Berlin. Innenminister Seehofer setzt sich selbst unter Erfolgsdruck. Seine Agenda: Familiennachzug, schärfere Kontrollen, mehr Abschiebungen.

Es geht Schlag auf Schlag. „Ich möchte etwas Tempo“, sagt Horst Seehofer. Wenn sich das Kabinett am Dienstag zu einer zweitägigen Klausur in Meseberg trifft, ist der Innenminister mittendrin, nicht nur dabei.

Noch keinen Monat im Amt, wiewohl kaum mit der Materie vertraut, jagt ein Plan den nächsten. Seehofers Agenda, sein Kalender, seine Bringschulden. Wie ein Minister sich selbst unter Erfolgsdruck setzt.

Seehofer muss die EU in seine Pläne einweihen

Amtsvorgänger Thomas de Maizière (CDU) hatte im November 2017 die Grenzkontrollen nach Österreich um sechs Monate verlängert. Diese Ausnahmeregelung läuft am 11. Mai aus. Seehofer will sie verlängern.

Seit Ausbruch der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 ist die Ausnahme im Schengenraum die Regel geworden. In den nächsten Tagen muss Seehofer die EU in seine Pläne einweihen. Er will die Kontrollen verlängern.

Die Erfahrungen der Bundespolizei an der Grenze zu Österreich sind eine Argumentationshilfe. 2017 hat sie 7009 Personen die Einreise verweigert.

Beachtlich sind auch die Zugriffe an anderen Grenzen, wo weniger kontrolliert wird: Aus Frankreich reisten 3946 Menschen unerlaubt ein, aus Luxemburg 328, aus den Niederlanden 1654, aus Polen 2148, aus Tschechien 4035 – festgestellt allein durch Schleierfahndung, unangemeldete Kontrollen, Stichproben.

Bundespolizei hat 423 illegal Reisende festgestellt

Wie groß erst wären die Zahlen, würde man auch die Grenzen ständig überwachen? Aufgeben wird er vermutlich die permanenten Kontrollen der Griechenlandflüge.

Seit dem 12. November 2017 hat die Bundespolizei – Stichtag: 25. März – 1992 Passagiere von Flügen ausgeschlossen und trotzdem an den Airports immer noch 423 illegal Reisende festgestellt.

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    Rund der Hälfte von ihnen wurde die Einreise verweigert, die andere Hälfte stellte Asylanträge. Unvermindert drängen Flüchtlinge, die in Griechenland gestrandet sind, Richtung Nord- und Westeuropa.

    Nun vertraut man darauf, dass die griechische Grenzpolizei keine Hilfe mehr brauchen wird. Derweil hat das bayerische Kabinett Ende März den Aufbau einer eigenen, 1000 Mann starken Grenztruppe beschlossen.

    Beamte sollen mit 150 neuen Dienstfahrzeugen ausgerüstet werden

    Sie soll Pässe kontrollieren, illegale Migration bekämpfen, speziell Schleuserbanden, insbesondere mit unangekündigten Kontrollen und mit Schleierfahndung entlang der Grenzen zu Österreich und Tschechien bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern.

    Die Beamten sollen mit 150 neuen Dienstfahrzeugen, Smartphones, Tablets, mobilen Dokumentenprüfgeräten und Fingerabdruckscannern, Nachtsicht- und Wärmebildtechnik und sogar mit Drohnen bestens ausgerüstet werden.

    Das Geld dazu haben die Bayern – an Ehrgeiz hatte es ihnen nie gefehlt. In der Vergangenheit hat der Bund ihre „Angebote“ oft überhört. De Maizière ließ sich zögerlich darauf ein. Noch im Herbst 2016 sagte er, „ich bestehe auf der Rechtslage“.

    Es gebe bereits eine Vereinbarung, nach der die bayerische Polizei Schleierfahndungen durchführe. Mehr war lange Zeit mit ihm nicht machbar.

    Deal könnte von beiderseitigem Nutzen sein

    Bei Seehofer hat das bayerische Kabinett, dem er bis März vorstand, einen Stein im Brett. In Berlin ist hinter den Kulissen vereinzelt von einem „Misstrauensvotum gegenüber der Bundespolizei“ die Rede.

    Dass die Bayern mit „ihrem“ Innenminister Bande spielen, wird in Polizeikreisen argwöhnisch beobachtet. Eine Arbeitsteilung vorausgesetzt, könnte ein Deal von beiderseitigem Nutzen sein, wenn sich die an der Grenze zu Österreich entlastete Bundespolizei auf andere Abschnitte verlegt.

    Maghreb-Länder sollen zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden

    Pünktlich zur Klausur in Meseberg legte der Innenminister einen Kriterienkatalog für den Familiennachzug von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus vor – maximal 1000 Fälle im Monat. Seehofers Imperativ: „Wir wollen keinen Zuzug in die Sozialsysteme.“ Noch hat sich die Aufregung darüber nicht gelegt, da kündigt sich der nächste Paukenschlag an.

    Im Mai, spätestens im Juni, will er dem Kabinett einen „Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen“ vorlegen. Dazu zählt ein politischer Ladenhüter: Die drei Maghreb-Länder Marokko, Tunesien, Algerien sollten zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden.

