständnis machen müssen. Das Wort Zurückweisung taucht in dem Papier auf, die Reihen in der CDU und der CSU sind nicht geschlossen.

    Sommerpause? Wohl kaum

    Ein Teil der CDU-Abgeordneten steht inhaltlich auf der Seite des Bayern und fordert eine viel restriktivere Migrationspolitik. Dass Merkel Seehofer nicht im Zaum halten konnte, wird als Schwinden ihrer Autorität betrachtet.

    Wie lange ist Ruhe? Die Union spielt den politischen Ball nun zunächst ins Feld des Koalitionspartners SPD, der entscheiden muss, ob er den Kurs einer härtere Gangart in der Asylpolitik akzeptiert. Denn Seehofer versucht immer zunächst die Abstimmung mit der CDU – und verkauft Kompromisse dann als nicht mehr verhandelbar. Ein Nein der SPD könnte dazu führen, dass der Streit zurück ins Unionslager gespielt wird. Sommerpause? Wohl kaum.