Berlin. In der Flüchtlingspolitik liegt Kanzlerin Merkel erneut mit Horst Seehofer über Kreuz – es ist nicht ihre einzige Herausforderung.

Kanzlerin Angela Merkel kommt in diesen Tagen aus dem Krisenmodus nicht heraus. Nachdem am Wochenende dank des Agierens von US-Präsident Donald Trump der G7-Gipfel in einem Eklat endete, gibt es auch innenpolitisch großen Zoff: mal wieder um die Flüchtlingspolitik, mal wieder zwischen der CDU-Vorsitzenden und Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer. Merkel pfiff Seehofer am Montag zurück.

Die Vorstellung des Masterplans Asyl an diesem Dienstag, von Seehofer lange angekündigt, wurde am Montagnachmittag überraschend abgesagt. „Es gebe noch Abstimmungsbedarf“, hieß es. Der Streit über die richtige Migrationspolitik ist aber nur eine von Merkels Baustellen. Ein Überblick:

Seehofers Masterplan
Für die Kanzlerin birgt die Flüchtlingspolitik innenpolitisch nach wie vor den größten Sprengstoff. Das ist nun auch der Grund für das Zurückpfeifen des Innenministers: Doch dabei geht es nur zum einen um Seehofers geplante Zurückweisungen von Migranten ohne Papiere und abgeschobene Asylbewerber an der deutschen Grenze. Merkel missfällt auch der Zeitpunkt, an dem Seehofer seinen Masterplan Asyl vorstellen will – nur gut zwei Wochen vor dem nächsten EU-Gipfel. Ende Juni will die Kanzlerin auf dem Treffen mit den europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel noch einmal einen Versuch starten, eine EU-weite Lösung der Flüchtlingskrise zu erreichen.

„Wenn Seehofer mit seinem Masterplan jetzt deutsche Grenzkontrollen einführt, verbaut er Merkel schon vorher jede Chance für eine europäische Einigung“, sagte ein Unionspolitiker dieser Redaktion. Sprich: Will Merkel einen letzten Versuch für eine EU-Flüchtlingspolitik nutzen, darf Seehofer dies nicht vorher mit einem eigenen deutschen Weg torpedieren. Merkel selbst sagte am Sonntag: „Für mich allerdings bleibt es dabei, dass gilt, dass wir europäisches Recht anwenden.“ Sie will das Asylrecht europaweit reformieren.

Merkel in der Sendung von Anne Will.
Merkel in der Sendung von Anne Will. © dpa | Wolfgang Borrs

Auch unionsintern heißt es bei vielen, der Zeitpunkt für Seehofers Masterplan sei falsch. Die Mehrheit der Unionspolitiker würde Merkels Weg einer EU-Lösung noch einmal mitgehen. Scheitere Merkel beim EU-Gipfeltreffen Ende Juni allerdings, werde der Rückhalt für Seehofers Pläne in der Unionsfraktion im Bundestag noch einmal wachsen. Und der Rückhalt für Merkel schrumpfen, so der Tenor.

Seit Wochen werben CSU-Politiker für Seehofers Masterplan Asyl. Zuletzt kündigte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt an, Asylsuchende an der deutschen Grenze zurückzuweisen, wenn sie bereits mit Fingerabdrücken in einem anderen EU-Staat regis­triert sind, die sogenannten Dublin-Fälle. Die Werbetour der CSU gehe Merkel offenbar zu weit, sagte ein Unionspolitiker, der Seehofers Plan für richtig hält.

„Sie will sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen bei der Flüchtlingspolitik.“ Merkel wolle weiterhin beweisen, dass ihre Politik funktioniere. Seit Mitte 2016 gehen die Flüchtlingszahlen in Europa und Deutschland deutlich zurück. Noch immer kommen jedoch mehrere Tausend Menschen jeden Monat nach Deutschland und bitten um Asyl.

Zweifel an Seehofers Plänen äußern einzelne Unionspolitiker ebenfalls. Wer Asylsuchende an der deutschen Grenze zurückweisen wolle, müsse überall und konsequent kontrollieren – an der Grenze zu Österreich, zur Schweiz, aber auch zu Polen, Tschechien, Frankreich oder den Niederlanden. Dies sei eine riesige Herausforderung für die Bundespolizei. Im Alltag eines gemeinsamen Europas und eines EU-Wirtschaftsraums kaum umsetzbar.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ging am Montag ebenfalls auf Konfrontationskurs: Wenn die geplanten Ankerzentren zur Erstaufnahme nur in Bayern funktionierten, „dann ist die Zurückweisung an der Grenze die einzige schlüssige Option“. Er halte dies rechtlich und politisch für mehr als vertretbar.

