Berlin. Merkel wollte die Debatte um die Flüchtlingspolitik in der neuen Regierung unbedingt beenden. Doch der Bamf-Skandal holt sie zurück.

Als Angela Merkel nach quälenden Verhandlungsmonaten im März ihre erste Regierungserklärung der neuen Amtszeit hielt, war ihr eines besonders wichtig: einen Schlussstrich zu ziehen unter die Diskussionen über ihre Flüchtlingspolitik.

Sie signalisierte damals: Ich habe verstanden. Verstanden, dass die Ankunft der Flüchtlinge 2015 der Ausgangspunkt für eine gesellschaftliche Polarisierung war.

Die Regierungschefin räumte im Bundestag selbstkritisch ein, die humanitäre Situation im syrischen Bürgerkrieg zuvor unterschätzt zu haben. Sie bezeichnete damals die offenen Grenzen im Herbst 2015 zwar nicht als Fehler, sondern als Reaktion in einer humanitären Notlage.

Merkels Regierungserklärung im Bürgercheck

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    Dennoch, diese selbstkritischen Töne waren im Wahlkampf in der Union schmerzhaft vermisst worden. Die CDU-Vorsitzende hatte das erkannt.

    Bamf-Skandal bringt Flüchtlingsdebatte zurück

    Doch nun kehrt die Debatte über ihre Flüchtlingspolitik durch einen Skandal in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration (Bamf) massiv zurück, in vielen Facetten und über Parteigrenzen hinweg. Merkel wollte das unbedingt vermeiden.

    Ausgangspunkt sind Vorgänge in einer Bremer Behörde, die möglicherweise zu Unrecht Tausende Asylanträge positiv beschieden hat. Ginge es um Behördenversagen in irgendeiner anderen Außenstelle einer Bundesbehörde, würde das die Berliner Politik kaum tangieren.

    Doch ausgehend von Bremen wurden Missstände beim Bamf insgesamt zum Thema. Und ausgerechnet dieses Politikfeld hatte Merkel 2015 an sich gezogen. Auch um ihren berühmten Satz „Wir schaffen das“ wahr werden zu lassen. Klar ist: Alle Beteiligten, auch die Öffentlichkeit, wussten, dass das Bamf auf die hohe Zahl der asylsuchenden Menschen nicht vorbereitet war.

    Die Fehler wurden in den Jahren vor 2014 gemacht: als die Bundesregierung die Warnungen vor einer bevorstehenden Flüchtlingsbewegung nicht ernst genug genommen hatte und das Bamf nicht entsprechend vorbereitete.

    Doch bei aller Kritik am Management oder am politischen Anspruch, den Stapel der Asylanträge möglichst schnell abzuarbeiten: Wer jetzt ganz laut Aufklärung schreit, darf nicht aus den Augen verlieren, dass es zahlreichen Kritikern nicht um die Missstände im Amt geht. Sondern, je nach Parteizugehörigkeit, um eine mehr oder minder scharfe Abrechnung mit Merkels Politik der offenen Grenzen.

    Misstrauen zwischen Seehofer und Merkel

    Die AfD etwa will in einem Untersuchungsausschuss prüfen, ob Merkel ihre „verfassungsrechtliche Pflicht beachtet habe“, Schaden vom deutschen Volk zu wenden. Das hat mit der Krise der Bamf-Bürokratie wenig zu tun.

    Für die Union ist die Situation brisant. Ein tiefes Misstrauen zwischen Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer nahm im Herbst 2015 seinen Anfang. Es folgte ein Streit über die Obergrenze für Flüchtlinge bis hin zu Seehofers Drohung mit einer Aufarbeitung vor dem Bundesverfassungsgericht. All das ist unvergessen.

    Schließlich schlossen die Kontrahenten einen Burgfrieden, Merkel machte ihren Kritiker zum Bundesinnenminister. Doch sollten die Dämme in der Diskussion – gerade vor der bayerischen Landtagswahl – wieder brechen, etwa durch eine Selbstverteidigung Seehofers, der zurzeit die politische Verantwortung für das Bamf trägt, wäre das für die Union fatal.

    Merkels Flüchtlingspolitik war auch in der CDU äußerst umstritten, kostete sie Autorität als Parteichefin. CDU und CSU waren gerade dabei, sich zu erholen; im Gegensatz zur am Boden liegenden SPD. Bislang herrscht Ruhe. Das Konrad-Adenauer-Haus und die Spitze der Unionsfraktion haben die eigenen Reihen im Griff. Noch.