    Asylanträge aus solchen Staaten könnten schneller abgewickelt – im Klartext: abgelehnt – werden. Neu ist, dass Georgien und vielleicht Armenien dazukommen sollen. „Sie erfüllen die Voraussetzungen, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurden: hohe Zugänge, aber sehr niedrige Anerkennungsquoten“, erläutert Seehofers Parteifreund und Staatssekretär Stephan Mayer.

    Das gelte gerade für Georgien, „weil hier in den letzten Monaten eine deutliche Zunahme der Zahlen zu verzeichnen war, insbesondere aufgrund der Visafreiheit, die seit März letzten Jahres besteht.“

    3462 Menschen aus Georgien stellten Asylanträge

    Er halte es für statthaft, Georgien als sicheren Herkunftsstaat zu deklarieren, „zumal die georgische Regierung dies ausdrücklich selbst befürworte“, sagte er unserer Zeitung.

    Nach Angaben des Bundesamts für Migration Flüchtlinge wurden 2017 aus Georgien 3462 Asylanträge gestellt, aus Armenien 3857, im Januar 2018 weitere 745 Anträge aus Georgien und im Februar immer noch 596 – mehr als in jedem Monat im Vorjahr. Zumindest im Fall Georgiens scheint sich ein Trend zu erhärten.

    Pläne sind an den Grünen im Bundesrat gescheitert

    Allerdings ist Seehofer auf die Bundesländer angewiesen. In der Vergangenheit sind solche Pläne regelmäßig an den Grünen im Bundesrat gescheitert. Neue Hoffnung schöpfen CSU-Politiker nach den Sondierungsgesprächen mit Grünen und FDP.

    Zwar kam am Ende keine Koalition zustande, aber Mayers Eindruck war, „dass die Sondierungsgespräche nicht am Thema sichere Herkunftsstaaten gescheitert wären“. Die Grünen stünden dem Plan offener gegenüber. Was noch zu beweisen wäre.

    Mehr Abschiebungen sind möglich, wenn die Herkunftsländer mitziehen. Man müsse „mehr auf das Verhalten der Herkunftsstaaten abzielen“, so Mayer. Wer ist kooperativ, wer nicht? „Das sollte Konsequenzen haben, sowohl bei der Entwicklungszusammenarbeit als auch bei der Visumspolitik.“

    Auch die Idee ist nicht neu. Sie war in der Vergangenheit nicht nur am Auswärtigen Amt, sondern auch am CSU-geführten Entwicklungshilfeministerium gescheitert, an Ressortchef Gerd Müller.

    Innenminister will sich grünes Licht für Aufbau von „Anker“-Zentren holen

    De Maizière Kon­tra zu geben, ist eine Sache, eine andere, wenn der Gegenspieler der eigene Parteichef ist. Wann kommt es zum ersten Meinungstausch zwischen Müller und dem CSU-Vorsitzenden, und wann tauscht der Entwicklungshilfeminister seine Position gegen die Seehofers ein?

    Mayer geht davon aus, dass der Innenminister sich auf der Klausur in Meseberg auch grünes Licht für den Aufbau von „Anker“-Zentren holen wird – im Koalitionsvertrag sind sie vorgesehen. „Anker“ steht für „Ankunft, Entscheidung, Rückführung“.

    Von der geplanten Zusammenarbeit verschiedener Behörden unter einem Dach verspricht sich Seehofer eine Beschleunigung von Asylverfahren und Rückführungen. Um keine Zeit zu verlieren und um sich von den Bundesländern unabhängig zu machen, will er mit Pilotprojekten starten, „die keine Rechtsänderungen zur Voraussetzung haben“.

    Seehofer: „Sonst diskutieren wir bis Weihnachten.“ Auch hier spielt er mit Bayern über Bande. Im Freistaat sind bereits sogenannte Transitzenten in Manching und Bamberg in Betrieb. Als Alternative käme die Erstaufnahmeeinrichtung im hessischen Gießen infrage.

    Seehofer will Eckpunkte-Papier vorlegen

    Wozu er tendiert, hat Seehofer bereits angedeutet: „Bamberg wird bei allen Gesprächen für das, was da schon ist, sehr gelobt.“

    Sollten andere Länder nicht mitziehen, auf Bayern wäre Verlass. In den nächsten Wochen ist mit einem Eckpunkte-Papier aus dem Hause Seehofers zu rechnen, im Herbst soll das erste Anker-Zentrum in Betrieb gehen.

    Gesetzentwurf soll im ersten Jahr der Regierung kommen

    Nicht aufhalten lassen, will er sich auch bei einem weiteren Vorhaben, an dem Vorgänger de Maizière gescheitert war: „Dschihadisten mit Doppelpass wollen wir die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen“, so Mayer.

    „Das ist eindeutig im Koalitionsvertrag geregelt und aus meiner Sicht ein vordringliches Vorhaben.“ Er rechne mit einem Gesetzentwurf „auf jeden Fall im ersten Jahr der Regierung.“

    Die Eile entspringt politischem Kalkül. Das Ergebnis der Bundestagswahl sei für Union und SPD sehr schlecht gewesen, erläutert Seehofer.

    Er wolle den Bürgern zeigen, dass man das damit verbundene Signal verstanden habe. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich am 14. Oktober: Landtagswahl in Bayern.