Berlin. In der Affäre um das Bundesamt für Flüchtlinge mussten sich Minister Seehofer und Behördenchefin Cordt vor dem Innenausschuss erklären.

Nach mehr als fünf Stunden Sondersitzung des Innenausschusses im Bundestag tritt Horst Seehofer vor die Kameras. Er gibt sich als Aufklärer, spricht von einem „schlimmen Skandal“ in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dem Bamf. Gleichzeitig stärkt er Amtschefin Jutta Cordt den Rücken. Sie habe entscheidend an der Aufklärung der Bremer Missstände mitgewirkt.

Es sind Fälle wie der von Milad H., weswegen sich Seehofer an diesem heißen Mai-Dienstag kritische Fragen der Abgeordneten gefallen lassen muss. Und das wenige Wochen nach seinem Amtsantritt als Bundesinnenminister. Milad H. hatte in Deutschland Asyl beantragt, sein Fall landete in der Außenstelle Bremen des Bamf.

Milad H. gab sich als Syrer aus, nannte sich Mohammed A. Doch in Wirklichkeit ist er Rumäne. Asyl bekam er trotzdem. Unrechtmäßig, so wie in mutmaßlich mindestens 1200 weiteren Fällen von Manipulation zwischen 2013 und 2016. Möglicherweise, und das ist entscheidend, organisiert von einer Gruppe, zu der die Bremer Amtsleiterin zählt, Anwälte, Dolmetscher. Das ist der Vorwurf der Staatsanwälte, die nun gemeinsam mit der Bundespolizei in Bremen ermitteln.

Innenminister Seehofer kündigt mehr Bamf-Mitarbeiter an

Als erste Maßnahmen kündigte Seehofer mehr Mitarbeiter für das Bamf an, er wolle befristete Verträge von Mitarbeitern zudem entfristen lassen. Über entsprechende Mittel aus dem Bundeshaushalt habe er auch schon mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) gesprochen.

Seit Monaten beschäftigt der Fall das Bamf selbst, seit Wochen Politik und Medien. Die Sondersitzung des Innenausschusses – sie ist so etwas wie ein Mini-Untersuchungsausschuss. Ein Vorfühlen, ob das scharfe Schwert des Parlaments noch gezogen werden muss. Und ein Vorgeschmack darauf, wie gefährlich Kanzlerin Angela Merkel die Affären im Bamf noch werden können.

Parteien fordern „volle Aufklärung“ von Seehofer

Schon 2014 soll es behördenintern erste Hinweise auf Missstände in Bremen gegeben haben. Erst im März 2017 erfuhr Bamf-Chefin Cordt von dem Disziplinarverfahren gegen die Bremer Außenstellen-Leiterin. Erst Mitte April 2018 will Seehofer vom Ausmaß der Vorwürfe erfahren haben. In der Bamf-Affäre geht es um mutmaßliche Manipulation – aber auch um die heikle Frage, wer davon wusste. Und wann.

Einen aufwendigen Untersuchungsausschuss zu diesen Fragen sehen die meisten Bundestagsfraktionen jedoch skeptisch. SPD-Innenexperte Burkhard Lischka warnte, dass es Jahre dauern könnte, bis ein solches Sondergremium zu Ergebnissen kommen würde. Doch jetzt sei der Zeitpunkt, an dem die Arbeit beim Bamf schnell verbessert werden müsse.

Bamf-Affäre: Opposition und SPD machen Druck auf Seehofer

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    Grünen-Expertin Luise Amtsberg lobte einerseits den Aufklärungswillen von Innenminister Seehofer. Andererseits kündigte die Politikerin bereits an, dass ihre Fraktion eine weitere Sondersitzung beantragen werde. Darin sollen Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) und die früheren Bamf-Chefs Manfred Schmidt und Frank-Jürgen Weise befragt werden. Solange, so klingt es bei Amtsberg durch, werden die Grünen keinen Untersuchungsausschuss fordern. Am Abend wurde bekannt, dass sich auch die anderen Fraktionen auf eine weitere Sondersitzung zum Bamf geeinigt haben. Nur FDP und AfD hielten noch an der Forderung für einen Untersuchungsausschuss fest.

