Brüssel. Deutschland hat laut EU-Kommission zu wenig gegen schlechte Luft in den Städten getan. Die Regierung ist nun zum Handeln aufgefordert.

Es ist eine Eskalation mit Ansage. Seit Jahren streitet die EU-Kommission mit Deutschland wegen zu schlechter Luft in vielen Innenstädten – jetzt hat es Brüssel gereicht. Die EU-Kommission verklagt die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof wegen anhaltender Überschreitung von Stickoxid-Grenzwerten.

„Die Entscheidung wurde im Namen der Europäer getroffen“, sagte Umweltkommissar Karmenu Vella in Brüssel. Die Entscheidung werde schnell zu Verbesserungen für die Bürger führen. Außer Deutschland verklagt die EU auch Frankreich, Großbritannien, Italien, Rumänien und Ungarn wegen schlechter Luftqualität.

EU sieht keine Alternative zu Klagen

Zehn Jahre hätten die Länder Zeit gehabt, um die Situation zu verbessern, sagte Vella. Viel geschehen ist aus seiner Sicht nicht. Deshalb sieht er keine Alternative, als einzugreifen. Angeblich sterben in Europa jährlich 400.000 Menschen vorzeitig wegen schlechter Luft.

Der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft gilt in der EU seit 2010. In Deutschland wurde er noch 2017 in 66 Städten nicht eingehalten; besonders deutlich über dem Limit liegen unter anderem Berlin, Hamburg, Köln und München.

Dort und in einem Dutzend weiterer deutscher Städte werden die Grenzwerte so weit überschritten, dass sich ohne radikale Maßnahmen – Fahrverbote oder umfassende Dieselnachrüstungen – nichts auf die Schnelle verbessert. Schon vor drei Jahren hat die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und andere Umweltsünder eingeleitet, ohne großen Erfolg.

Verfahren vor Europäischem Gerichtshof könnte sich jahrelang hinziehen

Als wichtige Ursache der Stickoxid-Belastung gelten Diesel-Fahrzeuge, deren Zahl in den vergangenen Jahren noch gestiegen ist. Ende Januar hatte die Kommission der Bundesregierung eine letzte Chance gegeben, mit neuen Maßnahmen eine Klage abzuwenden – doch das von Berlin vorgelegte „Sofortprogramm für saubere Luft“ überzeugte in Brüssel nicht. Ob jetzt schnell strengere Maßnahmen folgen, ist ungewiss.

EU-Kommission verklagt Deutschland wegen schlechter Luft

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    Der Rechtsstreit vor dem EuGH dürfte sich über Jahre hinziehen, solche Klagen wegen Vertragsverletzungen sind nicht ungewöhnlich. Erst wenn Deutschland vor Gericht unterliegt, würde es ernst, dann droht hohes Zwangsgeld – doch bliebe theoretisch immer noch Zeit, mit drastischen Maßnahmen kurzfristig zu reagieren.

    Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kommentierte die Entscheidung der Kommission wohl auch deshalb gelassen und erklärte, Deutschland sei auf einem „sehr guten Weg“ zu besserer Luft in Städten.

    Bundesregierung uneinig über Gegenmaßnahmen

    Die Kanzlerin hatte wohl Fördertöpfe etwa für neue Busse oder Anreize für den Kauf von Elektroautos im Sinn. Doch in der Koalition beginnt schon die Debatte über zusätzliche Maßnahmen: Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) etwa fordert eine rasche technische Nachrüstung von Diesel-Pkw. „Wenn wir vor Gericht bestehen wollen, brauchen wir größere und schnellere Fortschritte, um die Luft sauber zu bekommen.“ Die Kosten müssten die Autohersteller tragen. Ohne Nachrüstung drohten Fahrverbote und eine Niederlage vor Gericht. Unterstützung bekam sie vom Deutschen Städtetag.

    Auch der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sagte: „Mit Hardware-Nachrüstungen von Diesel-Pkw würde das Problem auf einen Schlag gelöst.“ Peter Liese, CDU-Umweltexperte im EU-Parlament, forderte, sich vor allem auf die Nachrüstung von Bussen zu konzentrieren. Ein Bus verursache 150-mal so viel Schadstoffe in Innenstädten wie ein Pkw, die Technik zur Nachrüstung sei vorhanden.

    Während die Eskalation im Stickoxid-Streit absehbar war, legte die Kommission überraschend auch in einem weiteren Verfahren nach: Sie wirft Deutschland seit Längerem vor, nicht entschlossen genug auf den Dieselskandal reagiert zu haben.

    EU will wissen, wie Deutschland im Dieselskandal handelt

    Die EU-Vorschriften, die für die Hersteller abschreckende Sanktionen bei Verstößen vorsehen, seien nicht ausreichend beachtet worden. Jetzt fordert die Kommission von der Bundesregierung weitere Auskünfte über die Ermittlungen und die rechtlichen Maßnahmen. Anlass seien auch „neue Fälle von Unregelmäßigkeiten“ bei der Motorsteuerung in Dieselfahrzeugen, etwa beim Porsche Cayenne, VW Touareg und in Audi A6 und A7. Diese Ermahnung der EU kann später ebenfalls in einer Klage enden. Betroffen sind auch Großbritannien, Italien und Luxemburg.

    Hier reagiert die Bundesregierung empfindlich: Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wies die Vorwürfe „aufs Schärfste“ zurück und nannte das Verhalten der Kommission „zutiefst enttäuschend und realitätsfern“. Scheuer erklärte, die Regierung habe „wirksame und konsequente Maßnahmen ergriffen, zum Beispiel verpflichtende Rückrufe und Software-Updates auf Kosten der Hersteller“. Und natürlich würden die Autokonzerne für ihre Schummeleien zur Verantwortung gezogen.