Krise im Bamf
Für die Missstände im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) übernahm Merkel die persönliche Verantwortung. Sie ging damit in die Offensive, nahm der Forderung der Opposition nach einem Untersuchungsausschuss des Bundestages, der sie vorladen könnte, die Schärfe. „Ich mache es mir nicht leicht. Ich bin für die Dinge politisch verantwortlich.“ Weiter sagte sie: „Ich schiebe da auf niemanden die Verantwortung.“

Sie beschrieb, dass sie nach dem Andrang von Flüchtlingen im Spätsommer 2015 in einer Art und Weise eingegriffen habe, „wie ich es selten in meinem politischen Leben bezüglich einer nachgeordneten Behörde eines Ministeriums gemacht habe“. Damals wurde Frank-Jürgen Weise zum Leiter des Bundesamtes bestellt, das in den Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenministeriums gehört. Gleichzeitig machte Merkel ihre Grundüberzeugung erneut deutlich: Die Entscheidung zur Aufnahme der Flüchtlinge im Jahr 2015 sei richtig gewesen.

Verhältnis zu den USA
US-Präsident Donald Trump legte am Montag per Twitter noch mal nach: „Wir können leider nicht mehr zulassen, dass unsere Freunde oder unsere Feinde uns beim Handel ausnutzen“, schrieb er im Nachgang zu dem G7-Treffen. Er griff Deutschland auch frontal an. Das Land zahle nur ein Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Nato, Amerika dagegen vier Prozent. Zugleich kündigte er an: „Die Wende wird kommen!!“ Für Merkel ist nun der G7-Gipfel ein Wendepunkt im persönlichen Verhältnis zu Trump. Die Enttäuschung über den Präsidenten nimmt persönliche Züge an.

Bisher hat sie sich auch in kleinen Runden niemals geringschätzig über den US-Präsidenten geäußert, immer darauf verwiesen, dass er demokratisch gewählt wurde, man mit ihm einfach auskommen müsse. Auch bei ihrem Besuch in Washington sah sie über vieles hinweg. Ignorierte, dass er ihr bei einer Tour durchs Weiße Haus sein Schlafzimmer vorführte, anstatt sich ernsthaft damit zu beschäftigen, wo der Unterschied zwischen einer offenen Rechnung und einem Überschuss der Handelsbilanz liegt.

Merkel und Trump in Charlevoix, Quebec, Kanada.
Merkel und Trump in Charlevoix, Quebec, Kanada. © REUTERS | YVES HERMAN

Ab Juli treten nun EU-Gegenmaßnahmen zu den von Trump verfügten Importzöllen bei Stahl und Aluminium in Kraft, und die Kanzlerin zeigt sich entschlossen, Trump weiter die Stirn zu bieten. „Wir lassen uns nicht ein ums andere Mal über den Tisch ziehen. Wir handeln auch.“ Dennoch bleibt das Verhältnis zu den USA ein Balanceakt: Erheben die Vereinigten Staaten Importzölle auf Autos, bedeutet das für Deutschlands Konzerne einen wirtschaftlichen Schaden. Am Montag versammelte Merkel die Chefs der Wirtschafts- und Finanzorganisationen im Kanzleramt um sich, unter anderem IWF-Chefin Christine Lagarde und Weltbank-Präsident Jim Yong-kim.

In den Vertretern der Institutionen hat sie wichtige Verbündete. Deutschland warb im Handelskonflikt lange für eine konziliante Linie gegenüber den USA, im Gegensatz zu Frankreich etwa. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) reiste extra in die USA. Doch die Regierung wird nun, wenn nötig, andere Allianzen schmieden: wirtschaftlich sich etwa an Kanada und Japan und – trotz aller Vorbehalte – eher an Asien und die Chinesen halten.

Reform Europas
Merkel reagierte lange nicht auf die Vorschläge von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für eine Vertiefung der Eurozone. In einem Interview bekannte sie sich in der vergangenen Woche zu einem neuen „Investivhaushalt“ für die Eurozone in zweistelliger Milliarden-höhe, also einem Haushalt, dessen Geld für innovative Investitionen wie künstliche Intelligenz verwendet wird. Auch die Bankenunion will sie vollenden. Sie gibt sich konziliant: „Ich sage nicht, dass es all das, was er sagt, nicht geben wird.“ Einen europäischen Finanzminister lehnt sie weiter ab, spricht sich aber für eine gemeinsame europäische Asylbehörde und Asylstandards aus.

Zustand der Koalition
Der Kanzlerin der großen Koalition kann die Schwäche der SPD nicht recht sein. Geschwächte Sozialdemokraten sind ein sprunghafter Partner, der Drang zur eigenen Profilierung und der Abgrenzung von Regierungsbeschlüssen steigt mit dem Durchhängen in den Umfragen.

Zumal die Revisionsklausel zur Mitte der Legislatur aus dem Koalitionsvertrag nicht vom Tisch ist. „Man muss manchmal durch eine Durststrecke gehen, um dann auch wieder gemocht zu werden“, sagte Merkel. Die Durststrecke hat möglicherweise gerade erst begonnen.

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