    „Asylentscheide wie am Fließband“

    Kein Amt steht so stark für die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung seit dem Jahr 2015 wie dieses. Kritiker von Merkels Politik sehen in der Affäre von Bremen die Quittung für den Zuzug von mehr als einer Millionen Geflüchteter in der Hochphase der Krise. Andere wiederum, die an einer liberalen Flüchtlingspolitik festhalten, sehen die Probleme des Bamf hausgemacht: Zu viel ungelerntes Personal, zu geringes Budget, zu sehr werde auf Quoten und „Produktion von Asylbescheiden“ geachtet als auf Qualität. Der Personalratschef Rudolf Scheinost kritisierte die Politik des Bundesamtes unter Ex-Chef Frank-Jürgen Weise deutlich. Es seien „Asylentscheide wie am Fließband“ getroffen worden. Kein Wunder, dass es in vielen Außenstellen zu Pannen, Fehlern und Schlamperei gekommen sei. Aber auch zu mutmaßlichem Asylbetrug?

    CDU-Innenexperte Armin Schuster sprach von einem „schlimmen Zustand“ in der Außenstelle Bremen. Im gesamten Bundesamt gebe es Defizite bei der Qualität der Asylverfahren und beim Personal. Doch die Vorfälle in Bremen seien bisher ein Ausnahmefall. Kriminelle Energie könne er in anderen Dienststellen des Bamf bisher nicht erkennen.

    Von vielen Asylbewerbern keine Fingerabdrücke genommen

    Bamf-Chefin Cordt hob nach der Sitzung hervor, dass „nichts vertuscht“ werde. Prüfteams würden die Asylentscheide aus Bremen auswerten. Und sie sollen die internen Meldewege prüfen. Nachdem die frühere Leiterin der Außenstelle versetzt worden war, hatte Cordt Ende des vergangenen Jahres Asylentscheide der Bremer Dienststelle von der Zentrale in Nürnberg prüfen lassen. Erst nur Stichproben, mittlerweile sind es 18.000 Fälle seit 2000. Soweit sind die Akten noch vorhanden. In drei Monaten soll diese Prüfung abgeschlossen sein.

    Derzeit dürfen die 54 Mitarbeiter in Bremen keine Entscheidungen mehr treffen. Beschuldigt sind jedoch bisher nur fünf Personen. Und doch sind die Mängel groß, die bereits jetzt bekannt sind: Bei fast jeder dritten Asylentscheidung nahmen die Mitarbeiter in Bremen keine Fingerabdrücke. Einzelne Bamf-Angestellte unterließen Prüfungen von Dokumenten. Stattdessen entschieden sie in Eilverfahren: positiv. Anwälte sollen dafür auch Geld kassiert haben.

    Keine Hinweise auf Islamisten in Bremer Fällen

    Die Behörde ist mittlerweile im Dauerstresstest: Neben Bremen lenkt das Amt den Fokus auf zehn weitere Außenstellen, in denen die Bamf-Spitze „Auffälligkeiten“ sieht. Das Bundeskriminalamt hat die Asylbescheide von Bremen geprüft, ob auch Islamisten unrechtmäßig Schutz bekommen haben. „Da gibt es Entwarnung“, sagte CDU-Mann Schuster. Das BKA hat laut Innenminister Seehofer unter einer Vielzahl von Prüfungen nur zwei Treffer in ihren Dateien finden können. Dabei handele es sich um Personen, die Polizei und Verfassungsschutz schon kannten.

    Die Grünen hatten vor der Sondersitzung das Bamf zum Fall Bremen bereits schriftlich gefragt. In den Antworten heißt es: „Mit der Prüfung der rund 18.000 Fälle der Außenstelle Bremen werden rund 70 Mitarbeiter für etwa drei Monate betraut sein.“ Es bestehe das Risiko, dass der Bestand an offenen Asylverfahren von 50.000 auf etwa 80.000 steigen könne. Das Ziel einer Bearbeitungsdauer von drei Monaten bei neuen Verfahren sei nicht zu halten. Das Bundesamt will nun den Modus wechseln: von der Schnelligkeit zurück zur Genauigkeit. So war es vor 2015.

    Der Fall Bremen, so sehen es viele, ist ein Einzelfall. Eine Ausnahme – allerdings in einem Bundesamt, das in wenigen Monaten der Flüchtlingskrise von 2000 auf 6000 Mitarbeiter aufgeblasen worden war. In dem auf einmal auch pensionierte Beamte und Soldaten arbeiteten. Bremen war eine Ausnahme, allerdings in einem Amt, in dem Personalräte darüber klagen, dass zu wenig in Schulungen und Fortbildungen investiert werde. Bremen bleibt aus Sicht vieler im Bundestag ein Fall für die Justiz – die Arbeit im Rest des Bundesamtes ein Fall für besseres Behördenmanagement.